# taz.de -- Wie sich Krieg anfühlt: Verstaubte Wörter | |
> In Zeiten wie diesen sollte man mit Menschen sprechen, die von Faschismus | |
> betroffen waren. Sie können erzählen, wie er sich anfühlt und aussieht. | |
Bild: Während in Hanau Menschen ermordet werden, träumen Privilegierte von Bi… | |
Ich bin fasten gewesen. Als in [1][Hanau ein rechter Terrorist] neun | |
Mitbürger ermordet hat, dann seine Mutter und schließlich sich selbst | |
erschossen hat, schlief ich irgendwo in Schleswig-Holstein meinen | |
privilegierten Schlaf und träumte vermutlich von einer Bioavocado, die ich | |
schon recht bald auf meinem Teller haben würde. Morgens beim Yoga versuchte | |
ich die Bedrückung wegzuatmen. Es gelang nur so mittel. | |
Als ich am Wochenende zurückkehrte in mein brandenburgisches Habitat, | |
klingelte ich bei meinen lieben Nachbarn. Wie stets hatten die beiden über | |
Achtzigjährigen die Katze gefüttert, den Briefkasten geleert und die | |
Poststapel fein säuberlich für den Mann und für mich geordnet. Und wie | |
stets nach einer Reise brachten wir ihnen etwas zu essen mit. | |
Wir bedankten uns also und überreichten die Speise: diesmal eine | |
Manufakturwurst vom holsteinischen Galloway-Rind. „Und, wart ihr wieder | |
hungern?“, fragten die Nachbarn. Wir antworteten brav, dass wir keineswegs | |
gehungert hätten, sondern freiwillig nicht gegessen hätten. Und dass | |
Heilfasten sehr gut sei für den inneren Ausgleich und die Gesundheit. | |
Derlei. | |
Entgegen ihrer sonstigen, ganz überwiegend humorvollen Gewohnheit | |
reagierten die Nachbarn, nun ja, indigniert. Schon gut, sie wüssten, was | |
Hunger sei, sagten sie. Und dass es ihnen, nichts für ungut, am höheren | |
Verständnis dafür mangele, wenn Menschen nichts essen, obwohl sie es doch | |
könnten. | |
## Betroffen von Faschismus | |
Wir setzten uns. „Habt ihr denn wirklich gehungert?“, frage ich. Was folgt, | |
ist keine flüssige Erzählung. Eher Satzbrocken, lange nicht gebrauchte | |
Wörter, dunkelste Erinnerungen an ihre Kindheit im Krieg, den sie jeweils | |
in Berlin und in Brandenburg überlebt haben. Ja, überlebt. | |
Ich höre: Ödeme. Notjahre. Kälte. Furunkel, die nicht heilen wollten und | |
gegen die „schwarze Salbe“ aufgetragen wurde. Narben davon bis heute. | |
„Schweden-Speisung“, mit der die deutschen Kinder im eisigen Winter 1946/47 | |
von Hilfsorganisationen durchgebracht wurden. Auch meine Nachbarin, die im | |
Prenzlauer Berg aufgewachsen ist, hat wegen der Schweden-Speisung überlebt. | |
Sie erinnert sich, dass sie erst dann ihre Suppe bekam, wenn sie vorher | |
tapfer einen Löffel Lebertran geschluckt hatte. Sie schüttelt sich. | |
„Ach, lass mal jetzt – diese alten Geschichten!“, sagt der Nachbar und | |
macht eine wegwischende Bewegung, als wolle er das Dunkle vertreiben. Und | |
dann wird es auch wieder hell. Und wir sprechen über den Frühling, der | |
naht, und die Katze, deren Winterfell so schön glänzt. | |
Und ich frage mich, wo wir gerade wieder hinrutschen mit diesem Land. Und | |
warum wir eigentlich nicht einfach viel öfter unsere Eltern und Nachbarn | |
fragen, was Faschismus tatsächlich bedeutet für die, die er meint. Wie er | |
sich anfühlt, aussieht. Ganz viele von ihnen sind ja noch da. Mein Bild | |
dafür ist nun: schwarze Salbe auf ausgehungerten Kinderkörpern. Es ist so | |
bedrückend gerade. | |
25 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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