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# taz.de -- Isolation in Corona-Zeiten: Das weiße Rauschen
> Mein Lohn wird gezahlt, Essen habe ich auch – doch die Isolation
> genießen, das klappt nicht. Stattdessen wache ich nachts von Albträumen
> geplagt auf.
Bild: Einfach mal dem großen Nichts lauschen? Wenn's doch nur so einfach wäre
Versuchen wir mal, die Vorteile zu sehen. Jetzt, da uns ohnehin niemand
beobachtet, können wir doch die Zügel schießen lassen. Duschen? Morgen
vielleicht. Das vor Wochen großspurig verkündete Alkoholfasten? Ach komm,
[1][die Zeiten sind hart genug]. Der fällige Haarschnitt? So was von
wurscht gerade. Menschen wie ich, die das Privileg der sozialen Isolation
bei fortlaufenden Bezügen und regelmäßigen Mahlzeiten genießen dürfen,
können jetzt mal ganz in Ruhe scheiße aussehen, überschaubaren Exzessen
frönen oder dem großen Nichts lauschen.
Dieses Nichts, das weiße Rauschen der Zivilisation, klopft immer mal wieder
an. Vor allem dann, wenn man sich gerade austariert hat zwischen
Todesangst, Todesverachtung und einem gewissen Respekt gegenüber dem
eigenen Verhalten, das man in seiner Dissozialität nur vernünftig nennen
kann. Ich mache alles so, [2][wie es Angela Merkel von mir verlangt] – also
bittschön, das hätte ich jetzt gern mit etwas frohem Mut honoriert. Doch
der meldet sich einfach nicht.
Schickt stattdessen den Albtraum, der mir morgens um vier eine emotionale
Bratpfanne über den Kopf zieht: Hallo! Aufwachen! Hier gibt’s nix zu
träumen, außer schlimmes Zeugs. Ich liege dann wach, koche mich mit
vernünftigen Argumenten – die direkt aus dem Krisenstab des Kanzleramts
kommen könnten – runter und versuche mit dem Schicksal zu handeln. Und
irgendwann – irgendwann! – wird es doch wieder hell, trotz der Sommerzeit.
## Vögel füttern, aufräumen, renovieren
Die Tage fülle ich mit Aktivität. Ich füttere die Vögel. Ich räume den
Schrank auf. Ich streife meine Überfall-Uniform über und mache im Baumarkt
Wandfarbe klar. Ich schleiche durch den Garten und suche nach Ecken, die
eine Neubepflanzung brauchen könnten. Ich lade mir mein taz-ePaper runter
und gebe mir große Mühe, Zeitung zu lesen, indem ich mich sowohl
konzentriere als auch bilde. Ich gebe mein Bestes, indem ich das weiße
Rauschen zu einem Etwas von Bedeutung aufzuplustern versuche. Seltsam (und
nicht ohne Komik), von einem Virus der eigenen Zweckmäßigkeit beraubt zu
sein.
[3][Dass es nicht nur mir so geht], entnehme ich der dörflichen
WhatsApp-Gruppe. Gebunden an Haus und Hof, gehen meine MitbürgerInnen
offenbar daran, ihre Liegenschaften einer Inventur zu unterziehen. Es
werden Fahrräder für wenige Euro verkauft – Social Distancing bei der
Übergabe wird selbstverständlich zugesichert. Vorhin kam ein Angebot für
mehrere Meter Ligusterhecke rein. Gestern waren Gartenschaukeln,
Buddelkästen und Spielhäuser für Kinder auf dem Markt, von denen ich mich
ohnehin stets gefragt hatte, wozu man die hier draußen in der guten Natur
braucht.
Und während ich diese Kolumne schreibe, sucht eine komplette Bar mit
Hockern neue BesitzerInnen. Den EigentümerInnen ist möglicherweise die
Fantasie dafür abhandengekommen, jemals wieder mit anderen Menschen an
diesem Partymöbel zu sitzen zu kommen. Ja, alles muss raus. Außer unseren
Gefühlen.
6 Apr 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Anja Maier
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