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# taz.de -- #metoo auf der Berlinale: „Der Fehler im System“
> Auf der Berlinale laufen Filme von Ilja Chrschanowski. Frauen werfen dem
> Regisseur übergriffiges Verhalten und Machtmissbrauch vor. Ein Protokoll.
Bild: Regisseur Ilja Chrschanowski
Am Mittwoch feiert der Film „Dau.Natasha“ auf der Berlinale Premiere. Dem
Regisseur Ilja Chrschanowski werfen Frauen Machtmissbrauch und Manipulation
vor. Außerdem ist unklar, ob er bei den Dreharbeiten Grenzen zur Gewalt
überschritt: In „Dau.Natasha“ gibt es eine Szene, in der eine Frau von
einem KGBler verhört wird, sie wird geschlagen und gezwungen, sich eine
Flasche in die Vagina einzuführen. Der KGBler ist echt, ein ehemaliger
Profi-Folterer. Die Frau ist auch echt, sie wurde auf dem Markt von Charkiw
in der Ukraine gecastet, wo der Film spielt. Das war Chrschanowksis Idee:
Alles sollte echt sein, die Liebe, der Sex und auch der Schmerz.
[1][2018 wollte Chrschanowski mit seinem „Dau-Projekt“ nach Berlin kommen,]
hier einen Teil der Mauer aufbauen und eine totalitäre Parallelwelt
schaffen – so wie zuvor in der Ukraine. Viele Politiker*innen waren
begeistert, große Namen der Filmwelt, von Tom Tykwer bis Lars Eidinger,
wollten unbedingt, dass „Dau“ nach Deutschland kommt. Das klappte
schließlich nicht, aus Sicherheitsgründen.
[2][Am 22. Februar berichtete die taz über die Vorwürfe der am Film
beteiligten Frauen.] Daraufhin meldeten sich viele weitere, auch Männer
meldeten sich, sie beschreiben die Strukturen am Set als sektenhaft und
manipulativ, viele berichten von Übergriffen und sexuell gedemütigten
Darsteller*innen. Hier soll vorerst eine Stimme zu Wort kommen. Ihr Name
ist der Redaktion bekannt, wird aber wegen einer von ihr unterschriebenen
Schweigeerklärung gegenüber der Produktion nicht veröffentlicht.
„Ich habe in Berlin bei den Vorbereitungen für das Dau-Projekt gearbeitet.
Ich dachte, es könnte meiner Karriere weiterhelfen, ich war beeindruckt von
den vielen bekannten Namen, die da mitmischten: Marina Abramović, Jürgen
Jürges – der Kameramann von Fassbinder, Romeo Castelluci und so weiter.
Die Atmosphäre bei der Arbeit war angespannt. Wir mussten extrem viel
arbeiten, meistens bis tief in die Nacht oder in die frühen Morgenstunden,
sodass ich den Kontakt zur Außenwelt verloren habe.
Alle haben von Ilja, dem Regisseur, wie von einem Gott gesprochen. Wenn er
den Raum betrat, waren sie wie verändert, sie sind verstummt oder haben um
jeden Preis versucht, seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Alle wollten ihm
gefallen. Sie hatten Angst, Ehrfurcht auch. Ich fand das verwirrend. Als
ich Ilja kennenlernen sollte, haben mich manche vorgewarnt, gesagt: Sei
vorsichtig. Das Treffen fand in einer Bar statt und war dann okay. Ich fand
ihn charismatisch, auch sympathisch. Es ging sehr viel um mich, darum, was
ich möchte, was ich von dem Projekt erwarte, was ich beitragen kann.
## Das Gefühl: Da musst du durch
Dann wurde es anders. Es gab öfter persönliche Treffen. Man wusste nie,
wann das geschehen wird, plötzlich hieß es: Heute triffst du den Regisseur.
Immer auf Abruf, das war ein Dauerstress. Vor den Treffen wurde
standardmäßig Alkohol serviert.
Mir ging es um die Arbeit, aber darüber wollte Ilja nicht sprechen. Sondern
über Persönliches, über sexuelle Vorlieben zum Beispiel. Ob man einen
Freund hat, welche Orientierung, mit wie vielen Männern oder Frauen man
geschlafen hat. Wenn man sich dagegen sträubte, hieß es: Du öffnest dich
nicht dem Projekt gegenüber. Das gab einem ein beklemmendes Gefühl, es ist
schwer zu beschreiben.
In normalen Arbeitsverhältnissen gibt es klare Grenzen. Bei Dau gab es das
nicht. Als Ilja mich beispielsweise vor weiteren Teammitgliedern in den Arm
genommen, diesen gestreichelt und geküsst hat, haben alle gelacht. Ich war
perplex, wusste nicht, was ich machen sollte. Ich habe nichts gesagt,
fühlte mich schuldig, hilflos und dachte: Ist das normal? Wenn andere
Frauen im Raum einem nicht zur Hilfe eilen, weiß man nicht mehr weiter. Ich
hatte nach diesem Ereignis das Gefühl: So ist das halt, so funktioniert
diese Branche, da musst du durch.
Ilja hat jedem das Gefühl gegeben, was Besonderes zu sein. Das macht was
mit einem, vor allem, wenn die anderen fanatisch um ihn fiebern. Irgendwann
traust du dich nicht mehr, was zu sagen. Ich war wütend, aber auch
angestachelt: Ich wollte beweisen, dass ich das alles stemmen kann. Ich
glaube, junge, ehrgeizige Menschen kriegt man auf diese Weise ganz schnell.
Ich habe einen starken Leistungsdruck, schon seit ich ein Kind bin. Das
habe ich auch offen kommuniziert, es wurde ausgenutzt.
## Ist das für mich vertretbar? Nein
Ich mochte das Team sehr. Alle waren wahnsinnig talentiert. Deswegen bin
ich wahrscheinlich auch länger geblieben. Ich habe auch eine Verantwortung
gespürt: Wir steckten da alle zusammen drin. Wie in einer Sekte. Da gab es
ein Oberhaupt, das alles machen konnte. Und niemand hat was gesagt,
inklusive meiner.
Ich habe alles versucht zu verdrängen und habe weitergearbeitet. Ich war
zwiegespalten, einerseits wusste ich: Das ist alles falsch und auch ich
verhalte mich falsch. Andererseits dachte ich auch: Hier sind wirklich
große Namen involviert, kann doch nicht sein, dass die bei etwas Falschem
mitmachen würden!
Die Geschichten, wie Ilja mit Frauen umgeht, da reden viele drüber. Alle
wussten Bescheid. Wir haben auch untereinander darüber geredet, aber dann
haben wir es weiter hingenommen. Auch ich habe meine Arbeit weitergemacht.
Irgendwann sollte ich mir das Filmmaterial aus der Ukraine ansehen. Jeder
musste das irgendwann. Ich habe Sachen gesehen, bei denen ich mich fragte:
Ist das für mich vertretbar? Ich wusste: Nein. Aber mein Ehrgeiz hat mich
immer noch angestachelt. Ich war in einem Arbeitsfieber und habe alles
ausgeblendet.
In einem Film, der auch auf der Berlinale läuft, ist zu sehen, wie echte
Neonazis ans Set gebracht werden – ich habe das Team gefragt: Leute, wie
vertretet ihr das? Das ist wirklich gefährlich. Auch da wurde wieder nur
gelacht und mir keine Antwort gegeben. Alle waren wie gehirngewaschen. Ich
fragte mich: Bin ich die Einzige, die das erkennt?
## Sie mussten es gewusst haben
Ich unterstütze nicht, was in Teilen der Filme gemacht wird, vor allem als
Frau geht das gegen meine Prinzipien. In dem Material ist nicht klar, was
real ist und was nicht. Das sind keine Schauspieler. Das alles lässt sich
nicht mit Kunst rechtfertigen, es ist jenseits von Gut und Böse. Nach allen
Vorfällen war auch das ausschlaggebend zu sagen: Ich muss raus. Ich habe
gekündigt, weil ich wirklich fertig war. Dann hieß es: Es liegt an dir. Du
bist der Fehler im System. Wenn du das nicht schaffst, dann bist du hier
falsch.
Dass die Filme auf der Berlinale laufen, hat mich geärgert. Denn die
Berlinale tut so, als würde sich sich für Frauenquoten und für die Rechte
von Minderheiten einsetzen. Das ist alles Gelaber, PR. Alle wissen, was
beim Dreh und hinter den Kulissen passiert ist, wie die Bedingungen waren,
wie Frauen behandelt wurden. Trotzdem wird dem Ganzen so eine große
Plattform geboten. Es macht mich wütend, dass so was in Deutschland im Jahr
2020 möglich ist.
Das Medienboard Berlin-Brandenburg hat den Film mitgefördert, es sitzt eine
Frau an dessen Spitze und es saßen bei Dau mehrere Frauen an der Spitze der
Produktion. Wie konnten sie bei dem Ganzen wegsehen? Ich kann mir nicht
vorstellen, dass die von nichts wussten.
Es gibt so viele junge Filmemacher, die sich für faire Bedingungen
einsetzen, und sie alle haben Schwierigkeiten, auch nur irgendeine
Förderung zu bekommen. Und dann wird so ein Projekt gefördert, das von
Anfang an totalitär angelegt ist. Und diese großen Namen, echte Größen des
Filmgeschäfts, die unbedingt wollten, dass Dau nach Berlin kommt, dass Dau
gezeigt wird – das kann doch nicht deren Ernst sein?“
26 Feb 2020
## LINKS
[1] /Mega-Kunstprojekt-DAU-in-Berlin/!5531337
[2] /Berlinale-drei-Jahre-nach-metoo/!5663660
## AUTOREN
Viktoria Morasch
## TAGS
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