Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Das Corona-Dilemma mündiger Fußballprofis: Nur Marionetten
> Es soll wieder Fußball gespielt werden. Die besorgten Profis dürfen aber
> nicht mitreden. Gibt es denn für sie ein Verweigerungsrecht?
Bild: Will sich den Mund nicht verbieten lassen: Subotić von Union Berlin auf …
An nahezu alles hat die Deutsche Fußball Liga für den Neustart der Saison
gedacht. Weshalb wohl in kaum einem Bericht der letzten Wochen die
Information fehlen dürfte, dass das Hygienekonzept der DFL, das
Grundlagenwerk für die Rückkehr auf den Rasen, stolze 41 Seiten stark ist.
Eine Kleinigkeit haben die Funktionäre dann aber doch außer Acht gelassen.
Ein Gewohnheitsfehler zwar, aber doch irgendwie misslich: Sie haben
vergessen, die Protagonisten des Spiels, die Fußballprofis, in ihre
Entscheidungen und Pläne miteinzubeziehen. [1][Neven Subotić], der
Verteidiger von Union Berlin, beklagte jedenfalls: „Wir haben keinen Sitz
am Tisch, wir wurden nicht konsultiert.“ Das Management der Krise sehe er
kritisch.
Verbitterung schwang gar in der Feststellung des Drittliga-Profis Sören
Bertram vom 1. FC Magdeburg mit: „Wir sind nur Marionetten.“ Er berichtete
von einer großen Sorge unter den Aktiven: „Wir sind alle im Kopf nicht
frei, weil wir nach einer Infektion für den Rest unseres Lebens
Lungenprobleme haben könnten.“ So nachdenklich haben sich bislang wenige
geäußert. [2][Das Handyfilmchen von Hertha-Profi Salomon Kalou] verbreitete
stattdessen einprägsame Bilder von erstaunlich unbekümmerten und
erstaunlich distanzlosen Fußballprofis.
Sorgenvolle Anfragen treffen aber ebenso beim Heidelberger Anwalt und
Sportrechtsexperten Michael Lehner ein. Dabei gehe es den Profis nicht nur
darum, ob man Gehaltsverzicht hinzunehmen habe. „Ich werde auch gefragt:
Muss ich das machen? Muss ich spielen?“, erzählt Lehner.
## Vollkontakt bei Distanzempfehlungen
Die Rechtsauffassungen dazu sind unterschiedlich. Die Vereinigung der
Vertragsfußballspieler e. V., die Fußballergewerkschaft, hat ihren
Mitgliedern erklärt, sie müssten sich fügen, sofern die Vorgaben des
Arbeits- und Infektionsschutzes befolgt seien. Lehner ist zum gegenteiligen
Ergebnis gekommen: „Es muss ein Verweigerungsrecht des Spielers geben.“ Die
Angestellten in der Autoindustrie könnten an ihrem Arbeitsplatz die
Hygiene- und Distanzempfehlungen des Robert-Koch-Instituts weitgehend
befolgen und hätten deshalb kein Recht, zu Hause zu bleiben. Bei einer
Vollkontaktsportart wie dem Fußball sei das aber unmöglich.
Empfiehlt Lehner also seinen Mandanten den Weg vors Gericht? „Ich kann doch
keinen gegen die Wand fahren lassen und ihm raten, den Michael Kohlhaas zu
spielen“, erklärt Lehner. So ein Musterprozess würde keinen Sinn machen,
weil die Spieler riskieren würden, künftig gemieden und nicht mehr
angestellt zu werden. Sie müssten gezwungenermaßen mitmachen. „Es ist eine
Abhängigkeit, die durch viel Geld erkauft wird.“
Andererseits ist Schalke 04 einer DFL-Emfpehlung nachgekommen und hat
seinen Profis ausdrücklich versichert, die Teilnahme am Trainings- und
Spielbetrieb sei freiwillig. Andere Klubs meiden derlei Ansagen. Lehner
erklärt, als Anwalt von Schalke 04 hätte er auch zu dem Schritt geraten.
Denn sollte sich jemand in Kürze vor Gericht beklagen wollen, weil er sich
wegen der zu kurzen Vorbereitung gleich im ersten Spiel das Kreuzband
gerissen hat, wäre es auf Schalke um seine Chancen schlechter bestellt.
Michael Lehner sieht noch weitere entmündigende Probleme im DFL-Konzept.
Die Möglichkeit, dass nun die Saison über das Vertragsende einiger Spieler
am 30. Juni ohne deren Einverständnis andauern könnte, hält er juristisch
für bedenklich: „Ich kann doch nicht einfach Spieler zwei Monate länger im
Vertrag halten.“
Mehr Mitspracherecht fordert Johannes Herber schon von Berufs wegen ein.
Der frühere Basketballprofi ist Geschäftsführer [3][des 2017 gegründeten
Vereins Athleten Deutschland e. V.]- einer unabhängigen
Interessenvertretung deutscher Leistungssportler. Sowohl die Fußball- als
auch die Basketballfunktionäre, die ebenfalls gerade einen Neustart der
Saison planen, hätten vielen Sorgen und Zweifeln der Akteure frühzeitig
begegnen können, argumentiert Herber, wenn man sie einbezogen hätte. Es
fehle schon an Transparenz. „Basketballspieler haben mir berichtet, sie
müssten auf die Website der Basketball-Bundesliga (BBL) gehen, um etwas in
Erfahrung zu bringen. Deren Hygienekonzept ist bislang noch nicht einmal
öffentlich zugänglich.“
Athleten Deutschland versucht in Beratungsgesprächen, auf die wichtigen
Fragen in Zeiten der Coronapandemie aufmerksam zu machen. Herber erklärt:
„Es ist für Leistungssportler etwa wichtig zu wissen, ob bei bleibenden
Lungenschäden die Berufsunfähigkeitsversicherung greift.“ Wahrscheinlich
sei das nicht der Fall, das müsse aber offengelegt werden. Herber wünscht
sich von den deutschen Sportverbänden ein Verständnis dafür, dass auch
gemeinsam getragene Projekte unter Regeln der Fairness blühende Geschäfte
hervorbringen können. Schützenswerte Interessen müssten nicht automatisch
gewinnschädigend sein. Im australischen Sport gäbe es dafür gute Beispiele
– etwa beim Frauenfußball oder beim Cricket.
Doch Johannes Herber sieht auch die Sportler in der Pflicht, mehr für ihre
Rechte zu kämpfen. Die sich in der Krise mehr verbreitende Erkenntnis, wie
wichtig organisierte Athletenvertretung sei, wäre das eine. „Es ist aber
ein großer Schritt, dies dann mit großem Engagement durchzuziehen.“
16 May 2020
## LINKS
[1] /Liebling-der-Fans-Neven-Subotic/!5646812
[2] /Corona-Video-von-Salomon-Kalou/!5682975
[3] https://athleten-deutschland.org/
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
Fußball
Schwerpunkt Sport trotz Corona
DFL
Profi-Fußball
Kolumne Frühsport
Kolumne Frühsport
Kolumne Helden der Bewegung
Schwerpunkt Sport trotz Corona
Kolumne Frühsport
Schwerpunkt Coronavirus
Fußball und Politik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rigorose Strafe für Basketballer Saibou: Maximale Engstirnigkeit
Basketballprofi Joshika Saibou wird fristlos entlassen, weil er auf einer
Anti-Corona-Demo ohne Gesichtsmaske läuft. Eine maßlose Reaktion.
Fußballprofi gegen Lohnverzicht: Walden-Momente in der Bundesliga
Sebastian Polter vom 1. FC Union Berlin stellt sich gegen das Dogma vom
Gehaltsverzicht. Ist das schlimm?
Wie Kalou uns Lindners Traum zeigte: Der Bote trägt die Verantwortung
Gerade ein treuherziger Mann wie Salomon Kalou zeigt, wie es hinter den
Kulissen läuft. Das ist so tragisch wie logisch.
Bunte Ligen: Fußball ohne DFB
In den alternativen Ligen geht man anders mit der Krise um. Auf
SpielerInnen und Gesundheit wird geachtet. Bringt Corona dem bunten Fußball
Zulauf?
Kritik am Bundesliga-Start: Grillfest der Saturierten
Die Fußball-Bundesliga ist wichtig, schon klar. Dass ihre Privilegien jetzt
zementiert werden, ist aber ein Problem.
Die steile These: Saisonabbruch jetzt!
Wer den Fußball liebt, muss die Bundesliga-Saison jetzt beenden. Bei
Geisterspielen fehlt der 12. Mann.
Fußballprofis als Gewerkschafter: Idole für die Jugend
Die Spielergewerkschaft FIFPro will aktiver für Athletenrechte kämpfen.
Eine schöne Gelegenheit, aus Sportlern gute Vorbilder zu machen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.