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# taz.de -- Rassismus in Deutschland: Osmose des Hasses
> Nach Hanau gibt es Stimmen, die ein AfD-Verbot fordern. Doch die AfD ist
> nur ein Symptom für einen tief verwurzelten gesellschaftlichen Rassismus.
Bild: Eindeutige Schuldzuweisung beim Gedenken in Hanau
Wir leben in einer gesellschaftlich aufgeladenen Situation, in der
Rassismus, Opportunismus und tiefgreifende strukturelle Probleme in der
demokratischen und medialen Praxis eine gefährliche Verbindung eingehen.
Erfurt und [1][Hanau] sind nur zwei Chiffren für etwas, das sehr lange
Kontinuitäten hat, das nicht plötzlich gekommen ist und nicht leicht wieder
verschwinden wird, selbst wenn man, wie es die Auf-einmal-Aufgewachten
jetzt unter gegenseitigem Applaus fordern, die AfD verbieten würde.
Aber die AfD ist nur ein Symptom für eine viel tiefer reichende illiberale
und demokratiefeindliche Tradition in der deutschen Gesellschaft. Sie ist
die Ausprägung [2][eines Rassismus], der sich nach 1945 eine andere Form
und Gestalt gesucht hat und immer präsent war: im Diskurs über die
sogenannten Gastarbeiter seit den 1960er Jahren und das kommunale Wahlrecht
in den 1980er Jahren, die Brandanschläge der 1990er Jahre und die folgende
Verschärfung des Asylrechts. Die AfD ist die parlamentarische und
politische Form für etwas, das sehr viele Menschen in diesem Land denken,
und die Trennlinie ist nicht so sauber zu ziehen, wie es sich die
vorstellen, die von Verbot reden oder wenigstens von klarer Abgrenzung.
Um den Widerspruch klarzumachen: Diejenigen, die nun das Verbot der AfD
fordern, sind oft genau diejenigen, die in der Eurokrise von 2010/2011 die
rassistische Logik der „faulen Griechen“ etablierten – aus dieser Zeit, a…
dieser Logik stammt die AfD. Es sind diejenigen, die im Sommer 2015 und
danach davor warnten oder sich entschieden dagegen engagierten, dass
Deutschland seinen Teil der Verantwortung für die Geflüchteten in Europa
trug und eine menschliche Politik machte. Es sind diejenigen, die immer
nach Integration und Leitkultur riefen, wenn sie den gesellschaftlichen
Zusammenhalt in Gefahr sahen, und dann doch dafür stimmten, wichtigen
zivilgesellschaftlichen Projekten und Institutionen die finanziellen Mittel
zu streichen.
Kurz gesagt: Diejenigen, die nach den Morden von Hanau im Verbot der AfD
eine Lösung für die rassistische und rechtsextreme Bedrohung in diesem Land
sehen, sind vor allem die, die in den vergangenen Monaten und Jahren selbst
ihren Teil dazu beigetragen haben, dass sich Rassisten in diesem Land
wieder sicher fühlen dürfen, zu hetzen und zu morden. Und das macht den
Diskurs über die AfD auch so verlogen: Wer neun Morde braucht, um zu
verstehen, wie menschenverachtend die AfD ist und war, hat ein sehr
eingeschränktes Verständnis von Humanität, Wahrheit und Würde.
## Antimuslimische Schlagzeilen
Es ist deshalb nicht falsch, die AfD für die Morde in Hanau in Haftung zu
nehmen. Es ist aber problematisch, weil es die Tiefe und Gefahr der
Bedrohung nur scheinbar greifbar und lösbar mit parlamentarischen oder
verfassungsschutzrechtlichen Mitteln macht. Und es tun eben vor allem
dieselben Leute, die seit Jahren [3][antimuslimische Schlagzeilen] drucken;
Leute, die schreiben, dass Deutschland durch seine Geschichte nicht in der
Lage sei, verantwortungsvolle Politik zu machen, und die Aufnahme und
Offenheit für Geflüchtete nutzen, um grundsätzliche Verschiebungen im
demokratischen Gefüge zu legitimieren und den Raum für Ausgrenzung und Hass
zu bereiten.
Es sind eben – und das haben die Tage von Erfurt gezeigt, die nicht von der
Tat von Hanau zu trennen ist – bis weit in die CDU und Teile der Medien
hinein Stimmen präsent, die immer noch die Vorstellung ausdrücken, dass
Deutschland irgendwie homogen ist oder sein sollte, und letztlich Menschen,
die Ferhat Ünvar oder Kalojan Welkow heißen, keine „deutsche Namen“ trage…
wie es Bild-Chef Julian Reichelt formuliert hat. Der Übergang vom
gemäßigten Rassismus zum extremen zum militanten Rassismus ist fließend,
der eine baut auf den anderen auf, und dieses osmotische System des Hasses
lässt sich nicht dadurch reparieren, dass man den Grad der Gefährdung bei
neun Morden ansetzt.
## Scheinheilige Hufeisentheorie
Die Diskussion über die AfD ist aber auch deshalb so scheinheilig, weil sie
vor dem Hintergrund der Hufeisentheorie geführt wird, der angenommenen und
geometrisch dargestellten gleichen Gefährlichkeit von rechts wie von links
– auch nach den Morden von Hanau konnte man das immer wieder lesen, und die
Intention, der argumentative Magnetismus, um im Bild zu bleiben, ist so
klar wie verwerflich, weil diese andauernde Parallelisierung nur den Blick
auf die jeweils unterschiedlichen Ursachen, Ausprägungen und
Bedrohungsszenarien verwischt.
Das Ergebnis ist exkulpatorisch, und wie so oft reicht die Logik bis zur
Schoah zurück, die ja – in der Argumentation von Ernst Nolte, Gegenstand
des Historikerstreits der 1980er Jahre – auch durch die „asiatische Tat“
erklärt werden könne, durch die kommunistische Bedrohung also, die sich zum
Judenmord demnach verhält wie Ursache zu Wirkung. Und auch diese Debatte
wurde geführt im Kontext eines kontinuierlichen gesellschaftlichen
Rassismus, in einem Land, geprägt von der Elitenkontinuität in Politik,
Polizei, Beamten und auch Kunst (wie die aktuellen Diskussionen um
Berlinale und Documenta noch mal zeigen) sowie vom mörderischen Hass „ganz
normaler Männer“.
Was sich in diesen Tagen zeigt: Die deutsche Gesellschaft ist an einem
Tipping Point, es kann in die eine oder andere Richtung gehen. Vielleicht
wird Rassismus endlich als Realität gesehen, die alltäglich ist und
strukturell und ein gesamtgesellschaftliches Problem; vielleicht aber führt
die eher strategische Abgrenzung gegenüber Leuten wie Alexander Gauland
auch dazu, einer Koalition von CDU und AfD den Boden zu bereiten. Die Rede
davon jedenfalls, dass nach Hanau „alles anders“ sei, ist verkürzt bis
verlogen. Hanau ist die mörderische Form einer deutschen Wirklichkeit, die
lange verdrängt wurde.
26 Feb 2020
## LINKS
[1] /Trauer-nach-rassistischem-Anschlag/!5665804
[2] /Extremismus-Diskussion/!5664727
[3] /Falscher-Umgang-mit-der-Tat-von-Hanau/!5664681
## AUTOREN
Georg Diez
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