# taz.de -- Grenzkontrollen an der Oder: Die Doppelstadt ist wieder geteilt | |
> Seit Sonntag hat Polen seine Grenzen dichtgemacht. Vor allem für | |
> Frankfurt (Oder) und das polnische Słubice ist das ein Problem. Viele | |
> pendeln dort. | |
Bild: Lange Schlange vor der Einreise nach Polen | |
Paul Zalewski ist noch nicht auf der Brücke gewesen. Der im ostpolnischen | |
Białystok geborene Kulturwissenschaftler hat eine Professur für | |
Denkmalkunde an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Sein | |
Büro befindet sich allerdings auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses | |
im Collegium Polonicum im polnischen Słubice. Zalewski ist ein Beispiel für | |
den grenzüberschreitenden Alltag in der Doppelstadt an der Oder. | |
Seitdem Polen seine Grenze zu Deutschland in der Nacht zu Sonntag | |
geschlossen hat, hat sich der Alltag in Frankfurt und Słubice aber | |
drastisch geändert. „Ich gehe davon aus, dass ich eine Genehmigung bekomme, | |
um in mein Büro zu kommen“, hofft Zalewski, der in der Nähe von Berlin lebt | |
und nach Słubice pendelt. In diesen Tagen wird er es erstmals versuchen. | |
Nachdem sich die Frankfurter am Samstag in Polen schnell noch mit günstigen | |
Zigaretten und Benzin eingedeckt haben, hat sich am Montagnachmittag | |
bereits eine lange Schlange auf der Grenzbrücke gebildet. Offen ist die | |
Brücke nur für Fußgänger und Radfahrer. Autos müssen den Autobahnübergang | |
der A12 in Świecko nehmen. Unter den Wartenden auf der Stadtbrücke sind | |
viele polnische Reisende, die mit dem Zug Richtung Posen oder Warschau | |
wollten – und in Frankfurt gestrandet sind. Nun stehen sie mit ihren | |
Rollkoffern in der Schlange. Sie dürfen die Grenze einmalig passieren. | |
Zwei Tage blieben den Reisenden, um sich auf die neue Situation | |
einzustellen. Polnische Staatsbürger, die sich im Ausland befinden, dürfen | |
nach Polen einreisen, müssen sich danach aber für 14 Tage in häusliche | |
Quarantäne begeben, hieß es in einer Mitteilung der Regierung in Warschau | |
vom 13. März. Der internationale Flug- und Bahnverkehr werde eingestellt, | |
der Warentransport per LKW finde aber weiter statt. | |
Ausnahmen, so heißt es weiter, gelten für Ehepartner polnischer | |
Staatsangehöriger, deren Kinder sowie für „Personen aus dem grenznahen | |
Raum, die in Polen wohnen, aber tagtäglich zur Arbeit ins Nachbarland | |
fahren.“ | |
## Etwa 15.000 Pendler | |
Das sind nach Schätzungen etwa 15.000 Menschen. Für Paul Zalewski, der in | |
Deutschland lebt, aber in Polen arbeitet, war zunächst keine | |
Ausnahmeregelung vorgesehen. | |
Auch nicht für Marta*, die in einem Café in der Frankfurter Innenstadt | |
arbeitet. „Ich habe meinen Wohnsitz und meinen Arbeitsplatz in Frankfurt“, | |
erklärt sie. Als jemand, der nicht pendelt, dürfe sie als polnische | |
Staatsbürgerin zwar nach Polen einreisen, aber danach nicht mehr nach | |
Deutschland zurück. „Also bleibe ich hier“, sagt sie. „Das Problem ist n… | |
dass ich jetzt meine Eltern in Polen nicht mehr besuchen kann.“ | |
Nicht nur für Pendler wie Paul Zalewski ist der grenzüberschreitende Alltag | |
auf eine harte Probe gestellt, sondern auch für alle anderen Bereiche, in | |
denen beide Städte zusammenarbeiten. „Für Frankfurt und Słubice ist das ein | |
großes Problem“, sagt Beata Bielecka, die Sprecherin der Stadtverwaltung im | |
17.000 Einwohner zählenden Słubice. „Wir arbeiten tagtäglich in vielen | |
Bereichen mit Frankfurt zusammen“, sagt sie. | |
Dazu zählen gemeinsame Sitzungen der Stadtverordneten, ein | |
Kooperationszentrum und eine grenzüberschreitende Innenstadtentwicklung. | |
Für 2029 wollen sich beide Städte gemeinsam als Europäische | |
Kulturhauptstadt bewerben. | |
Trotz aller Probleme sieht die Słubicer Stadtverwaltung derzeit aber keine | |
Alternative zu den Grenzschließungen, die Polen angeordnet hat. „Wir haben | |
keinen Zweifel, dass das der einzige gangbare Weg ist“, sagt Sprecherin | |
Bielecka. „Die Sicherheit unserer Bewohner ist für uns das wichtigste.“ | |
Bielecka erwartet, dass die Grenzschließung länger dauert als die zunächst | |
veranschlagten zehn Tage. | |
Inzwischen gibt es zumindest für Pendler mehr Klarheit. Gegenüber dem | |
Internetportal Słubice24.pl erklärte Krzysztof Krawiec, der Leiter des | |
Grenzschutzes in Słubice, dass nicht nur Polen, die in Deutschland | |
arbeiten, die Grenze passieren dürfen, sondern auch polnische Staatsbürger, | |
die in Frankfurt wohnen und in Polen arbeiten. Das gleiche gelte für | |
Ausländer, die in Polen arbeiten. „Diese Personen werden nicht in | |
Quarantäne geschickt“, so Krawiec. Allerdings müssten sie ihre | |
Arbeitsbescheinigung mit sich führen und eine sogenannte Karta Pazażera | |
ausfüllen. | |
## Videokonferenz der Bürgermeister | |
Genau dieser Passierschein aber scheint sich derzeit zum Nadelöhr zu | |
entwickeln. „Gestern stand eine polnische Mitarbeiterin anderthalb Stunden | |
in der Schlange“, sagt Sören Bollmann, der das gemeinsame | |
Kooperationszentrum Frankfurt und Słubice leitet. Denn der Schein müsse | |
jedes Mal neu ausgefüllt werden. Immerhin kann man ihn inzwischen im | |
Internet herunterladen. | |
Wie die Lage trotz der Grenzschließung entspannt werden kann, ist Thema | |
einer Videokonferenz, die beiden Bürgermeister René Wilke und Mariusz | |
Olejniczak am Mittwoch abhalten werden. Auch Bollmann wird dabei sein. „Da | |
wird es sicher auch darum gehen, welche gemeinsamen Beratungen in den | |
nächsten Wochen als Video- oder Telefonkonferenz stattfinden werden“, so | |
Bollmann zur taz. | |
Während sich auf der A12 von Berlin nach Warschau vor dem Autobahnübergang | |
Świecko am Dienstag ein Rückstau bis zur Abfahrt Fürstenwalde-Ost bildete, | |
gab es in der Gegenrichtung keine Staus. Auch nicht auf der Stadtbrücke | |
zwischen Frankfurt und Słubice. | |
„Wer von Polen nach Deutschland einreisen will, kann das ohne Kontrolle“, | |
erklärt ein Mitarbeiter des polnischen Grenzschutzes. Nur zurück ist es | |
dann nicht mehr so einfach. Nach fast 30 Jahren durchlässiger und 13 Jahren | |
offener Grenze ist das für alle an der Oder eine neue Situation, die es zu | |
meistern gilt. | |
Vielleicht ist es dabei eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die | |
Studierenden der Viadrina kaum von den Maßnahmen betroffen sind. „Der | |
Beginn des Lehrbetriebs wird auf den 20. April verschoben“, sagt | |
Viadrina-Sprecherin Frauke Adesiyan. Neben der Bibliothek in Frankfurt hat | |
auch die im Collegium Polonicum geschlossen. Dessen Verwaltungsdirektor | |
Krzysztof Wojciechowski aber hat eine gute Nachricht für den Pendler Paul | |
Zalewski parat: „Der Zugang zu Ihrem Arbeitsplatz ist gewährleistet“, hei�… | |
es in einem Rundschreiben. *Name geändert | |
17 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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