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# taz.de -- Online-Archiv von Dokumentarfilmen: Über Algiers Dächern
> Das International Documentary Film Festival Amsterdam bietet ein großes
> und spannendes Online-Angebot von Dokumentarfilmen.
Bild: „Checks and Balances“ spielt in einer Zeitungsredaktion in Algerien
Nichts an dem kleinen Dorf an einer Eisenbahnstrecke erinnert an den
vergangenen Ruhm. „Klein-Schanghai“ habe man die südchinesische Ortschaft
Bise einst genannt, erzählt einer der Dorfbewohner stolz, damals, als die
Franzosen eine Eisenbahnlinie bauen ließen, die Vietnam mit Yunnan in China
verband. Bise wurde zum Umschlagplatz und erblühte.
Der chinesische Schriftsteller Yu Jian hat sich 2003 in seinem Film „Jade
Green Village“ auf eine Spurensuche begeben. Die Dorfbewohner erzählen
anfangs nur stockend von der Vergangenheit der Kleinstadt, zu tief sitzen
die Traumata der diversen politischen Kampagnen der Vergangenheit, die
immer neue Tabus definierten. Doch allmählich formt sich in dem Film ein
Bild von dem Leben, das Bise einst erfüllte.
Yu Jians „Jade Green Village“ ist einer der über 300 Filme, die das
International Documentary Film Festival Amsterdam (IDFA) aus seinem reichen
Archiv auf seiner Website frei verfügbar gemacht hat. Anlässlich der
Coronakrise hat das IDFA sein Onlineangebot noch einmal aufgestockt. Wobei
bündeln das richtigere Wort wäre, hat das Festival doch nicht nur Filme auf
seinen eigenen Vimeo-Kanal hochgeladen, sondern bei dem Angebot auch
YouTube-Videos und andere Anbieter eingebunden.
Das Festival ist eines der größten Dokumentarfilmfestivals weltweit und
präsentiert seit gut 30 Jahren jährlich eine erschlagend große Auswahl von
Filmen in diversen Sektionen. Je nachdem, wie sich die Situation bis dahin
entwickelt hat, soll die diesjährige Ausgabe des Festivals im November
stattfinden.
## Burkina Fasos Textilfabrik
Wie Yu Jians Film handelt auch Michel K. Zongos „The Siren of Faso Fani“
von der einstigen Größe einer Stadt. Koudougou galt lange Jahre als Zentrum
der Textilindustrie Burkina Fasos. Nach der Unabhängigkeit des Landes 1960
entstand der Versuch, durch eigene Produktion und Verarbeitung von
Textilien, die anschließend im Land selbst gekauft werden, nicht länger auf
importierte Kleidung aus Europa und den USA angewiesen zu sein. Die
Textilfabrik Faso Fani wurde mit ihren Maschinen und den guten
Arbeitsbedingungen zum Inbegriff des Aufbruchs in die Moderne.
Zongo spricht in dem Porträt seiner Heimatstadt mit ehemaligen Arbeitern
der Textilfabrik und streut so geschickt Rückblicke und Dokumente ein, so
dass aus dem Blick auf die Textilfabrik eine Kulturgeschichte Burkina Fasos
seit der Unabhängigkeit entsteht.
Wie weit das Verständnis von Dokumentarfilm des IDFA ist, zeigt sich nicht
zuletzt an einer Reihe von animierten Beiträgen. Darunter auch ein moderner
Klassiker: Der US-amerikanische Animationsfilmer Chris Landreth
porträtierte 2004 in „Ryan“ den Animationsfilm-Shootingstar der 1960er
Jahre, Ryan Larkin. „Ryan“ ist noch heute ausgesprochen beeindruckend
darin, wie die komplexe Animationstechnik in den Dienst der Erzählung
gestellt wird. Landreth findet Bilder für die körperlichen Gebrechen
Larkins und dessen Dämonen des Ruhms, der ihn allzu schnell an die Spitze
führte und dann verpuffte.
## Rudy Giulianis Zeit als Bürgermeister
Das Angebot an Dokumentarfilmen, das das IDFA zusammengetragen hat, lädt
zum Stöbern ein. Je nach Vorliebe kann man das Angebot zu einer Reise um
die Welt nutzen, sich über politische Zustände zu informieren oder in der
Zeit zurückgehen. Zwei Porträts ganz anderer Art als Chris Landreth
Animationsfilm zeigen Figuren der US-amerikanischen Politik, bevor sie zu
dem wurden, was sie heute sind. In „Rudyland“ von Matthew Carnahan und John
Philp von 2002 zogen die beiden Dokumentarfilmer ein durchwachsenes Fazit
von Rudy Giulianis Zeit als Bürgermeister von New York.
Anfang der 1990er Jahre wurde Giuliani gewählt mit dem Versprechen, die
Lebensbedingungen in New York zu verbessern. Schon kurz darauf sahen sich
Hausbesetzer und die ärmere Bevölkerung einer Welle der Repression
gegenüber. In einem chronologischen Durchgang wird die Entwicklung von
Giulianis Politik nachgezeichnet. Der Film bringt wunderschöne Aufnahmen
aus der Geschichte New Yorks mit einem sardonischen Kommentar, gesprochen
von Susan Sarandon, zusammen.
Marshall Curry begleitete für seinen Dokumentarfilm „Street Fight“ Cory
Booker, bis vor Kurzem noch Bewerber um die demokratische
Präsidentschaftskandidatur, in seinem Wahlkampf um das Bürgermeisteramt in
Newark, New Jersey. Booker trat als junger Gegenkandidat zu
Daueramtsinhaber Sharpe James an. Am Beispiel der kleinteiligen
Regionalpolitik in Newark zeigt „Street Fight“, wie schnell ein Wahlkampf
in einer Stadt, die seit Jahren fest in der Hand der demokratischen Partei
ist, zu einem hässlichen Kampf zweier Kandidaten werden kann. In der
Zusammenschau sind „Rudyland“ und „Street Fight“ ein interessanter
Rückblick auf die US-Politik vor fast 20 Jahren.
Einer der Höhepunkte des Onlineangebots des IDFA ist der vorletzte Film des
algerischen Dokumentarfilmveteranen Malek Bensmaïl. „Checks and Balances“
von 2015 ist angesiedelt während des Präsidentschaftswahlkampfs 2014 in
Algerien, bei dem Algeriens Dauerpräsident Abd al-Aziz Bouteflika trotz
eines Schlaganfalls, der ihn schwer beeinträchtigte, für eine vierte
Amtszeit antrat.
Bensmaïls Film beginnt über den Dächern der Hochhäuser von Algier. Vor den
Lichtern der abendlichen Stadt erklärt Bouteflikas Stimme selbstbewusst:
„Ich bin ganz Algerien. Ich bin die Inkarnation des algerischen Volkes.
Also sagt den Generalen, sie sollen mich holen kommen, wenn sie können.“
Dann führt uns eine Reihe von Nachrichtensprecher_innen im Wechsel zwischen
Französisch und algerischem Arabisch in die Realität algerischer Politik.
Die Kamera gleitet hinab in die Stadt. Ein Schnitt führt in die
Druckerpresse der Tageszeitung El Watan. Die Aufnahmen der riesigen
Druckmaschine evozieren das Bild eines Maschinenraums der Demokratie.
Das Porträt der Redaktion von El Watan, das Bensmaïl in seinem Film
zeichnet, scheint diesen Eindruck zu bestätigen. Die Diskussionen zwischen
den Mitarbeiter_innen der Zeitung sind so lebhaft und langwierig, dass
man sich beim Zusehen fast wundert, dass überhaupt noch Texte daneben
entstehen. Aus den politischen Differenzen der Mitarbeiter_innen formt
sich ein Bild politischer Debatten im Algerien der letzten Jahre
Bouteflikas.
Letztes Jahr schien sich der unendliche Loop der algerischen Politik ein
weiteres Mal zu wiederholen, als Bouteflika erneut als
Präsidentschaftskandidat antreten wollte. Wütende Proteste zwangen ihn
letztlich zum Rücktritt.
Im Angebot des IDFA finden sich auch eine ganze Reihe von Filmen bekannter
Dokumentarfilmer_innen wie [1][Avi Mograbi, dessen Film „Z32“ von einem
israelischen Veteranen handelt], der an einer Vergeltungsaktion gegen
palästinensische Polizisten mitgewirkt hat, oder zwei Frühwerke [2][Kim
Longinottos], bei denen diese mit der iranisch-britischen Anthropologin
Ziba Mir-Hosseini kooperierte.
Zu finden sind die Filme auf der Website des Festivals unter der Kategorie
Collections und dem Menüpunkt „Watch for free“. Auf der Seite, die sich
dann öffnet, hat man die Auswahl zwischen gut 300 Filmen, die umsonst zur
Verfügung stehen und weiteren, die gegen ein kleines Entgelt zu sehen ist.
Filme, die nicht englischsprachig sind, sind englisch untertitelt. Um das
Stöbern zu erleichtern, gibt es außerdem eine Sektion „Filmtipps“, unter
der das Festival jeweils eine gute Handvoll Filme gruppiert hat. Ein
kleiner Haken: Nicht alle Filme, die gelistet sind, sind überall auf der
Welt verfügbar. Doch auch wenn mal ein Film nicht laufen will, mangelt es
dank des großen Angebots nicht an Alternativen.
8 Apr 2020
## LINKS
[1] /Israelischer-Regisseur-ueber-Krieg/!5048088
[2] /Geschichte-einer-Mafia-Fotografin/!5611035
## AUTOREN
Fabian Tietke
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