Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hilfsarbeiterin über Corona in Syrien: „Zehn Familien teilen ein…
> Idlib ist teilweise abgeschottet von der Außenwelt, aber nicht komplett.
> Ein Corona-Ausbruch wäre eine Katastrophe, sagt Caroline Anning.
Bild: Temperaturmessung bei einem Binnenflüchtling im syrischen Azaz
taz: Frau Anning, weltweit hat die Zahl der Infizierten 125.000
überschritten. In Syrien wurde nicht ein einziger Fall registriert. Wie
kann das sein?
Caroline Anning: Das heißt nicht, dass es keine Infizierten gibt. Vierzig
Prozent aller Gesundheitseinrichtungen in Syrien wurden zerstört. Der
Gesundheitssektor ist nur begrenzt in der Lage, Verdachtsfälle zu testen.
Möglicherweise gibt es Infizierte, nur wissen wir es nicht.
Wie ist das syrische Gesundheitssystem aufgestellt?
Es gibt drei Gesundheitssysteme: das der syrischen Regierung, jenes in
Nordostsyrien, das von der kurdischen Autonomieverwaltung mit Unterstützung
internationaler Organisationen betrieben wird, und jenes in Nordwestsyrien,
das von NGOs und Hilfsorganisationen gemanagt wird. Alle drei kämpfen – in
unterschiedlichem Ausmaß – mit Herausforderungen: zerstörte
Gesundheitseinrichtungen, ein Mangel an Ärzten und Krankenschwestern sowie
fehlende Medikamente.
Ist man in den Regimegegenden auf Corona vorbereitet?
Krankenhäuser sind geöffnet und eine Basisversorgung ist gewährleistet.
Aber in einigen stark vom Konflikt betroffenen Gegenden wie Ost-Ghuta bei
Damaskus haben viele keinen Zugang zum Gesundheitssystem, was auch mit
einem Mangel an Finanzierung und den Sanktionen gegen Syrien zu tun hat.
In der [1][Region Idlib, die nicht unter Regierungskontrolle steht],
sammeln sich drei Millionen Menschen, von denen viele aus den
Regierungsgebieten vertrieben wurden. Wird dort, etwa in den
Flüchtlingslagern, über Corona gesprochen?
Wir haben zehn Einrichtungen in Nordwestsyrien. Die Leute kommen mit großen
Sorgen wegen des Virus. World Vision und andere Hilfsorganisationen
erstellen Notfallpläne. Aber die Wahrheit ist: Es wird eine Katastrophe
sein, wenn sich Corona in Nordwestsyrien ausbreitet.
Inwiefern?
Über eine Million Menschen sind seit Anfang Dezember geflohen. Sie kommen
zu jenen hinzu, die ohnehin schon vertrieben worden sind. Vielerorts ist
eine Versorgung mit frischem Wasser nicht gegeben, es gibt keine Toiletten
oder Latrinen, kein Abwassersystem. Hunderttausende leben in informellen
Siedlungen ohne fließendes Wasser. Andere teilen ein Badezimmer mit zehn
Familien. Wir alle kennen die zentrale Botschaft: Hände waschen, soziale
Distanz wahren! Für viele Menschen in Idlib ist das unmöglich.
Was können Hilfsorganisationen da machen?
Wir stellen Hygienekits mit Alkohollösungen und Seifen zusammen und bauen
Latrinen, aber all das in Eile zu tun ist eine Herausforderung.
Ist es überhaupt im Bereich des Möglichen, dass ein Coronaausbruch in Idlib
verhindert werden kann?
Idlib ist stärker abgeschottet als andere Gegenden. Zwar ist es nicht
komplett isoliert, aber der Grenzübergang zur Türkei ist stark kontrolliert
und eher für Güter als für Personen. Zwischen den Regierungsgebieten und
Idlib gibt es keine wirkliche Mobilität. Daher besteht Hoffnung, dass
Corona da rausgehalten werden kann. Sobald es anfängt, wird es sehr
schwierig, es zu kontrollieren.
Was wissen wir über Angriffe auf Krankenhäuser in Idlib?
Von 494 Angriffen auf Gesundheitseinrichtungen zwischen 2016 und 2019
ereigneten sich 68 Prozent in Syriens Nordwesten. Allein in diesem Jahr
wurden laut WHO neun Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen in Idlib
bestätigt. Das Ausmaß weist darauf hin, dass sie gezielt angegriffen
werden. Das hat Folgewirkungen: Leute haben Angst, ins Krankenhaus zu
gehen, und Frauen gebären zu Hause. Diese Angriffe in ganz Syrien,
besonders aber im Nordwesten, sind einer der schlimmsten Aspekte des
Konflikts, wenn es um den Bruch des humanitären Völkerrechts geht. Im
Umgang mit Corona sehen wir jetzt die Folgen.
Momentan zumindest herrscht eine Waffenruhe in Idlib.
Ein Zusammenbruch der Waffenruhe würde das Problem noch verschärfen. Der
Virus könnte durch Kämpfer aus unterschiedlichen Gegenden verbreitet
werden, und Helfer könnten bestimmte Gegenden nicht mehr betreten. Jegliche
Eskalation wird das Problem noch viel schlimmer machen.
Sollte es zu einem Corona-Ausbruch kommen: Lässt sich etwas über die
erwartete Letalitätsrate sagen?
Das ist eine unserer großen Sorgen! In Ländern ohne ordentliches
Gesundheitssystem könnte sie höher sein. Wenn es keine künstliche Beatmung
und keine Sauerstoffzufuhr gibt, rechnen wir mit einer höheren
Letalitätsrate.
Welche anderen Konflikte machen Ihnen im Zusammenhang mit Corona Sorgen?
Die Rohingyakrise in Myanmar und Bangladesch, wenn man bedenkt, wie
vollgepackt die Camps in Bangladesch sind. Jemen, wo das Gesundheitssystem
kollabiert ist und die Leute durch [2][Unterernährung und Cholera]
geschwächt sind. Und auch die Finanzkrise in Venezuela: Sie hat das dortige
Gesundheitssystem zerstört.
13 Mar 2020
## LINKS
[1] /Idlib-Offensive-in-Syrien/!5665433
[2] /Hilfsarbeiter-ueber-Krise-im-Jemen/!5404136
## AUTOREN
Jannis Hagmann
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Syrien
Idlib
Russland
Türkei
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Iran
EU-Türkei-Deal
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Syrien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Krieg in Syrien: Spitäler und Schulen als Ziel
UN-Ermittler sehen die syrische Assad-Regierung hinter Angriffen auf zivile
Einrichtungen in Syrien. Über die Rolle Russlands schweigt der Bericht.
Corona in Lagern rund um Syrien: Langsame Hilfe für Geflüchtete
Die EU und Deutschland wollen Geflüchteten in den Nachbarländern Syriens
helfen. Konkrete Maßnahmen laufen aber schleppend an.
Warnung vor Epidemie in Syrien: Corona in Zeiten der Waffenruhe
Im syrischen Idlib schweigen die Waffen. Die Menschen strömen auf die
Straßen. Die WHO beginnt mit ersten Corona-Tests in der Rebellenprovinz.
Coronavirus im Iran: Spätes Einsehen
Nach China und Italien ist der Iran am schwersten von Corona betroffen. Für
das Regime, das zu zögerlich reagiert hat, könnte das Folgen haben.
Flucht aus Syrien: Bekämpft die Ursachen!
Europa will Flüchtende fernhalten. Die stehen aber an der Grenze, weil
nichts zu ihrem Schutz unternommen wurde.
Koalition will Geflüchtete aufnehmen: „Besonders schutzbedürftig“
Die Spitzen der Koalition in Berlin haben sich endlich geeinigt: Bis zu
1.500 Minderjährige aus griechischen Lagern sollen aufgenommen werden.
Waffenstillstand für Idlib: Im besten Fall ein neues Gaza
Gut, dass Erdoğan und Putin die Kämpfe in Syrien vorerst gestoppt haben.
Doch für die in der Provinz Idlib Eingeschlossenen fehlt eine Perspektive.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.