Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Reisefreiheit – einfach so: Grazie oder Einfach mal danke sagen
> Der Ostdeutsche nörgelt gern ein wenig rum. Aber das Reisen, das kam
> einfach so, zum Beispiel zum Vesuv. Und das nimmt uns niemand mehr.
Bild: Danke für die Reisefreiheit: endlich den Vesuv sehen
Vor wenigen Tagen saß ich auf dem Beifahrersitz eines Automobils der Marke
Fiat und ward über die Stadtautobahn der kampanischen Metropole Neapel
[1][gen Amalfiküste chauffiert]. Rechts glitzerte das Meer, links ergoss
sich das neapolitanische Häusermeer herab vom Vesuv. Da lag er also.
Ich schob meine Sonnenbrille in die Stirn, starrte ehrfürchtig Richtung
Vulkan und sagte zu meiner Begleitung, dass mich das jetzt richtig bewegt –
den Vesuv zu sehen. Also in echt, nicht als Postkarte. In Stein. Und mit
Himmel dahinter. „Hätte ich nicht gedacht damals“, sinnierte ich. Und mit
„damals“ meinte ich mein Herkunftsland, die DDR. Verblichen vor genau 30
Jahren; Sie erinnern sich.
„Obwohl“, schränkte ich sogleich ein, „in … Moment … in fünfeinhalb…
hätte ich dann ja doch nach Italien reisen können. Dann werde ich sechzig
und die DDR hätte meiner Arbeitskraft nicht länger bedurft. Es wäre egal
gewesen, ob ich wieder zurückkomme von meiner Reise in dieses Italien.“
Ich lachte ein ungläubiges Lachen. Und ich dachte: Zeit, auch mal danke zu
sagen. Für die Reisefreiheit. Für die schönen italienischen Autos und die
Pasta und das Meer und natürlich: den Vesuv.
## Das Reisen umarmen
Es sind ja derlei Dinge, die uns Ostdeutschen gern mal aus dem Blick
geraten, wenn es um die Folgen der sogenannten Wende geht. Wir nörgeln gern
ein bissl rum, oft auch zu Recht. Aber das Reisen habe ich vor 30 Jahren
nicht nur dazubekommen. Ich habe das Reisen regelrecht umarmt und dann nie
mehr losgelassen.
Denn nicht reisen zu können, bedeutete ja nicht nur, nicht nach West-Berlin
zu kommen oder nach Oslo oder Tel Aviv. Auslandsreisen als DDR-Bürgerin
waren stets ein Akt der Demütigung, der touristischen Zweit- bis
Viertklassigkeit. Nie hatte ich genug Geld, nie die coolen Klamotten und
sowieso und in jedem Land – selbst in Polen, Bulgarien oder Ungarn – den
falschen Pass. Reisen bedeutete Unplanbarkeit, Drangsal und Mangel.
1991, anlässlich unseres ersten gemeinsamen Auslandsurlaubs, stopfte ich
deshalb Windeln und Wurstkonserven in meinen Koffer. Der nagelneue Westmann
forderte mich auf, dies zu unterlassen: „Griechenland ist ein Land in
Europa“, sagte er. „Da gibt es Windeln so viel das Kind braucht. Und die
Wurst ist eh besser, glaub mir.“
Angst vor der Passkontrolle
Widerstrebend ließ ich ab von meinem Treiben. Aber nur, um mich nun
tagelang auf meine Angst vor der Passkontrolle zu konzentrieren. Ich wusste
zwar, dass mein neuer Pass keine Fälschung war – aber wussten das die
Genossen Grenzbeamten auch? Irgendwas hatte man doch immer falsch gemacht.
So hatte ich das gelernt.
Nun, dreißig Jahre später, blickte ich voller Freude und – ja ey, sprechen
wir es doch aus – Demut [2][auf einen Geröllhaufen namens Vesuv.] Der
mittlerweile kampferprobte Westmann grinste und guckte ein bisschen, als
hätte er mir gerade ein duftendes Westpaket überreicht.
14 Jan 2020
## LINKS
[1] /Vor-der-Parlamentswahl/!5484265
[2] /Krippenbauer-in-Neapel/!5469995
## AUTOREN
Anja Maier
## TAGS
Bauernfrühstück
DDR
Vulkane
Schwerpunkt Ostdeutschland
Neapel
Vesuv
Bauernfrühstück
Cottbus
Aufgeschreckte Couchpotatoes
Bauernfrühstück
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wie sich Krieg anfühlt: Verstaubte Wörter
In Zeiten wie diesen sollte man mit Menschen sprechen, die von Faschismus
betroffen waren. Sie können erzählen, wie er sich anfühlt und aussieht.
Öffentlicher Dienst in Ostdeutschland: In einszehn von Berlin aus
Neue Jobs im fernen Osten! Die Bundeszentrale für politische Bildung plant
Standorte in Halle und Cottbus. Und wer hat Lust drauf?
Reisen und Flugscham: Alte Ziele, neue Wege
Der Sündenfall beim Reisen ist unumkehrbar. Verzicht wird überall
gefordert. Doch es geht nicht darum, ob wir reisen, sondern wie wir reisen.
Kolumne Bauernfrühstück: Flucht ins Hochbeet
Mauschelei in der Landespolitik? Ach, wen interessiert's. Immerhin ist
Bärlauchsaison und so ein Garten gräbt sich nicht von alleine um.
Vor der Parlamentswahl: Eine linke Alternative für Italien
„Potere al Popolo“ tritt bei der Wahl am Wochenende an. Die soziale
Bewegung will gegen Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung vorgehen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.