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# taz.de -- Arbeitsschutz in Zeiten von Corona: Bitte mehr Abstand
> Im Privatleben sind soziale Kontakte tabu und werden sogar bestraft. Aber
> für Betriebe, Behörden und Büros gibt es keine verbindlichen Regeln.
Bild: Mundschutz und Plastikscheibe sollen Kunden und Kassierer schützen
Absurd: Zu neunt fahren PolizistInnen ohne jeden Schutz im Mannschaftswagen
zu Einsätzen – aber wer zu dritt im Park spazieren geht, muss mit einem
Bußgeld rechnen, selbst wenn alle Beteiligten Schutzmasken tragen. Bei
Personenkontrollen ist es schwer, den geforderten Sicherheitsabstand von
1,5 bis 2 Metern einzuhalten, trotzdem sind die PolizistInnen nicht
flächendeckend mit Schutzmasken ausgestattet. Wie viele Beschäftigte in
diesen Tagen müssen sie sich selbst helfen. Kein Wunder, dass sich
PolizistInnen im Dienst infizieren, Tausende sind bereits in Quarantäne,
allein 1.600 in Baden-Württemberg.
Im Privatleben sind soziale Kontakte zurzeit tabu, selbst allein in der
Öffentlichkeit auf einer Bank zu sitzen wird teils nicht geduldet. Aber in
Betrieben, Behörden und Büros treffen nach wie vor viele Menschen
aufeinander, mitunter ohne Sicherheitsabstand von 1,5 bis 2 Metern und ohne
irgendeinen Schutz. Das Problem: Ob oder wie ArbeitgeberInnen ihre Leute
schützen, ist offenbar Glückssache. Und es hängt davon ab, wie sehr Firmen
auf ihre Belegschaft angewiesen sind. Oder davon, ob es in der Branche
überhaupt möglich ist.
Zum Beispiel beim Thema Ernährung: In der Lebensmittelindustrie herrscht
Hochkonjunktur. Der Nachschub von Material läuft reibungslos, Sorgen
bereitet den Unternehmen aber das Personal, sagt Torsten Gebehart von der
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Nordrhein-Westfalen. „Die
Arbeitgeber haben ein vitales Interesse, dass die Beschäftigten gesund
bleiben“, sagt er. In den meisten Betrieben laufen die Maschinen rund um
die Uhr, schon ein Ausfall von wenigen Stunden verursacht erhebliche
technische Probleme. Ein Coronafall in der Belegschaft kann zu dramatischen
Ausfällen führen.
## Leitlinien? Nur freiwillig
Die NGG geht davon aus, dass die Unternehmen Vorkehrungen treffen, etwa
dafür sorgen, dass Abstandsregeln eingehalten werden oder das Umkleiden
zeitlich versetzt erfolgt. Doch das ist nicht in allen Bereichen der
Nahrungsmittelversorgung so, fürchtet Torsten Gebehart. Bei Lieferdiensten
von Restaurants etwa könnte es Probleme beim Schutz der Beschäftigten
geben, etwa wenn sie bei der Auslieferung direkten Kontakt mit den
KundInnen haben.
Im Einzelhandel haben Unternehmen sichtbare Schutzmaßnahmen für die
Beschäftigten ergriffen, etwa Plastiktrennwände an Kassen aufgehängt oder
die Zahl der KundInnen begrenzt, die in den Laden dürfen. „Zu meinen
normalen Aufgaben der Ladenpflege kommt nun, Leute zu zählen, sie auf den
Mindestabstand hinzuweisen und Einkaufswagen zu desinfizieren“, berichtet
Einzelhandelskaufmann Markus Benz, der bei einem Discounter arbeitet.
Mitunter haben Sicherheitsmaßnahmen nur Pro-forma-Charakter, wie der
Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes erfahren musste, der kurz vor der
Rente steht und an einem Flughafen eingesetzt wird. „Irgendwann lagen am
Arbeitsplatz Infozettel mit Hygieneanweisungen rum“, sagt der Mann, der aus
Angst vor Repressalien anonym bleiben will. Auf dem Zettel seien die
MitarbeiterInnen aufgefordert worden, Abstand voneinander zu halten. „Das
ist aber praktisch unmöglich, wenn ich Fluggäste abtasten muss und sich
alle auf einmal in den Kontrollbereich drängen“, sagt er. Knapp zwei Wochen
verbrachte er wegen seiner Covid-19-Infektion im Krankenhaus. Da er seit
Auftreten der ersten Coronafälle die Öffentlichkeit gemieden hat, geht er
davon aus, dass er sich durch Kontakt mit Fluggästen infiziert hat. Sein
Arbeitgeber antwortete auf eine Anfrage der taz nicht.
Unternehmen haben eine Fürsorgepflicht gegenüber Beschäftigten, sie müssen
sie vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen. Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbände haben Leitfäden für den Schutz der MitarbeiterInnen
erstellt. Ob Firmen das umsetzen, bleibt ihnen überlassen – es sei denn, es
gibt dazu innerbetriebliche Vereinbarungen. Vor allem in größeren
Unternehmen werden in diesen Wochen Betriebsvereinbarungen zum Schutz vor
Corona zwischen ArbeitgeberInnen und Betriebsräten geschlossen, sagt
Manuela Maschke, Referatsleiterin für Arbeit und Mitbestimmung bei der
gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Im Optimalfall haben Unternehmen einen Pandemieplan vorbereitet. Der
regelt, welche Hygienemaßnahmen ergriffen werden, legt Zuständigkeiten und
AnsprechpartnerInnen fest. „Große Unternehmen haben so etwas“, sagt
Maschke. Die Pläne sind in der Regel gemeinsam mit Betriebsräten erstellt
worden. Kleine Betriebe beginnen jetzt erst, sich damit zu beschäftigen.
Chefs kleiner Unternehmen wie Andreas Diensthuber, der eine Baufirma in
Bayern hat, setzen sich jetzt erstmals mit Infektionsrisiken auseinander.
Er und seine acht Angestellten sind trotz Corona weiter auf Baustellen
unterwegs. „Der Betrieb läuft“, sagt er. Deshalb haben er und seine Leute
auch weiterhin Kontakt zu Kunden. „Ich kann da die 1,5 Meter Abstand
halten“, sagt er. Aber für die Maurer auf der Baustelle sei das „fast nicht
durchführbar“. Er habe zwar – wenige – Staubmasken, aber „bei körperl…
schwerer Arbeit kann ich keine Atemschutzmaske aufzwingen. Das ist auf
Dauer unzumutbar.“
## Zu wenige Schutzmaßnahmen
Beschäftigte anderer Branchen hätten gern Masken, bekommen aber keine.
ZustellerInnen der Deutschen Post beschweren sich, dass der Konzern ihnen
keine Handschuhe, Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel zur Verfügung
stellt. Sie haben täglich Kundenkontakt. „Hier muss schnellstmöglich
nachgebessert werden, denn auch solche Kontakte entscheiden schließlich mit
darüber, ob die Pandemie eingedämmt wird“, fordert die
DPVKOM-Bundesvorsitzende Christina Dahlhaus. Die Deutsche Post ist der
Auffassung, dass sie sich schon sehr früh auf die Coronapandemie
vorbereitet habe. Bereits im Februar habe man ein tägliches Lagezentrum
eingerichtet, um „mögliche Auswirkungen der Ausbreitung des Virus auf
unseren Betrieb eng zu begleiten“, sagt eine Sprecherin. Es gebe zu wenige
Schutzmasken und Handschuhe für die ZustellerInnen, räumt sie ein.
Mittlerweile sei aber immerhin die erste Beschaffung zusätzlicher
Desinfektionsmittel auf den Weg gebracht worden.
Um unnötige soziale Kontakte auf dem Weg zur Arbeit zu vermeiden, würden
viele Beschäftigte gerne von zu Hause aus arbeiten. Es gibt aber keinen
Rechtsanspruch darauf. Ob etwas daraus wird, hängt in der Privatwirtschaft
wie im öffentlichen Dienst von der Entscheidung der jeweiligen
ArbeitgeberInnen oder Vorgesetzen ab. Zum Beispiel bei den
Arbeitsagenturen. Dort ist der Publikumsverkehr bis auf Weiteres komplett
ausgesetzt. In Baden-Württemberg muss stets etwa die Hälfte der
Beschäftigten in der Agentur sein. Das sei wichtig, damit die Server nicht
überlastet werden, erklärt Sprecherin Moira Denkmann. Deswegen entscheiden
die Vorgesetzten, wer von zu Hause aus arbeitet und wer nicht. „Jeder
Agenturchef hat da Freiräume“, sagt sie.
Überall im öffentlichen Dienst erschwert der „Digitalisierungsrückstand“,
wie der Deutsche Beamtenbund es nennt, den Wechsel ins häusliche Arbeiten.
„Viel Improvisation und guter Wille sind vorhanden, aber es rumpelt mit dem
Homeoffice“, sagt der Vorsitzende Ulrich Silberbach. Nicht nur überlastete
Server führen zu Problemen. Arbeiten mit sensiblen Daten – wie
Lohnbescheide, Personal-, Polizei- oder Gerichtsakten – können nicht in
Heimarbeit erledigt werden, weil sie besonders geschützt sind. Oft ist die
Technik veraltet, kritisiert der Beamtenbund. So fehlt vielerorts schlicht
die technische Infrastruktur, oder Akten sind noch nicht digitalisiert.
„Definitiv mehr Homeoffice wäre möglich“, sagt Silberbach, „wenn die
Behörden technisch und mit der Digitalisierung nicht so hintendran wären.“
5 Apr 2020
## AUTOREN
Mareike Andert
Luisa Kuhn
Anja Krüger
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Atemschutzmasken
Arbeitsschutz
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