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# taz.de -- Prozess gegen Harvey Weinstein: Ein Urteil für die vielen
> Der Prozess gegen den Filmproduzenten kommt zu einem Schluss, der
> Hoffnung macht. Diese eine Verurteilung darf aber nicht das Ende von
> MeToo sein.
Bild: Die Schauspielerin und MeToo-Aktivistin Rose McGowan beim Prozessauftakt …
Es ist der Moment, auf den unzählige Frauen seit Jahren oder Jahrzehnten
gewartet haben. [1][Harvey Weinstein], einst ein mächtiger und
erfolgreicher Filmproduzent, wurde am Montag verurteilt. Gleich nachdem
Richter James M. Burke die Entscheidung der Jury verkündet hatte, wurde
Weinstein aus dem obersten Gericht in New York in Handschellen abgeführt.
Die zwölf Geschworenen hatten ihn nach fünf Tagen Beratungszeit in zwei von
fünf Anklagepunkten für schuldig befunden.
Es geht dabei einmal um den Vorwurf der schweren Nötigung, der auf den
Aussagen der Zeugin Miriam Haley, einer ehemaligen Produktionsassistentin
der Weinstein Company, basiert. Sie sagte aus, dass Weinstein sie 2006 zum
Oralverkehr gezwungen hat. Zudem ging es um Vergewaltigung in einem
„minderschweren“ Fall. Die Schauspielerin Jessica Mann beschuldigte
Weinstein, sie 2013 in einem Hotelzimmer vergewaltigt zu haben.
„Minderschwer“ heißt nach US-amerikanischem Strafrecht, dass es kein
Einverständnis gab, aber es nicht zu physischer Gewalt gekommen ist.
Im Anklagepunkt des „predatory sexual assault“ – wörtlich mit
raubtierhaften oder räuberischen sexuellen Übergriffen zu übersetzen –
wurde Weinstein freigesprochen. Es war der schwerste Vorwurf gegen
Weinstein, eine Verurteilung in diesem Anklagepunkt hätte eine lebenslange
Haftstrafe nach sich ziehen können. Nun drohen Weinstein zwischen 5 und 29
Jahren Haft. Am 11. März wird Richter Burke das Strafmaß verkünden, bis
dahin wird Weinstein in Haft bleiben. Seine Verteidiger:innen gaben direkt
nach der Verkündung des Urteils bekannt, dass sie ebendieses anfechten
wollen. Weinstein hatte auf unschuldig plädiert – sich selbst aber im
Prozess nicht geäußert. [2][Auch in Los Angeles wird Weinstein
voraussichtlich bald ein Prozess erwarten], auch hier geht es um den
Vorwurf einer Vergewaltigung einer Frau und des sexuellen Missbrauchs einer
anderen.
## Zeug:innen und wenige Beweise
Der Prozess in New York, der am 6. Januar im begonnen hatte, barg viele
Herausforderungen. Angefangen mit der Jury-Auswahl, bei der es darum ging,
Geschworene zu finden, die nicht „befangen“ sind. Bei einem Fall mit solch
umfangreicher Berichterstattung ein schwieriges Unterfangen. Nach der
Juryfindung kamen im Prozess neben den beiden Hauptzeuginnen noch vier
weitere mutmaßlich Betroffene im Gericht zu Wort. Mit diesen Aussagen
wollte die Staatsanwaltschaft Weinstein ein jahrzehntelanges
Verhaltensmuster nachweisen. [3][Die wichtigste Belastungszeugin war die
Schauspielerin Annabella Sciorra], bekannt aus der Serie „Sopranos“, die
Weinstein der Vergewaltigung beschuldigte. Der Fall ist verjährt. Doch die
Geschworenen schienen gerade ihr keinen Glauben zu schenken.
Die Jury konnte sich bei ihrer Entscheidung nur auf die Aussagen von
Zeug:innen und wenige Beweismittel berufen. Denn wie fast immer, wenn es um
sexualisierte Gewalt ging, fehlten direkte Zeug:innen und physische
Beweise. Hinzu kam, dass die Straftaten lange Zeit zurückliegen und dass
die beiden Hauptzeuginnen, Mann und Haleyi, auch nach der Vergewaltigung
und dem erzwungenen Oralverkehr eine einvernehmliche Beziehung mit
Weinstein pflegten.
Vorfälle dieser Art kommen selten vor Gericht, und wenn, werden sie selten
gewonnen. Gerade deswegen ist die Verurteilung Weinsteins überraschend und
ein Erfolg.
Zwischenzeitlich sah es so aus, als könnte der Prozess platzen. Denn die
Geschworenen konnten zu keinem gemeinsamen Urteil kommen und baten den
Richter darum, nur in drei von fünf Anklagepunkten ein Votum zu fällen.
Burke verweigerte das jedoch und ließ die Geschworenen weiter beraten.
Nun aber ist die Verurteilung durch, und das ist an sich schon ein Sieg.
Ein Sieg für Mann und Haleyi. Für alle Frauen, die den Mut aufgebracht
haben, ihre Stimme zu erheben. Sei es im Gericht, gegenüber
Journalist:innen oder Polizist:innen oder in sozialen Medien. Trotz der
Gefährdung ihrer Karriere, ihrer Anonymität und ihres Vermögens sind sie
laut geworden. Es ist ein Sieg für alle Frauen, die nicht aussagen konnten
und wollten, weil ihre Fälle verjährt sind oder es zu außergerichtlichen
Einigungen gekommen war. Ein Sieg im Kampf gegen sexualisierte Gewalt.
## Die Erleichterung
Kein Fall und kein Gesicht ist so sehr mit der MeToo-Bewegung verbunden wie
das von Harvey Weinstein. [4][Die Recherchen der New York Times] und des
[5][New Yorker im Oktober 2017] lösten eine weltweite Debatte über
sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch aus. Deswegen wurde der Prozess
der vergangenen Wochen auch als ein Stresstest für #MeToo gesehen.
Viele Frauen zeigen sich nun nach der Verurteilung erleichtert. Die
Schauspielerin Ashley Judd, die im Jahr 2017 als Erste bereit war, mit der
New York Times zu sprechen, twitterte kurz nach dem Urteilsspruch: „Für die
Frauen, die in diesem Fall ausgesagt haben und durch eine traumatische
Hölle gegangen sind: Ihr habt Mädchen und Frauen überall einen großen
Dienst erwiesen. Danke.“ Und auch Tarana Burke, die den Hashtag zur
Bewegung erfand, sagte: „So lange Zeit glaubten Frauen, dass er unantastbar
sei und dass er niemals zur Verantwortung gezogen werde, doch jetzt hat die
Justiz ihn für schuldig erklärt. Das ist eine starke Message.“
Die Freude der Frauen ist nachvollziehbar. Doch obwohl das Urteil ein
Hoffnungsschimmer für alle Betroffenen sexualisierter Gewalt ist, kann es
nicht über den Erfolg einer ganzen Bewegung bestimmen.
Denn noch immer sind viele Vorwürfe im Raum, die nicht vor Gericht gekommen
sind. Einmal sind da die knapp 90 weiteren Frauen, die Weinstein
beschuldigen. Aber auch in Deutschland gibt es solche Fälle. [6][Anfang
Januar 2018 veröffentlichte das Zeitmagazin] einen Artikel, in dem mehrere
Schauspielerinnen und ehemalige Mitarbeiter:innen dem Regisseur Dieter
Wedel gewalttätige und sexuelle Übergriffe vorwarfen.
## Jede dritte Frau
Kurz darauf begann die Staatsanwaltschaft München ihre Ermittlungen. Doch
dabei kommt es immer wieder zu Verzögerungen, sodass sie nicht
abgeschlossen werden können. Und das sind nur zwei beispielhafte Fälle, in
die berühmte Männer involviert sind. Doch Gewalt gegen Frauen und Mädchen
ist die häufigste Menschenrechtsverletzung der Welt. Jede dritte Frau wird
mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt.
Das Strafrecht an sich und einzelne Urteile haben grundsätzlich das
Potenzial, gesellschaftliche Veränderungen anzuschieben. So kann das Urteil
gegen Weinstein andere Betroffene dazu animieren, die Gewalttaten gegen sie
zur Anzeige zu bringen. Da sie nun wissen: Es gibt Situationen, in denen
ihnen geglaubt wird.
Doch um in einer Gesellschaft zu leben, in der Frauen geglaubt wird und
Täter verurteilt werden, reicht ein einzelnes Urteil nicht aus. Weinsteins
Prozess darf deswegen kein Ende der MeToo-Bewegung sein, sondern sollte ein
erneuter Antrieb für die Debatte sein. Denn viele Fragen und Probleme
wurden in der Debatte aufgeworfen, nun ist es für die gesamte Gesellschaft
an der Zeit, sie zu lösen.
Doch zumindest kann nach dem Urteilsspruch der Jury niemand mehr sagen,
Harvey Weinstein sei Opfer von #MeToo – wie er selbst und seine
Verteidigung es umschrieben haben. Denn nun ist auch gerichtlich
entschieden: Harvey Weinstein ist kein Opfer, sondern Täter.
25 Feb 2020
## LINKS
[1] /Prozess-gegen-Harvey-Weinstein/!5661339
[2] /Harvey-Weinstein-vor-Gericht/!5654234
[3] /Weinstein-Prozess-in-New-York/!5659202
[4] https://www.nytimes.com/2017/10/05/us/harvey-weinstein-harassment-allegatio…
[5] https://www.newyorker.com/news/news-desk/from-aggressive-overtures-to-sexua…
[6] https://www.zeit.de/zeit-magazin/2018/02/dieter-wedel-regisseur-sexuelle-ue…
## AUTOREN
Carolina Schwarz
## TAGS
Schwerpunkt #metoo
Harvey Weinstein
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Lesestück Recherche und Reportage
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