# taz.de -- Klimastreik in Krisenzeiten: „Wir können nicht zurück zu normal… | |
> Die Pandemie kommt zur Klimakrise obendrauf, nicht stattdessen. Wie gehen | |
> Aktivistinnen weltweit damit um? Drei Protokolle. | |
Nanticha Ocharoenchai aka Lynn: „Wir haben so viel politisches Drama in | |
Thailand“ | |
„Es ist komisch: [1][Die Pandemie] hat alles verändert, aber in meinem | |
Leben ist eigentlich nichts anders geworden. Ich bleibe auch so meistens zu | |
Hause, treffe nicht viele Leute. Ich lebe in Bangkok und ich gehe nicht | |
gern in die Stadt, zu stressig. Meine Arbeit konnte ich bisher immer von zu | |
Hause machen. | |
In Thailand gibt es keine offizielle Ausgangssperre, wir sollen jedoch zu | |
Hause bleiben. Es gibt hier aber viele Menschen, die sich das nicht leisten | |
können. Ihr Überleben hängt von Jobs ab, für die sie rausgehen müssen. Und | |
viele Menschen haben auch gar kein Zuhause, in dem sie bleiben können. Also | |
das ist ein Problem. Was die Zahl der Infizierten betrifft, haben wir – | |
glaub ich – um die 2.000 bestätigte Fälle. Ich habe, ehrlich gesagt, nicht | |
so viele Nachrichten gelesen, das quält mich zu sehr. | |
Mit der Klimastreik-Bewegung, die ich hier ins Leben gerufen habe, wollten | |
wir [2][zum Earth Day am 22. April] eigentlich streiken. Jetzt organisieren | |
wir gemeinsam mit “We The Planet“ einen Netzstreik. Menschen schicken uns | |
Videos mit ihren Forderungen. | |
Die Pandemie zeigt, dass wir die Emissionen senken KÖNNEN, wenn wir das | |
wollen. Und die Medien und die Regierung hier fangen an, sich mit dem | |
Zusammenhang zwischen Dingen wie Abholzung und Wildtierhandel und dem | |
Ausbruch des Virus zu beschäftigen. Viele Umweltorganisationen und auch wir | |
versuchen jetzt, klarzustellen: Diese Pandemie mag uns hart treffen, die | |
Klimakrise wird uns noch härter treffen, wenn wir unsere Emissionen nicht | |
verringern. | |
Und dann haben wir noch ein anderes drängendes Problem in Thailand. Im | |
Norden des Landes wüten riesige Feuer. Viele Flächen werden für den | |
Maisanbau niedergebrannt. Aber die Feuer sind jetzt übergesprungen auf | |
geschützte Wälder und breiten sich aus. Die Folge ist eine krasse | |
Luftverschmutzung in der Region. Einige Presseagenturen berichten darüber, | |
aber die Aufmerksamkeit reicht lange nicht. Es ist, als würde halb Thailand | |
brennen – und niemand spricht darüber. | |
Wir können wirklich nicht “zurück zu normal“ gehen, absolut nicht. Ich | |
hoffe, dass die Politiker*innen jetzt merken, wie vermasselt die Situation | |
ist. Das erste, was sie tun sollten, ist aufzuhören sich zu streiten. Wir | |
haben so viel politisches Drama in Thailand. Unproduktive Streits, die viel | |
zu viel Zeit und Energie für wichtigere Dinge rauben, die Energiewende zum | |
Beispiel.“ | |
Maira Kellers: „Über positive Aspekte der Krise zu sprechen finde ich | |
grenzwertig“ | |
„Für die Klimabewegung ist es gerade eine riesige Herausforderung, | |
überhaupt den Diskurs aufrecht zu erhalten. Corona ist allgegenwärtig, das | |
Klima fällt hinten runter. Andererseits erleben wir gerade alle eine Krise | |
– und merken, wie doof Krisen sind. Wir versuchen, dieses Gefühl in | |
Motivation umzuwandeln, die uns auch gegen die Klimakrise hilft. Denn die | |
ist nicht zu unterschätzen! | |
Und dann hat die Pandemie natürlich auch einen konkreten Effekt auf uns als | |
Bewegung. Mit unseren Streiks mussten wir von der Straße ins Netz umziehen. | |
Wir treffen uns jetzt freitags alle in einer Videokonferenz, jede [3][mit | |
ihrem eigenen Schild]. Und dann versuchen wir, das Internet mit Bildern von | |
uns und unseren Schildern zu fluten, um sichtbar zu sein. Und wir suchen | |
gerade aktiv nach weiteren kreativen Aktionsformen im Internet. Zum Glück | |
haben wir uns vorher auch schon digital organisiert, sodass wir nicht bei | |
Null anfangen müssen. | |
Über positive Aspekte der Krise zu sprechen, finde ich grenzwertig. Wir | |
wissen alle, wie schrecklich das Ganze gerade ist. Aber was meiner Meinung | |
nach einen Mehrwert hat: Es werden gerade Dinge sichtbar, die nicht gut | |
laufen. Wie zum Beispiel, dass systemrelevante Jobs in der Pflege | |
überlastet und gleichzeitig unterbezahlt sind. Das zeigt, dass an den | |
Grundlagen des Systems etwas nicht stimmen kann. Fridays for Future kämpft | |
ja für Klimagerechtigkeit, dazu gehört eben auch soziale Gerechtigkeit. Und | |
die ist nicht hergestellt, solange in den systemrelevanten Berufen so | |
schlecht entlohnt wird. Ich hoffe, dass wir den Moment, in dem gerade eh | |
alles anders ist, nutzen, um strukturelle Veränderungen anzustoßen. Im | |
Großen wie auch auf individueller Ebene. | |
Meine Forderung an die Menschen: Schließt Euch Fridays for Future an, macht | |
bei unseren Streiks mit. Kurzum: Behandelt jede Krise wie eine Krise!“ | |
[4][Der Interview-Mitschnitt auf IGTV] | |
Tonny Nowshin: „Zu Hause bleiben bedeutet zu verhungern“ | |
„Wenn ich mir eine Apokalypse aussuchen müsste, würde ich eher die Corona- | |
als [5][die Klimakrise] wählen. Wenigstens betrifft Corona nur uns | |
Menschen. Und gibt uns die Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie viel | |
Platz wir auf dem Planeten einnehmen, wie wir mit den anderen Lebewesen | |
umgehen. | |
Ich habe trotzdem emotional mit der Pandemie zu kämpfen – wie wir alle. Was | |
mich am meisten belastet, ist die Situation zu Hause. Ich komme aus | |
Bangladesch. Die meisten Länder waren ja nicht auf eine Pandemie | |
eingestellt, wie man am Beispiel der USA momentan sieht. Aber im Globalen | |
Süden fehlen auch noch die Ressourcen, um damit fertigzuwerden. Zu Hause zu | |
bleiben bedeutet für einen großen Teil der bangladeschischen Bevölkerung, | |
zu verhungern. Denn wir haben einen riesigen informellen Sektor mit | |
Tagelöhner wie zum Beispiel Rikscha-Fahrern, die von ihrem täglichen | |
Einkommen leben. Quarantäne heißt für sie: kein Geld, also kein Essen. Das | |
ist Krise auf einem anderen Level. Und wenn ich die Nachrichten und Zahlen | |
sehe, sehe ich das Leid. Nicht jeder kann verstehen, was für ein | |
emotionaler Stress das für mich ist. Aber ich will auch kein Mitleid. Ich | |
versuche, weiter zu arbeiten. | |
In den letzten zwei Jahren haben wir versucht, den weltgrößten | |
Mangrovenwald zu retten, der in Bangladesch steht. Er wird von den Plänen | |
für das Kohlekraftwerk Rampal und dessen Infrastruktur bedroht. Am Dienstag | |
haben wir [6][eine Petition gegen die deutsche Firma Fichtner gestartet,] | |
die technische Beratung macht und in den Bau von Rampal involviert ist. Wir | |
möchten, dass sie sich aus dem Projekt zurückzieht. | |
Was die Pandemie betrifft, hoffe ich, dass wir danach nicht einfach wieder | |
in “die Normalität“ zurückgehen. Diese Krise macht einmal mehr deutlich, | |
dass unsere Gesellschaften nicht uns Menschen schützt, wenn die Politik | |
Rettungsschirme für Banken statt Menschen vergibt. Aber jetzt, da alles | |
angehalten ist, reflektieren wir darüber, was uns wichtig ist. Und das kann | |
sehr wirkmächtig sein.“ | |
[7][Der Interview-Mitschnitt auf IGTV] | |
24 Apr 2020 | |
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[1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746 | |
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[6] https://www.change.org/p/fichtner-engineering-und-consulting-kohlekraftwerk… | |
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## AUTOREN | |
Leonie Sontheimer | |
Celine Weimar-Dittmar | |
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