# taz.de -- Die steile These: Saisonabbruch jetzt! | |
> Wer den Fußball liebt, muss die Bundesliga-Saison jetzt beenden. Bei | |
> Geisterspielen fehlt der 12. Mann. | |
Bild: Kerr, wat war dat schön! Szene aus dem Dortmunder Fußballstadion – vo… | |
Es geht ein Gespenst um in Fußballdeutschland, es geistert gewissermaßen | |
durch den öffentlichen Diskurs: das Gespenst der Geisterspiele. | |
Während viele Dinge mindestens den gesamten Sommer dichtbleiben, solle die | |
Fußball-(Männer, was sonst?)-Bundesliga doch möglichst am 9. Mai ihren | |
Betrieb wieder aufnehmen, um die vor acht Wochen unterbrochene Saison zu | |
Ende zu bringen. Ohne Stadionpublikum, als reine Fernsehsportart. Das dies | |
bedenkenswert sei, darin waren sich Anfang der Woche sogar Markus Söder und | |
Armin Laschet einig. | |
Dabei besteht die Spezies der Geisterspiel-Befürworter:innen aus | |
verschiedenen Gruppen: Die einen sind die Funktionäre der Deutschen | |
Fußballliga (DFL), der Vereine, und alle anderen, die mit Fußball Geld | |
verdienen. | |
Sie haben ein System zu verantworten, in das Geldsummen jenseits jeder | |
Vorstellungskraft geflossen sind und das trotzdem nach wenigen Wochen | |
Stillstand vor dem Kollaps steht: [1][Nach einem Bericht des Kicker] sollen | |
13 der 36 Vereine aus der Ersten und Zweiten Bundesliga von der Insolvenz | |
bedroht sein. Deswegen soll es nun weitergehen, deswegen sollen Spieler wie | |
am Fließband auf Covid-19 getestet werden – durch die gesellschaftliche | |
Bedeutung, die der Fußball habe, sei dies zu rechtfertigen, sagen die | |
Funktionäre. | |
## Fans leisten mehr als tolle Bilder | |
Die zweite Spezies sind die Abertausenden Fans, die jetzt einfach mal | |
wieder Bock auf Fußball haben, es sich mit einem Bierchen schön vorm | |
Fernseher gemütlich machen und zwei Stunden an etwas anderes als Corona | |
denken wollen. Geisterspiele seien immer noch besser als nichts, sagen sie. | |
Und dann gibt es noch die, die jetzt süffisant argumentieren, dass | |
Geisterspiele doch eigentlich nur konsequent „die Reinform des | |
kapitalisierten Profisportgeschäfts“ abbildeten. [2][So schrieb es mein | |
Kollege Felix Lorber am vergangenen Wochenende an dieser Stelle]. Die Fans | |
vor Ort wären „nicht mehr als ein Zusatz“, angewiesen seien die Vereine auf | |
sie nicht, weil sich der Profifußball, anders als andere Sportarten, auch | |
ohne Zuschauereinnahmen finanzieren könne. | |
So würden Ultras mit ihren Choreografien zwar „tolle Bilder und wertvolle | |
Werbung für das zu verkaufende Produkt“ liefern und seien so „hilfreich und | |
gewinnbringend“, aber: „zur Not geht es auch ohne. Gespielt wird für das | |
Livebild“. | |
Sie alle liegen falsch. | |
Zwar stimme ich zu, dass Bilder aus dem Dortmunder Westfalenstadion | |
bestimmt beim Verkauf des Produkts Fußball helfen. Gibt es etwas Schöneres | |
und Beeindruckenderes als die Gelbe Wand, die mit 25.000 Plätzen größte | |
Stehplatztribüne der Welt? Nicht viel. | |
Trotzdem reduziert sie das nicht zu einem Fernsehbild, die Dortmunder Fans | |
nicht zu „besseren Angestellten der TV-Gesellschaften“. Für kulturell | |
besoffene Münchener, Heidelberger und Berliner mag das wenig | |
nachvollziehbar sein, ja sogar primitiv daherkommen. Aber wer nie dort | |
stand, nie mit 80.000 anderen für die gleiche (und dabei totalitär | |
unverdächtige) Sache gefiebert hat, kann das nicht verstehen und wird es | |
auch durch Fernsehbilder nicht. | |
Dass die Fans der 12. Mann auf dem Platz sind, habe ich in Dortmund mehr | |
als einmal erlebt. Nie und nimmer hätten wir am vorletzten | |
Bundesligaspieltag 2007 noch Schalkes Meisterschaft verhindert, wäre dieser | |
als Geisterspieltag ausgetragen worden. | |
Nie und nimmer hätten wir dank zwei Toren in der Nachspielzeit gegen den FC | |
Málaga 2013 das Halbfinale in der Champions League erreicht. Und nie und | |
nimmer hätte auch – ja, ich sag’s – der FC Schalke beim Revierderby 2017 | |
aus einem 0:4 noch ein 4:4 gegen uns gemacht, hätte er seine Fans nicht im | |
Rücken gehabt. | |
## Wer den Fußball liebt, liebt keine Geisterspiele | |
Die Emotionen, die die Fans aufs Feld tragen, entscheiden Spiele. Das macht | |
den Fußball fairer, weil so auch schwächere Mannschaften Partien drehen und | |
gewinnen können. | |
Wer zurecht bemängelt, der Fußball sei ein von der Gesellschaft zunehmend | |
entkoppeltes Plastikprodukt, für den können Geisterspiele keine Lösung | |
sein. Denn sie wären nur die Manifestation dessen. Sie wären nicht | |
„ehrlich“, wie mein Kollege schrieb, sondern eine Kapitulation. Drum dürfen | |
sich gerade die, die den Fußball lieben und vermissen, nicht mit | |
Geisterspielen anfreunden, nur weil sie mal wieder Bock darauf haben, | |
Bayern gegen Dortmund zu gucken. | |
Sie würden sich gemein machen mit denen, die in den Fans nur die | |
verlängerten Arme der Marketingabteilungen von Vereinen und | |
TV-Gesellschaften sehen. Sie würden zulassen, dass der Eindruck entsteht, | |
Fußball ohne Fans sei möglich. Sie würden ihre eigene Bedeutung | |
marginalisieren. | |
Dabei können selbst im durchkapitalisierten Fußball Fans etwas bewirken. | |
Wie etwa bei Spielen am Montagabend: Die hatte die DFL 2018 begonnen, auch | |
in der Ersten Liga anzusetzen, weil das mehr Geld für alle bei der | |
TV-Vermarktung bedeutete. Die Liga zeigte schon dabei, dass ihr der | |
Fernsehzuschauer wichtiger ist als die Stadiongängerin. | |
Fanszenenübergreifende Proteste haben bewirkt, dass [3][Montagsspiele zur | |
Saison 2021/22 wieder abgeschafft werden]. | |
## Die Fans sind das wichtigste Korrektiv im Fußball | |
Wen aber hätte das gekümmert, der nicht viele hundert Kilometer fährt, um | |
seinen Verein auswärts zu unterstützen? Die DFL, die Fifa, die Uefa, all | |
diese sympathischen Altherrenklubs könnten noch viel beherzter bescheißen, | |
würden die Fans nur noch auf Bildschirme glotzen. Bis dahin aber | |
funktionieren die Fans als Korrektiv – als einziges, von temporären | |
Rechercheverbünden abgesehen. | |
Was stimmt: Fans verleihen dem Fußball mitunter ein sehr hässliches | |
Gesicht. Rassistische und homophobe Beleidigungen, Sexismus und | |
Fadenkreuzplakate sind immer noch Alltag in deutschen Stadien – und | |
indiskutabel. Fertig. | |
Damit jedoch ist der Fußball schlicht ein Abbild der Gesellschaft. Und | |
natürlich gilt, dass überall da, wo Männer in großer Zahl zusammenkommen | |
und Alkohol trinken, Probleme entstehen. Ist irgendjemand deswegen für | |
ausschließlich virtuelle Festivals, Konzerte, Diskobesuche, | |
Weihnachtsfeiern, Sommerfeste? | |
Es sind toxische Männlichkeitsbilder, rassistische und sexistische | |
Strukturen, die unsere Gesellschaft vergiften. Zugegeben, der Fußball | |
transportiert einige dieser Bilder – umso wichtiger ist es, dass andere | |
hinzukommen und die alten verdrängen. | |
Als ich mit 13 Jahren mit meiner ersten Dauerkarte ins Westfalenstadion | |
gegangen bin, waren da eben noch sehr viel weniger Mädchen und Frauen als | |
heute. Und als Vereinzelte die Schweigeminute für die Opfer des | |
rechtsextremistischen Anschlags von Hanau stören wollten, [4][ließen die | |
Frankfurter Fans das nicht zu]. | |
Starke linke Ultragruppen erinnern an Opfer rechter Gewalt, bieten Frauen | |
in ihren Reihen einen sicheren Raum, prangern Rassismus, Sexismus und | |
Antisemitismus an. Weil der Fußball dieses Abbild der Gesellschaft ist, | |
müssen derartige Kämpfe auch auf der großen Bühne ausgetragen werden, die | |
der Fußball bietet. | |
Die gesellschaftliche Entkopplung des Fußballs muss aufhören. Sie würde | |
aber noch verstärkt, wenn Fans nur noch eine Erinnerung sind. Deswegen muss | |
die Saison 2019/20 jetzt abgebrochen und die gewonnene Zeit genutzt werden. | |
Ultragruppen schlagen etwa vor, eine Diskussion über grundlegende Reformen | |
anzustoßen, um den Profifußball nachhaltiger und wirtschaftlich | |
krisensicherer zu machen und die Abhängigkeit von den TV-Geldern zu | |
beenden. | |
Wer aber soll dann Meister werden? Ich finde ja, die Tabelle vom 2. | |
Spieltag der laufenden Saison sah ganz gut aus. | |
25 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kicker.de/773385/artikel | |
[2] /Die-steile-These/!5676843 | |
[3] /Fussball-Bundesliga/!5549847 | |
[4] https://www.kicker.de/770228/artikel | |
## AUTOREN | |
Hanna Voß | |
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