| # taz.de -- Richard Stanleys „Die Farbe aus dem All“: Toleranz für Wahnwitz | |
| > Richard Stanley verfilmt die Horrorgeschichte „Die Farbe aus dem All“. | |
| > Ein Film voller Obsession und Abseitigem mit Nicolas Cage in der | |
| > Hauptrolle. | |
| Bild: „Die Farbe aus dem All“ breitet sich ins Sehen aus und greift bald in… | |
| Der kleine Filmverleih [1][Drop-Out Cinema engagiert sich seit Jahren für | |
| extravagante Filme], die bei qualitätsaffinen Festivals keinen Raum finden | |
| und denen ohne Unterstützung die Leinwand verwehrt bleiben würde. In dieser | |
| Woche bringt die Gruppe „Die Farbe aus dem All“ ins Kino, den neuen Film | |
| des südafrikanischen Filmemachers Richard Stanley. | |
| Um sich mit dessen Karriere zu beschäftigen, muss man ein wenig hinter die | |
| Dinge – sprich hinter die Bilder – blicken. So ist „Die Farbe aus dem All… | |
| seine erste fiktionale Arbeit seit den Neunzigern, dazwischen konnte er | |
| bloß zwei kleine Dokumentarfilme drehen. | |
| Damals war Richard Stanley der Regisseur des Kultfilms „The Island of Dr. | |
| Moreau“ (1996) mit Marlon Brando. Er verlor jedoch seinen Job, als die | |
| Produktion durch Wirren am Set eskalierte. Bereits um seinen vorherigen | |
| Film „Dust Devil“ von 1992 hatte er einen jahrelangen Rechtsstreit führen | |
| müssen. | |
| Anlässlich des neuen Films widmete Kollege Sascha Westphal dem Regisseur | |
| jüngst eine Liebeserklärung bei epd film. Westphal beschreibt Stanley als | |
| „Hexenmeister des Kinos“ und als einen Künstler, dessen komplexe | |
| Betrachtung religiöser, okkulter und körperphilosophischer Fragen weit über | |
| das hinausgeht, was unter dem Korsett des Begriffs Genrefilm gemeinhin | |
| kursiert. | |
| ## Vaterrolle bis zum Wahn und Kollaps | |
| Hätten Experimentalfilmer wie Kenneth Anger oder Maja Deren günstige | |
| Studiofilme gemacht, sähen sie wohl aus wie die Arbeiten von Stanley, meint | |
| Westphal. Auch ließe im neuen Film das Transformationskino des David | |
| Cronenberg grüßen. Stanley sei ein Filmemacher, der sich an der Befreiung | |
| des Geistes aus seinen weltlichen Hüllen abarbeite. | |
| Filme, die eine lange Einführung brauchen, erwecken den Verdacht, nicht aus | |
| sich selbst heraus zu überzeugen. Ob das für „Die Farbe aus dem All“ gilt, | |
| hängt vor allem mit Sehgewohnheiten und der Tagesform zusammen. Eine | |
| gewisse Toleranz für Wahnwitz und das Abseitige ist nicht fehl am Platz. | |
| Bewusstseinserweiternde Substanzen scheinen bereits bei der Produktion | |
| eingeflossen zu sein und bieten sich zum Kinoabend eher an als das schnöde | |
| Popcorn. | |
| Nicolas Cage gibt einen Künstler, über den im Film kaum etwas zu erfahren | |
| ist. Was dennoch herauskommt, sind seine Obsessionen und seine | |
| Übererfüllung der Vaterrolle bis zum Wahn und Kollaps. Cage bringt seine | |
| ganze Rollengeschichte mit in den Film, und so verspricht der Trailer | |
| völlig schamlos die große Cage-Show, die auch eingelöst wird. | |
| Der Mann ist bekannt dafür, sich auf exzessive Rollen einzulassen, er | |
| stellte erst vor Kurzem in „Mandy“ unter Beweis, dass Spielfreude nicht mit | |
| Realismus oder Elitismus zusammenhängen muss und dass Kino sich an diesen | |
| Kategorien nicht zu messen hat. Überraschend ist, dass Stanley ihn nun für | |
| die Dauer fast einer Stunde den liebevollen Vater spielen lässt – umringt | |
| von einem schon beachtlich unglaubwürdigen Ensemble. | |
| Das ist mutig, vielleicht auch stur, für einige mit Sicherheit besonders | |
| vergnüglich. In jedem Fall verstärkt die zumeist ausbleibende Selbstironie | |
| der ersten Filmhälfte das anschließende Maß der Eskalation: Wenn die | |
| titelgebende Farbe aus dem Weltall sich in der Filmwelt ausbreitet und bald | |
| zunehmend geschrien statt gesprochen wird, geht der Film ziemlich gut auf. | |
| Und die Illusion, zuvor hätte es einen Wahrheitsgehalt im Spiel geben | |
| müssen, scheint beinahe naiv. | |
| Was geschieht, ist weder vollends zu verstehen noch zu erklären noch | |
| letztlich von Belang: Ein Meteor schlägt ein und kontaminiert die Umgebung | |
| eines kleinen Hauses im Wald, in dem Nathan Gardner (Cage) mit seiner | |
| Familie Zuflucht vor der Stadt gesucht hat. | |
| Die Kontamination ist eine vollständige, denn die Farbe aus dem All breitet | |
| sich über das Wasser und die Luft ins Sehen aus, greift bald ins Denken und | |
| Fühlen ein, in die Körper der Tiere und Menschen, dann weiter in die | |
| Grundstrukturen der Welt und all ihrer Lebewesen. Letztlich überschreitet | |
| das Virus die Lebensform, die Farbe, alle Logik, sie hebelt Zeit, Raum und | |
| Realität aus. | |
| Stanleys Film basiert auf einer der bekanntesten Kurzgeschichten des | |
| Horror-Autors H. P. Lovecraft, die bereits viermal vorher fürs Kino | |
| adaptiert wurde – ebenso wie ungezählte andere seiner Geschichten, die zu | |
| den wichtigsten Impulsen innerhalb des Horrorgenres gelten. | |
| Lovecraft selbst wurde zeit seines Lebens kaum wahrgenommen, konnte von | |
| seiner Kunst nicht leben. Und so scheinen sich hier zwei Karrieren auf | |
| interessante Art zu begegnen: Richard Stanley spricht bereits von einer | |
| geplanten Lovecraft-Trilogie. | |
| Schon wieder der Kontext. Dabei gäbe es genug über den Film zu sagen, der | |
| in sich jede Erklärung und Politisierung verweigert und sich dennoch nie | |
| eskapistisch anfühlt. Im Fernsehen laufen vor allem Krisselbilder. Am | |
| wichtigsten bleibt die Grundhaltung, die Lovecraft prägte und die gegen | |
| Vereinfachung und Reduktion steht: Das Merkwürdige – ein Wort, das auf der | |
| Zunge zergeht – verschmilzt förmlich mit der Welt, das große Ganze bleibt | |
| rätselhaft und unerklärlich. | |
| 5 Mar 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dennis Vetter | |
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