# taz.de -- Gedicht von Rammsteins Till Lindemann: Vergewaltigungen sind keine … | |
> Bei Kiepenheuer & Witsch erscheint ein Text von „Rammstein“-Sänger Till | |
> Lindemann, der Vergewaltigung veherrlicht. Der Verlag verteidigt das. | |
Bild: Rammstein-Frontmann und Autor Till Lindemann | |
Mit Gedichten ist das ja so eine Sache. Der Interpretationsspielraum ist | |
meist groß; was der oder die Verfasser*in wirklich sagen will, ist häufig | |
nicht eindeutig auszumachen. Man erinnere sich an das | |
[1][„Avenidas“-Gedicht von Eugen Gomringer] an der Hauswand der | |
Alice-Salomon-Hochschule. Deutlich beeindruckender als das Gedicht an sich | |
war die Debatte darum, die kurz nach dem Aufkommen von #MeToo entstand. | |
In der Hochschule und in den Medien wurde wochenlang darüber diskutiert, ob | |
das Gedicht sexistisch ist, weil Frauen darin nur als Objekte vorkommen. | |
Schlussendlich wurde es nach Initiative der Student*innen an der Hauswand | |
der Hochschule übermalt und tauchte an anderer Stelle wieder auf. | |
Aktuell wird in sozialen Netzwerken in Deutschland wieder über ein | |
sexistisches Gedicht diskutiert, doch dieses Mal braucht es keine | |
tiefgreifende Interpretation. Statt um Blumen, Frauen und Fassaden, geht es | |
hier nämlich um Vergewaltigungsfantasie. Unter dem Titel „Wenn du schläfst�… | |
schildert Till Lindemann, [2][der Sänger von Rammstein], explizit | |
sexualisierte Gewalt, die unter Einfluss von Drogen vollzogen wird. Die | |
Vergewaltigung wird jedoch nicht nur beschrieben, sondern auch | |
verherrlicht: „Und genau so soll das sein (so soll das sein so macht das | |
Spaß)“ und weiter „Es ist ein Segen“, schreibt er. | |
Das kurze Gedicht ist Anfang März in Lindemanns Band „100 Gedichte“ im | |
Verlag Kiepenheuer & Witsch (KiWi) erschienen, herausgegeben von Alexander | |
Gorkow, dem Leiter des „Seite 3“-Ressorts der Süddeutschen Zeitung. Bisher | |
hat es wenig Beachtung gefunden. Doch in den letzten Stunden wurde in | |
sozialen Netzwerken immer mehr Kritik an Lindemanns Gedicht laut. | |
## Mehr als nur billige Provokation | |
Lindemann provoziert gerne und liebt es Grenzen zu überschreiten. Das weiß, | |
wer die Texte der Band Rammstein kennt. Dass aber ein etablierter Verlag | |
und ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung denken, diesem | |
gewaltverherrlichendem Text zu großer Öffentlichkeit verhelfen zu müssen, | |
ist enttäuschend. Nach der seit mehr als zwei Jahren anhaltenden | |
#MeToo-Bewegung hätte man sich gewünscht, man wäre gesellschaftlich schon | |
weiter. | |
Um das Verherrlichen von Vergewaltigungen als reine Provokation | |
hinzunehmen, dafür ist die Problematik zu real. Allein in Deutschland | |
erfährt jede siebte Frau im Laufe ihres Lebens strafrechtlich relevante | |
sexualisierte Gewalt. Und laut der Eurobarometer-Umfrage von 2016 fanden 27 | |
Prozent der befragten Europäer*innen, dass „nicht einvernehmlicher | |
Geschlechtsverkehr in bestimmten Situationen vertretbar ist“. Während viele | |
Nutzer*innen bei Twitter Lindemann sowie den Verlag für ihre Entscheidung | |
kritisieren, bügeln andere die Kritik an dem Gedicht als Zensur ab. | |
Doch das Gedicht nicht zu veröffentlichen oder es nun im Nachhinein aus dem | |
Band zu entfernen, [3][käme keiner Zensur gleich], denn es ginge hier ja | |
nicht um von staatlicher Stelle angeordnete Kontrolle. Ebensowenig ist mit | |
der Kritik pauschal gesagt, dass sexualisierte Gewalt nicht popkulturell | |
verarbeitet werden darf. | |
In einer Vielzahl von Filmen und Büchern werden Vergewaltigung dargestellt | |
oder nacherzählt. Doch die Frage ist dabei: Wie wird sie kontextualisiert? | |
Wird sie problematisiert oder wie in diesem Fall verherrlicht? Wer kommt zu | |
Wort und wer nicht? | |
## Lyrisches Ich vs. Autor | |
Herausgeber Alexander Gorkow war für die taz am Freitag nicht für eine | |
Stellungnahme zu erreichen. Der KiWi-Verlag reagierte via Twitter mit dem | |
Verweis auf die Unterscheidung von Lyrischem Ich und Autor – und auf die | |
Kunstfreiheit. | |
Nur hat ja in der Debatte niemand Till Lindemann vorgeworfen, er würde | |
gerne Frauen vergewaltigen. Kritisiert wird die Darstellung der | |
Vergewaltigung in seiner Poesie. Auch ein Lyrisches Ich kann die | |
Täterperspektive feiern, Gewalt verharmlosen oder rechtfertigen und | |
mögliche reale Täter animieren – dafür muss es nicht deckungsgleich mit | |
einer realen Person sein. Auch die Gedanken eines Lyrischen Ichs können | |
Betroffene sexualisierter Gewalt triggern. | |
Das scheint im KiWi-Verlag nur leider keine*r mitgedacht zu haben. Schade, | |
denn 2020 sollten gewaltverherrlichende und menschenverachtende Texte nicht | |
mehr unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit verteidigt werden. | |
3 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Streit-um-Gedicht-an-Hochschulfassade/!5476081 | |
[2] /Rammstein-Konzert-in-Berlin/!5602295 | |
[3] /Placido-Domingo-sagt-Met-Auftritt-ab/!5626451 | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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