| # taz.de -- Berlin will Flüchtlinge aufnehmen: „Wir müssen die Grenzen aufm… | |
| > Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) fordert die | |
| > Bundesregierung auf, den Menschen an den EU-Grenzen zu helfen. Berlin ist | |
| > bereit. | |
| Bild: Ein Frau mit zwei kleinen Kindern hofft an der EU-Grenzen auf Hilfe. Bish… | |
| taz: Frau Breitenbach, die Situation an der Grenze zu Griechenland | |
| eskaliert: Eltern tragen ihre Kleinkinder durch Tränengaswolken, rechte | |
| Bürgerwehren marodieren auf Lesbos, Boote der Küstenwache drangsalieren | |
| Schlauchboote mit Flüchtlingen, ein Kind ertrank vor der Küste von Lesbos. | |
| Das sind die Schreckensnachrichten allein der vergangenen Woche. Wie sehen | |
| Sie die Situation an der griechischen Außengrenze der EU und auf Lesbos? | |
| Elke Breitenbach: Ich finde, der Begriff „Schreckensnachrichten“, das ist | |
| noch höflich ausgedrückt. Die Situation ist katastrophal und nicht | |
| hinnehmbar. Menschen in Not sind zum Spielball kriegsstrategischer | |
| Überlegungen geworden. Das ist ganz furchtbar. Wir können das jeden Tag | |
| live im Fernsehen und in den sozialen Netzwerken sehen, und der | |
| Bundesregierung und der EU fällt nichts anderes ein, als zu sagen, dass sie | |
| Griechenland bei der Grenzsicherung unterstützen wollen. Ich finde auch, | |
| dass man Griechenland unterstützen müsste, aber auf einem anderen Weg: Wir | |
| müssen die Grenzen aufmachen und diesen Menschen in Not helfen. Dafür | |
| brauchen wir eine europaweite Lösung. | |
| Sie sagen, Berlin könnte kurzfristig Menschen aufnehmen. 2.000 Plätze seien | |
| in Einrichtungen verfügbar. 139 weitere Städte und Gemeinden haben sich | |
| über die Seebrücke vernetzt und angeboten, ebenfalls Flüchtlinge | |
| aufzunehmen. Vor dem Kanzleramt haben am Dienstagabend mehrere Tausend | |
| Menschen dafür demonstriert. Woran scheitert die Aufnahme, und was fordern | |
| Sie? | |
| Es ist leider nicht so einfach: Wir können nicht einfach mit dem Bus nach | |
| Griechenland hinfahren und alle mitnehmen. Wir brauchen eine Verständigung | |
| mit dem Bund. Und das Innenministerium hat sich vergangenes Jahr gegen | |
| Alleingänge ausgesprochen. Wobei Innenminister Horst Seehofer (CSU) | |
| mittlerweile immerhin eingeräumt hat, dass man für die Kinder eine Lösung | |
| suchen sollte. | |
| Wäre es ein möglicher Kompromiss, dass man zunächst Familien mit Kindern | |
| aufnehmen könnte? | |
| Ob ich kompromissbereit bin oder nicht, steht gar nicht zur Debatte, weil | |
| ich in dieser Angelegenheit nichts zu sagen habe. Berlin und andere Städte | |
| und Kommunen wollen eine humanitäre Lösung für diese Menschen. Wir wollen | |
| ihnen helfen und Verantwortung übernehmen. Diejenigen, die darüber | |
| entscheiden können, sagen jedoch Nein. Deswegen müssen wir weiter Druck | |
| machen und unsere Angebot für Geflüchtete aufrechterhalten. Dabei ist klar, | |
| dass wir unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zuerst helfen müssen. | |
| Dort sind teilweise noch sehr kleine Kinder. Aber letztlich muss eine | |
| Lösung für alle Menschen dort gefunden werden. | |
| Demgegenüber hat das Bundesinnenministerium gestern Abend einen Tweet | |
| abgesetzt, in dem es hieß: „Die Grenzen Europas stehen Flüchtlingen aus der | |
| Türkei nicht offen, und dies gilt auch für unsere deutschen Grenzen“ – auf | |
| Deutsch, Englisch, Arabisch und Farsi. Und FDP-Chef Christian Lindner warnt | |
| gemäß konservativ- rechten und deutschen Befindlichkeiten vor einem | |
| „Kontrollverlust wie 2015“. Was sagen Sie als Senatorin für Integration | |
| dazu? | |
| Die FDP sollte lieber aufpassen, dass sie nicht die Kontrolle über ihre | |
| eigenen Strukturen verliert. Das ist AfD-Sprache, und möglicherweise gibt | |
| es da ja auch Gemeinsamkeiten. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Grenzen | |
| geschlossen sind und Menschen gehindert werden, einen Asylantrag zu | |
| stellen. Das ist ihr Recht! Wir können nicht einfach nach Lust und Laune | |
| geltendes Recht aussetzen, denn wir haben eine Verantwortung für Menschen | |
| in derart großer Not. Und wenn so viele Städte und Gemeinden nicht nur in | |
| Deutschland, sondern europaweit sagen, dass sie Menschen aufnehmen wollen, | |
| kann ich nicht verstehen, warum man das verhindert. Deshalb: Grenzen auf | |
| und sichere Wege für geflüchtete Menschen schaffen, damit sie hier einen | |
| Asylantrag stellen können. | |
| Berlin hat sich 2018 zur Solidarity City erklärt. Ist das mehr als ein | |
| Lippenbekenntnis angesichts der Tatsache, dass Ihnen in diesen Fragen | |
| letztlich die Hände gebunden sind? | |
| Ja. An dem Bekenntnis hängt die Bereitschaft, geflüchtete Menschen | |
| aufzunehmen und ihnen zu helfen. Und deswegen sind wir in Berlin auch | |
| darauf vorbereitet. Wir nehmen ja nicht den Mund voll und können dann doch | |
| keine Geflüchteten aufnehmen. Wir haben jetzt konkret 2.000 Plätze und | |
| könnten sehr schnell Menschen aufnehmen. Mit ein bisschen Zeit zur | |
| Vorbereitung der leer stehenden Unterkünfte hätten wir noch mehr | |
| Kapazitäten. | |
| Wo? | |
| In Berlin gibt es etwa noch Immobilien, zum Beispiel die | |
| Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau, die über sehr lange Zeit eine | |
| Flüchtlingsunterkunft war – nicht mit den schlechtesten Voraussetzungen. | |
| Die gehört zwar dem Bund, aber derzeit stünde sie zu Verfügung, und | |
| angesichts dieser humanitär katastrophalen Situation könnte der Bund | |
| natürlich auch seine Liegenschaften in Berlin zur Verfügung stellen, um | |
| Menschenleben zu retten. Wir überlegen auch, wo wir Baumaßnahmen noch mal | |
| verschieben können, um die bestehenden Unterkünfte zu erhalten. | |
| Was sagen Ihre Koalitionspartner:innen dazu? | |
| R2G ist da auf einer Linie. Das sagen sowohl Innensenator Andreas Geisel | |
| als auch der Regierende Michael Müller [beide SPD]und die Grünen. Da gibt | |
| es keine Differenzen. | |
| In der Grundrechtscharta der EU steht als erster Artikel: „Die Würde des | |
| Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“ Wie passt das | |
| zusammen, und wofür brauchen wir eigentlich die EU noch, wenn sie ihre | |
| eigenen Grundsätze ignoriert? | |
| Im Ernstfall wirft immer jeder jedem vor, Grundsätze zu ignorieren. Ich | |
| bin der Meinung, dass wir die EU brauchen, aber sie verändern müssen. Wir | |
| brauchen ein soziales Europa und eine soziale EU, die darauf achtet, dass | |
| Menschenrechte unteilbar sind und Menschen in Not geholfen werden muss. Die | |
| EU besteht aus reichen Ländern und hat eine Verantwortung, Menschen in Not | |
| zu helfen. Ich hoffe, dass wir den Umbau der EU hinkriegen. Gerade der | |
| Zusammenschluss von Solidarity Cities und die Aktion der sicheren Häfen | |
| sind ein Zeichen dafür, dass es viele Menschen gibt, die ein soziales | |
| Europa wollen und dafür einstehen. | |
| Wie hat sich die Aufnahmesituation in Berlin seit dem Jahr 2015/16 | |
| verbessert? Damals übernachteten Menschen vor den zuständigen Einrichtungen | |
| unter unwürdigen Bedingungen. Ist es ausgeschlossen, dass so etwas wieder | |
| passieren könnte? | |
| Ich kann niemals ausschließen, dass wir wieder in eine solche Situation | |
| kommen, aber ich bin mir sehr sicher, dass wir gut vorbereitet sind. Wir | |
| haben aus den Erfahrungen im Jahr 2015 insofern gelernt, als wir uns | |
| darauf vorbereiten, dass mehr Menschen in Not kommen. Aber es müssen | |
| natürlich auch alle Strukturen funktionieren. Und wir brauchen dafür eine | |
| vernünftige Politik auf europäischer Ebene, die den Menschen hilft und sie | |
| auf den ganz normalen Wegen verteilt. Wenn es eine Situation wie 2015 gibt, | |
| dass Menschen einfach kommen und keine Verteilung stattfindet, werden wir | |
| erneut Engpässe haben. Deshalb finde ich es wichtig, dass die | |
| Bundesregierung sich darauf festlegt, dass wir den Menschen helfen. Dann | |
| können alle Bundesländer ihre Kapazitäten vorbereiten. | |
| 5 Mar 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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