# taz.de -- Waffenstillstand für Idlib: Im besten Fall ein neues Gaza | |
> Gut, dass Erdoğan und Putin die Kämpfe in Syrien vorerst gestoppt haben. | |
> Doch für die in der Provinz Idlib Eingeschlossenen fehlt eine | |
> Perspektive. | |
Bild: Nach russischen Bombardierungen wird aufgeräumt. Idlib am 3. März | |
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat mit dem Einsatz seiner | |
Armee in der nordsyrischen Provinz Idlib viel riskiert und jetzt zumindest | |
einen Teilerfolg erzielt: Sein russischer Kollege Wladimir Putin hat am | |
Donnerstag in Moskau einer [1][Waffenruhe] zugestimmt, auf deren Basis nun | |
weiter verhandelt werden kann. Bei allen Vorbehalten und Fragen, die man | |
gegenüber der Moskauer Vereinbarung haben muss: Für die Menschen in der | |
seit Monaten umkämpften Provinz Idlib ist das erst einmal ein | |
Hoffnungsschimmer. | |
Anders als bei vorangegangenen Waffenstillstandsvereinbarungen ist es | |
dieses Mal auch realistischer, dass die Feuerpause hält. Dafür sprechen | |
verschiedene Gründe. Der wichtigste ist die Geografie. Die derzeitige | |
Waffenstillstandslinie erlaubt dem Assad-Regime, seine Eroberungen im | |
südlichen Teil von Idlib zu behalten, einschließlich der enorm wichtigen | |
Autobahn M5 von Damaskus nach Aleppo. | |
Entlang der Autobahn M4, die von der Mittelmeerküste kommt und bei Sarakeb | |
auf die M5 trifft, soll eine Pufferzone gebildet werden, die von russischen | |
und türkischen Truppen gemeinsam kontrolliert wird. Nördlich und westlich | |
dieser beiden Autobahnen bleibt dann ein Gebiet einschließlich der | |
Provinzhauptstadt Idlib, das die Türkei kontrolliert und in dem die | |
Flüchtlinge leben können. | |
Damit wäre die wichtigste Forderung Erdoğans erst einmal erfüllt, ohne dass | |
Russland an seinen [2][Kriegszielen in Syrien] Abstriche machen müsste. Die | |
Herrschaft Assads ist nicht mehr gefährdet und die russischen Stützpunkte | |
sind es auch nicht. Trotzdem ist die wichtigste Frage nicht gelöst. Was | |
soll langfristig geschehen mit den rund drei Millionen Menschen, die nun | |
dicht gedrängt im von der Türkei kontrollierten Teil Idlibs [3][unter | |
erbärmlichen Umständen] leben? | |
Sicher, solange nicht geschossen wird, kann humanitäre Hilfe die Menschen | |
besser erreichen, kann ihre Situation graduell verbessert werden. Doch | |
grundsätzlich will weder die Türkei noch ein anderer Staat auf der Erde | |
diesen Menschen eine neue Lebensperspektive bieten, nicht zuletzt, weil | |
niemand genau weiß, wie viele tausende völlig radikalisierte Dschihadisten | |
sich unter ihnen befinden. | |
Im besten Falle entsteht deshalb in diesem nördlichen Zipfel Syriens | |
entlang der türkischen Grenze so etwas wie ein neues Gaza, in dem Millionen | |
Menschen in einem großen Freiluftgefängnis leben. Solange die | |
internationale Gemeinschaft, darunter an erster Stelle auch die EU, keinen | |
Vorschlag dazu macht, was mit diesem Menschen geschehen soll, wird das so | |
bleiben. | |
6 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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