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# taz.de -- Reisen und Flugscham: Alte Ziele, neue Wege
> Der Sündenfall beim Reisen ist unumkehrbar. Verzicht wird überall
> gefordert. Doch es geht nicht darum, ob wir reisen, sondern wie wir
> reisen.
Bild: Auf dem Sonnendeck
Wir trafen uns in Tunis. Gabriele war mit Zug und Schiff angereist und
strahlte. Sie fuhr mit dem TGV von Frankfurt nach Marseille. Bei der
9-stündigen Fahrt habe sie sich mit Daniel Specks Wälzer „Piccola Sicilia“
auf Tunis vorbereitet, in Marseille zwei Tage die Stadt durchstreift, eine
ausgewanderte Schulfreundin besucht und sich mit ihr bei Pastis vergnügt,
bevor sie auf der Fähre nach Tunis eincheckte, erzählt sie begeistert in
der Bar des Hotel Majestix in Tunis, das sie nun auf den Spuren Daniel
Speck unbedingt kennenlernen wollte. Die Rückfahrt mit der Fähre habe sie
von Tunis nach Neapel und weiter über Rom, Florenz, Venedig, Frankfurt
geplant.
Gabriele, die Umweltingenieurin, stellt sich ihrer Flugscham. Sie hat für
die Reise mehr Zeit, mehr Geld, mehr Aufwand eingeplant. Ihre Reiseroute
ist vielfältig, aber auch zeitaufwendig und allemal teurer als der Flug
Frankfurt–Tunis.
Das Reisen ist in Verruf geraten. Die kleinen Fluchten in andere Welten,
die lustvolle Auszeit, die fremden Gerüche, exotischen Geschmäcker, die
anderen Gepflogenheiten, der belebende Tapetenwechsel, das aufregend
Unvorhergesehene hat seine Unschuld verloren. Der Sündenfall beim Reisen
ist unumkehrbar. Verzicht wird überall gefordert.
taz-Abonnent*innen kündigen ihr Abo, weil wir weiter über Reisen in ferne
Länder schreiben. Und wer heute nach Vietnam reist, vergisst nicht zu
erwähnen, dass er vier Wochen bleibt, damit sich das klimaschädigende CO2
rechnet. Trotzalledem gehört Reisen – heute Istanbul, morgen Mongolei – zum
gepflegten Lebensstil einer weltoffenen Mittelklasse, gelangweilter Rentner
und kosmopolitischer Jugendlicher.
Ob individuell übers Netz oder pauschal auf der Kreuzfahrt, wo die Welt in
verdaulichen Häppchen serviert wird – immer mehr Touristen erstürmen
ferne Gestade. Allen Besinnungsaufrufen über die klimaschädigende Wirkung
des entgrenzten Reisens zum Trotz.
Werbeträchtige Galionsfiguren wie der Ex-Entertainer Harald Schmidt
verdienen gut an Kitschserien wie „Das Traumschiff“, wo Schmidt als
Kreuzfahrtdirektor Oskar Schifferle angeheuert hat und in immer neue
Zuckerseiten dieser Welt mit ihren verzeihlichen menschlichen Schwächen
eintaucht. Das ist politisch mindestens genauso unkorrekt wie mit Easyjet
ins Berghain.
Gabriele hat der Versündigung ein Schnippchen geschlagen. Sie hat nicht
gefragt, ob sie reisen soll, sondern wie. Auf der Fähre von Marseille nach
Tunis hat sie mit tunesischen Auswanderern getrunken, in Tunis die neuen
Freunde besucht und sich auf der Rückfahrt über Italien im Zug in einen
römischen Dichter verliebt. Venedig hat sie vom Reiseplan gestrichen. Es
war ihr ohnehin zu voll.
12 Jan 2020
## AUTOREN
Edith Kresta
## TAGS
Aufgeschreckte Couchpotatoes
Flugscham
Tourismus
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