# taz.de -- Trauer nach rassistischem Anschlag: „Ich habe Angst“ | |
> Die ersten Opfer des Anschlags von Hanau werden beerdigt. Am Grab des | |
> 23-jährigen Ferhat Unvar wendet sich dessen Mutter an die Trauergemeinde. | |
Bild: Bestattung von Ferhat Unvar am Montag in Hanau | |
HANAU taz | Die Sporthalle der Heinrich-Heine-Schule in Hanau-Kesselstadt | |
ist am Montagmittag bis auf den letzten Platz besetzt. An der Wand hängen | |
Botschaften der „Föderation der demokratischen Gesellschaft Kurdistan“: | |
„Dem Faschismus und Rassismus keinen Fußbreit Raum geben!“, steht da. Und: | |
„Faschismus und Rassismus töten überall“. | |
Vorn stehen Bilder Opfer des rassistischen Anschlags vom vergangenen | |
Mittwoch, unter ihnen [1][der 23-jährige Ferhat Unvar], dessen Familie und | |
Freunde zu dieser Trauerfeier eingeladen haben. Zwei Cousins begrüßen die | |
Gäste. Einer von ihnen, Aydin Yilmaz, sagt: „Wir wollen ihm heute seinen | |
letzten Frieden, seine letzte Stille geben“. Da Hanau keine kurdische | |
Moschee hat, ist ein Imam aus Kassel angereist. Er erklärt der | |
Trauergemeinde den islamischen Ritus der Bestattung. | |
Auf die Reporterfrage, was genau er sagt, wissen drei von Ferhats Freunde | |
keine Antwort. „Wir können kein kurdisch“, „Wir sind alle hier geboren�… | |
„Wir gehören alle hier her!“, sagen sie. Sie tragen wie fast alle hier ein | |
Porträt des Ermordeten an ihrem Revers. Ihre Namen wollen sie nicht sagen, | |
nicht nach dem, was sie in Medien gelesen hätten. „Da heißt es, das war ein | |
Einzelfall und der Täter war krank. Doch das war ein Rassist und | |
Terrorist“, ereifert sich ihr Wortführer. „Wir leben jetzt zwar mit Angst, | |
aber wir lassen uns nicht vertreiben, wir halten zusammen!“, fügt er | |
entschlossen hinzu. | |
Hanau hat den Fastnachtszug abgesagt. Trotzdem sind in der Stadt auch heute | |
maskierte Menschen unterwegs. „Ich kann nicht verstehen, wie man nach dem, | |
was geschehen ist, einfach feiern und fröhlich sein kann“, sagt einer der | |
drei: „Ich habe deshalb heute schon ein paar ‚Freunde‘ im Internet | |
gelöscht.“ | |
## Beerdigung unter grauem Himmel | |
Zwei Stunden später beginnt auf dem Hanauer Hauptfriedhof die Beisetzung | |
von Ferhat Unvar. Vor der Friedhofskapelle sind ein paar grüne Marktschirme | |
aufgestellt. Wenigstens hat der Nieselregen aufgehört an diesem grauen Tag. | |
Hunderte Menschen drängen sich auf dem Platz. Unter ihnen auch Niko Deeg, | |
Botschafter der Jüdischen Gemeinde. Er hat Blumen mitgebracht. „Mir ist | |
wichtig, dass wir zusammenstehen. Wir sind alles Menschen mit einem | |
Glauben. Alles andere sind selbst aufgestellte Hürden,“ sagt er. | |
Ähnlich die Botschaft von Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky. Am | |
Mittag hat er schon in Offenbach bei der Beerdigung der ermordeten Mercedes | |
K. gesprochen. Einmal mehr wendet er sich gegen die Erzählung von einer | |
angeblich fremdenfeindlichen Tat, „weil die Opfer für uns keine Fremden | |
waren; alle Ermordeten waren Kinder unserer Stadt“, stellt der OB klar. | |
„Ferhat war ein liebenswerter Hanauer Bub!“, ruft Kaminsky und kündigt an, | |
dass die Stadt auf dem Friedhof eine Gedenkstätte errichten wird. „Für alle | |
Zeit, zum Gedenken an die schreckliche Tat und an alle neun Ermordeten.“ | |
Auch die Mutter des Toten, Serpin Temiz, findet die Kraft, ein paar Worte | |
an die Trauergemeinde zu richten. „Ich habe Angst,“ sagt sie. „Ich hoffe, | |
dass nicht eine andere Mutter erleben muss, was ich durchgemacht habe.“ Sie | |
appelliert an die Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft, nicht zur | |
Tagesordnung überzugehen: „Den Worten müssen Taten folgen!“, fordert sie. | |
Auf einem Gräberfeld des Friedhofs, auf dem seit 2001 Muslime ihre Toten in | |
ein Tuch gehüllt in der Erde bestatten können, findet der Ermordete | |
schließlich seine letzte Ruhe. Er hatte gerade seine Ausbildung zum | |
Anlagenmechaniker abgeschlossen und wollte sich selbstständig machen. Imam | |
Ahmet Sadiioglu spricht am Rande der Trauerfeier von einem „faschistischen | |
Attentat“. Auf die Frage nach seiner Botschaft antwortet er der taz: „Wir | |
sind auf die Welt gekommen, um Gutes zu tun. Man sollte das Leben in | |
Frieden leben können.“ Und: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Glauben | |
tötet.“ | |
24 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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