| # taz.de -- Corona auf dem Land: Schutzmasken mit Schlüppergummi | |
| > Landbewohner*innen sind nicht dem gleichen Infektionsrisiko ausgesetzt | |
| > wie Menschen in der Stadt. Aber auch sie fordert Corona emotional heraus. | |
| Bild: Atemschutz, selbstgemacht von Mama | |
| Herzliche Grüße aus dem ländlichen Raum. Hier ist es noch ruhiger als | |
| ohnehin schon. Wir Dörfler verkriechen uns in den Häusern, grüßen auf | |
| Sichtweite über den Gartenzaun und fragen uns gegenseitig nach dem werten | |
| Befinden. | |
| Nun, es könnte weiß Gott besser sein. Die oft ersehnte – und von den hier | |
| draußen in Betongold investierenden Berliner BauherrInnen in letzter Zeit | |
| zäh zerhämmerte – Ruhe, sie ist jetzt da. Aber sie fühlt sich nicht gut, | |
| nicht richtig an. | |
| Natürlich könnten wir zum abendlichen Applausspenden in unsere Gärten | |
| treten, die guten HelferInnen in den Krankenhäusern, Supermärkten, | |
| Verwaltungen und Dienststellen hätten es allemal verdient. Aber unsere | |
| Grundstücke sind zu weitläufig, als dass daraus ein soziales Geräusch | |
| werden könnte. Stattdessen ruft das Käuzchen vom Waldessaum, und ich fühle | |
| mich gleich noch beklommener. Es ist also nicht ausgemacht, was besser für | |
| das Nervenkostüm ist: [1][die urbane Enge bei gleichzeitig erhöhtem | |
| Infektionsrisiko] – oder die ländliche Weitläufigkeit, in der sich das | |
| Menschlein zwar von guter Luft umweht, aber auch sehr verlassen fühlen | |
| kann. | |
| Wenn mir gar zu bange wird, rufe ich meine Eltern an. Sie sind Mitte | |
| achtzig, meine Mutter gehört der Corona-Hochrisikogruppe an. Doch wenn ich | |
| die beiden frage, wie es ihnen geht, kommt ein sehr promptes „Gut!“. Und | |
| was soll ich sagen? Es scheint zu stimmen. Die beiden sind seit mehr als | |
| sechs Jahrzehnten beieinander, sie haben sich was zu erzählen, rascheln | |
| jeden Tag mit ihren Zeitungen. | |
| ## Luthers Apfelbäumchen | |
| Und jetzt, da der Frühling da ist, gehen sie manchmal stundenlang nicht an | |
| den Apparat, weil es im Garten so viel zu tun gibt. Lausche ich ihren | |
| Tagesberichten, denke ich an Luthers Satz vom Apfelbäumchen, das er noch | |
| heute pflanzen würde, sollte morgen die Welt untergehen. Mein 88 Jahre | |
| alter Vater hat das Gemüsebeet umgegraben; meine 83-jährige Mutter in einem | |
| komplizierten Verfahren die Aussaaterde für die Tomaten gesiebt. Tomaten – | |
| wer denkt denn jetzt an so was. Meine Eltern! | |
| Gestern war dann ein Umschlag in der Post. Meine Mutter hat sich nach ihrer | |
| Tomaten-Session noch an die Nähmaschine gesetzt [2][und für den Mann und | |
| mich Corona-Masken genäht]. Ich fühle mich sehr behütet, als ich die Masken | |
| aus dem Umschlag fische. In drei verschieden dicken Varianten liegen sie | |
| vor mir: Lamellenfaltung, mit Zickzack-Stich versäumt und mit einem | |
| Schlüppergummi für die Ohren. Mag sein, dass die Teile nicht dem | |
| internationalen Style-Standard entsprechen. | |
| Und mag auch sein, der Mann und ich brauchen sie gar nicht in all der guten | |
| menschenleeren Luft hier draußen. Aber das sind unsere Eltern: Die warten | |
| nicht, bis das Gesundheitsamt vor der Tür steht und Atemschutzmasken | |
| verteilt. Die nähen Masken, graben Beete um, sieben Anzuchterde. Und wenn | |
| man sie fragt, wie es ihnen geht, antworten sie: „Gut!“ Mein alter Nachbar | |
| setzt gerne noch hinzu: „Wat andret könn wa uns nich leisten.“ | |
| 24 Mar 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Deutschland-in-der-Corona-Krise/!5668575/ | |
| [2] /Gesundheitssystem-in-der-Corona-Krise/!5672466/ | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
| ## TAGS | |
| Bauernfrühstück | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Bauernfrühstück | |
| Bauernfrühstück | |
| Bauernfrühstück | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Alltagsleben | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Umgang mit der Coronakrise: Ostdeutsche Erfahrung kann helfen | |
| Meine Eltern haben die sogenannte Wende erlebt. Der Coronakrise begegnen | |
| sie entspannt. Sie wissen: Es gibt Dinge, die kann man nicht beeinflussen. | |
| Corona und die Stadt-Schwätzer: Ein bisschen Ruhe | |
| Dieses Land scheint in den Städten überwiegend aus Virologen zu bestehen. | |
| Gut, wenn diese nervenden Brüder und Schwestern nicht am Gartenzaun stehen. | |
| Isolation in Corona-Zeiten: Das weiße Rauschen | |
| Mein Lohn wird gezahlt, Essen habe ich auch – doch die Isolation genießen, | |
| das klappt nicht. Stattdessen wache ich nachts von Albträumen geplagt auf. | |
| Arbeitsschutz in Zeiten von Corona: Bitte mehr Abstand | |
| Im Privatleben sind soziale Kontakte tabu und werden sogar bestraft. Aber | |
| für Betriebe, Behörden und Büros gibt es keine verbindlichen Regeln. | |
| Beatmungsventile für Corona-Patienten: Heldenhafte Nachahmer | |
| In Italien haben zwei Ingenieure ein Ventil für Beatmungsmaschinen | |
| hergestellt, das Leben retten kann. Es stammt aus einem 3-D-Drucker. | |
| Fehlende Atemschutzmasken: Hilfe im Anmarsch | |
| In vielen Kliniken und Praxen fehlt es an Atemschutzmasken. Ausgerechnet | |
| jetzt sind 6 Millionen bestellte Masken verloren gegangen. | |
| Corona und der Alltag: Das Leben der Anderen | |
| Wir leben nicht in dem Ausnahmezustand, den der Philosoph Giorgio Agamben | |
| beschreibt. Aber die Corona-Krise trifft nicht alle gleichermaßen. | |
| Deutschland in der Corona-Krise: Ein Land bremst ab | |
| Am Dienstag spielen in Bremen die Theater. Am Mittwoch spielen in | |
| Wächtersbach die Kita-Kinder. Dann ändert sich dieses Land grundlegend. | |
| Alltag in Zeiten von Corona: Navigieren im Unheimlichen | |
| Das Coronavirus setzt gewohnte Maßstäbe außer Kraft. Damit steigt die | |
| Selbstverantwortung. Autoritäten helfen nur bedingt. |