# taz.de -- Geflüchtete in Griechenland: Bei lebendigem Leib | |
> Das Leben im Camp Moria auf Lesbos ist unerträglich. Die Bedrohung durch | |
> das Virus wächst. Die Regierung setzt auf Eigenverantwortung der | |
> Menschen. | |
Bild: Frauen und Kinder im Flüchtlingscamp Moria | |
Athen taz | Der Kampf gegen die Ausbreitung des Corona-Virus geht weiter – | |
auch in Griechenland. Bis zum Freitag gab es dort etwa 900 bestätigte | |
Corona-Fälle, 26 Menschen waren daran gestorben. Doch die über 40.000 | |
Geflüchteten auf den griechischen Inseln müssen weiterhin in ihren | |
überfüllten Camps bleiben. Die griechische Regierung legt ihnen lediglich | |
nahe, sie sollten sich die Hände waschen. | |
Von Tag zu Tag werde die Situation im Camp schlimmer, sagt Paiman Samadi, | |
ein junger Mann aus Afghanistan. Er lebt schon seit neun Monaten in | |
[1][Moria auf der Insel Lesbos]. “Als ich ankam, war es etwas besser“, | |
erinnert sich der 26-Jährige. Das Camp sei nicht so voll gewesen wie im | |
Moment und die Lebensbedingungen nicht so schlecht. | |
In der Tat versuchte die linke Syriza-Vorgängerregierung die Insel-Lager zu | |
entlasten, indem sie vermehrt Geflüchtete aufs griechische Festland | |
brachte. Ganz geschafft hatte auch sie das aber nicht. Die Lager waren | |
immer überfüllt, allen voran das Lager Moria auf Lesbos. Mit dem | |
Regierungswechsel im Juli vergangenen Jahres und dem Machtantritt der | |
konservativen Nea Dimokratia endeten auch diese Bemühungen. | |
Dabei fordern gerade jetzt – in Zeiten der Corona-Pandemie – | |
Menschenrechtsorganisationen mehr denn je [2][die Evakuierung der Camps auf | |
den Inseln.] Angesichts der mangelhaften Hygienebedingungen und der äußerst | |
eingeschränkten medizinischen Hilfe sei die Gefahr groß, dass sich das | |
Virus unter den auf den Inseln festgesetzten Bewohnern der Lager | |
verbreitet, warnt zum Beispiel die Hilfsorganisation Ärzte Ohne Grenzen. | |
## Die Angst geht um | |
Auf Lesbos gibt es bislang vier bestätigte Corona-Fälle, allerdings bisher | |
keinen im Camp Moria. Doch unter den Flüchtlingen geht die Angst um. “Wir | |
haben am Tag nur drei bis vier Stunden Wasser, um uns zu waschen,“ | |
beschreibt Paiman Samadi die Situation im Lager. Das sei nichts Neues, | |
schon immer habe Wasserknappheit im Camp geherrscht. “Wie sollen wir uns | |
jetzt aber vor dem Corona-Virus schützen, wenn wir uns nicht einmal waschen | |
können?“, fragt der junge Mann. | |
Nach wie vor müssen die Geflüchteten stundenlang an der Essensausgabe | |
Schlange stehen. und auch sonst ist es im überfüllten Camp, wo Zelte und | |
selbst zusammen gezimmerte Hütten dicht beieinander stehen, unmöglich, | |
Abstand zu halten. | |
Schlimmer noch: Viele Behörden sind derzeit wegen der Corona-Gefahr | |
geschlossen, auch Helferinnen und Helfer dürfen wegen des Corona-Virus | |
nicht mehr so einfach das Camp betreten. „Ehrenamtliche Helfer gibt es kaum | |
noch,“ beschreibt Paiman die Situation. “Das Europäische Büro für Asyl E… | |
ist im Moment geschlossen und der Arzt im Camp ist auch nicht mehr da. Es | |
gibt immer weniger Leute, die uns helfen.“ | |
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen hingegen ist noch vor Ort. Ιn ihrer | |
mobilen Kinderklinik in der Nähe des Lagers werden seit vier Jahren die | |
Kinder von Moria untersucht: Im Durchschnitt hundert am Tag. | |
## Schlechte Hygiene | |
Ihre Krankheiten seien oft ein Ergebnis der schlechten hygienischen | |
Bedingungen im Camp, sagt der Sprecher der Organisation, Marco Sandrone: | |
„Viele unserer Patienten haben Durchfall. Und die Krätze frisst die | |
Menschen im Camp beim lebendigem Leib auf. Das Problem hat | |
besorgniserregende Ausmaße angenommen.“ | |
Es müsse unbedingt eine langfristige Lösung gefunden werden, so Sandrone. | |
Aber wie soll das vonstatten gehen, in einem Camp, in dem 20.000 Menschen | |
so eng zusammen leben und das auch noch unter solch schlimmen hygienischen | |
Bedingungen? | |
Gerade angesichts der Gefahr einer Ausbreitung des neuen Corona-Virus im | |
Camp fordert nun auch die Europäische Union, dass zumindest verletzliche | |
Gruppen wie Kinder, Famiien und Menschen mit chronischen Krankheiten auf | |
das Festland gebracht werden, wie EU-Migrationskommissarin Ylva Johansson | |
am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters sagte. Diese Forderung lehne die | |
griechische Regierung ab – mit der Begründung, dass es in den Lagern keine | |
Corona-Fälle gebe, so die EU-Kommissarin. | |
Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag kam von der griechischen Zeitung | |
Efimerida ton Syntakton, die Frage, was die Regierung gegen eine | |
Verbreitung des Virus in den Camps unternehmen wolle. Die Antwort des | |
griechischen Regierungssprechern Stelios Petsas war alles andere als | |
zufriedenstellend. | |
## Erhöhte Spannung wegen Ausgangssperre | |
Alles, was die Regierung machen könne, sei, sich um möglichst gute | |
hygienische Bedingungen in den Lagern zu bemühen. Gleichzeitig wälzte | |
Petsas die Verantwortung auf die Geflüchteten ab: „Wir appellieren an alle, | |
auch an die Flüchtlinge und Migranten in den Lagern, die persönlichen | |
hygienischen Sicherheitsmaßnahmen zu befolgen,“ sagte Petsas. | |
Ein Aufruf fernab jeder Realität in Lagern wie Moria auf Lesbos, wo die | |
Geflüchteten nicht einmal ausreichend fließend Wasser zur Verfügung haben. | |
„Es wird nun für alle deutlich, dass das Problem besser in geschlossenen | |
Camps bewältigt wird als in diesen offenen chaotischen Camps, die es bis | |
vor kurzem gab“, so Petsas weiter. | |
Der griechische Regierungssprecher verteidigte damit den Maßnahmenkatalog, | |
den die Regierung Mitsotakis zur Vorbeugung der Ausbreitung des | |
Corona-Virus in den Flüchtlingslagern in der vergangenen Woche | |
verabschiedet hatte. Demnach ist die Bewegungsfreiheit außerhalb des Camps | |
stark eingeschränkt. Nur noch eine Person pro Familie darf mit | |
polizeilicher Bescheinigung aus dem Lager in die Stadt gehen. | |
Für die konservative Regierung ist das der Beweis, dass ihre Politik der | |
geschlossenen Lager richtig ist. Noch im Februar gab es große Proteste auf | |
den Ägäis-Inseln gegen die Pläne der Regierung, geschlossene Camps auf den | |
Inseln zu bauen. Nun wird dieses Vorhaben quasi durch die Hintertür | |
umgesetzt. | |
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen sieht in diese Maßnahmen weitere | |
Gefahren. Sie befürchtet, dass die verhängte Ausgangssperre zu zusätzlichen | |
Spannungen im überfüllten Camp von Moria führt. Dort wird schon jetzt um | |
die knappen Ressourcen gekämpft und es kommt täglich zu gewalttätigen | |
Auseinandersetzungen. | |
Der 26-jährige Paiman hingegen begrüßt die Ausgangssperre. „Solange uns das | |
Virus nicht erreicht hat, ist es gut, dass wir nicht hinaus dürfen!“ Er | |
fühle sich im Moment sicherer in seinem Zelt als in der Stadt, sagt er. | |
27 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Rodothea Seralidou | |
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