# taz.de -- Thüringen und die Berliner CDU: Der Rechtsruck einer Großstadtpar… | |
> Kaum haben AfD, CDU und FDP in Thüringen gemeinsame Sache gemacht, | |
> verwehrte sich der Berliner CDU-Fraktionschef Burkard Dregger gegen jede | |
> Kritik. | |
Bild: Demo vor der FDP-Zentrale. Schämen könnte sich auch die Berliner CDU | |
Nicht einmal zwei Stunden waren vergangen. Um 13.27 Uhr kam am Mittwoch die | |
erste Eilmeldung, wonach der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich in Thüringen mit | |
den Stimmen von AfD und CDU zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Bereits | |
um 15.16 Uhr meldete sich der Berliner CDU-Fraktionsvorsitzende Burkard | |
Dregger zu Wort. „Das ist eine demokratische Entscheidung, die nicht zu | |
kritisieren ist“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. | |
Auch wenn es in Thüringen nun doch Neuwahlen geben sollte, das Statement | |
von Dregger ist von Dauer. Und es ist erstaunlich, weil sich die | |
Unionsspitze ganz anders positioniert. Die CDU-Fraktion im Thüringer | |
Landtag habe „ausdrücklich gegen die Empfehlungen, Forderungen und Bitten | |
der Bundespartei“ gehandelt, betonte CDU-Parteichefin Annegret | |
Kramp-Karrenbauer am Mittwochabend und sprach sich für Neuwahlen aus. Am | |
Donnerstag sprach dann Angela Merkel von einem „unverzeihlichen Vorgang“. | |
Doch die Mahnungen von Merkel und AKK sind Dregger schnuppe. Seine Linie | |
stand schon vorher fest: „Einen Grund für Neuwahlen sehe ich nicht“, | |
betonte er in seinem Statement um 15.16 Uhr. „Der Wähler hat entschieden, | |
die Parteien müssen damit umgehen und haben das am Mittwoch im Landtag | |
getan.“ Die CDU müsse nun mit der FDP über eine Regierungsbildung reden. | |
Auch von Landeschef Kai Wegner gab es keine Distanzierung. | |
Ist die Berliner CDU nach dem unfreiwilligen Ausscheiden der ehemaligen | |
Landesvorsitzenden Monika Grütters nach rechts gerutscht? Bereitet sie gar | |
für die nächsten Wahlen im Abgeordnetenhaus 2021 den Boden für Gespräche | |
mit der AfD? Dass es auch Gegenstimmen gibt, zeigt Michael Braun. Der | |
langjährige Kreisvorsitzende der CDU-Steglitz-Zehlendorf schrieb auf | |
Facebook: „Wer hätte das gedacht, dass einmal vor einer Parteizentrale der | |
FDP demonstriert wird, wohlgemerkt der liberalen Partei Deutschlands, weil | |
ein Repräsentant dieser Partei sich von AfD-Nazis zum Ministerpräsidenten | |
wählen lässt? Ich bin erschüttert, nicht minder von den Abgeordneten meiner | |
Partei im thüringischen Landtag.“ | |
## „Vorgang strategisch unklug“ | |
Allerdings ist Braun seit 2016 nicht mehr Mitglied der CDU-Fraktion im | |
Abgeordnetenhaus. Deren liberales Aushängeschild Christian Goiny äußerte | |
sich zu Thüringen eher zurückhaltend. „Auch wenn ich die politische | |
Empörung nicht teile, es wurde ja schließlich ein Demokrat von | |
Rechtsextremisten mitgewählt, der die Zusammenarbeit mit der AfD sofort | |
ausgeschlossen hat, und nicht ein Rechtsextremist von Demokraten, so bleibt | |
der Vorgang politisch und strategisch unklug!“ | |
Für die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Berliner | |
Abgeordnetenhaus, Regina Kittler, kommen die Äußerungen aus der Berliner | |
CDU nicht überraschend. „Während die Bundes-CDU versucht, noch zu retten, | |
was zu retten ist, und Neuwahlen in Thüringen fordert, begrüßen Dregger und | |
Wegner allen Ernstes das Vorgehen ihrer Parteifreunde“, heißt es in einer | |
Pressemitteilung Kittlers. „Bei der Berliner CDU manifestiert sich der | |
Rechtsruck, der schon seit Monaten im Abgeordnetenhaus zu beobachten ist. | |
Anstatt für Demokratie und Rechtsstaat einzustehen, biedert man sich der | |
AfD an, wo es nur geht.“ Gegenüber der taz ergänzte Kittler, dass sich eine | |
inhaltliche Koalition von CDU, FDP und AfD schon in der Debatte über die | |
Ehrenbürgerwürde von Paul von Hindenburg gezeigt habe. | |
Irritiert über die Äußerungen von Burkard Dregger ist auch Antje Kapek. | |
„Auf dem rechten Auge ist er tolerant, auf dem linken Auge ist er blind vor | |
Wut“, sagt die grüne Fraktionsvorsitzende der taz. Sie erinnert daran, | |
dass Dregger im November eine gemeinsame Resolution zum Mauerfall mit | |
Rot-Rot-Grün verhindert habe. „Dregger hat bei der letzten Klausur seine | |
Fraktion darauf eingeschossen, mit der Linken keine gemeinsame Sache mehr | |
zu machen.“ Rechte wie den Burschenschaftler Michael Büge habe er dagegen | |
verteidigt. Büge war vom damaligen CDU-Sozialsenator Mario Czaja 2011 zum | |
Staatssekretär gemacht worden. Zwei Jahre später musste er zurücktreten, | |
als seine Mitgliedschaft bekannt wurde. Heute arbeitet er als | |
AfD-Geschäftsführer im Landtag von Rheinland-Pfalz. | |
## Unter Monika Grütters pflegte die CDU noch ihr Bild der liberalen | |
Großstadtpartei | |
Antje Kapek spricht inzwischen von einer „Rote-Socken-Kampagne“, die die | |
Berliner CDU fahre, eine Strategie, die in Thüringen zur Wahl von Thomas | |
Kemmerich mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD geführt habe. Zwar stieß | |
auch die Berliner FDP ins gleiche Horn wie CDU-Mann Dregger. So erklärte | |
FDP-Landeschef Christoph Meyer, sein Parteifreund Kemmerich könne Thüringen | |
besser machen. Und Fraktionschef Sebastian Czaja plädierte für eine „starke | |
Koalition der Mitte“ in Thüringen. | |
Doch für die Berliner CDU ist der Rechtsschwenk umso überraschender, als | |
die Partei unter Monika Grütters noch ihr Bild der liberalen | |
Großstadtpartei pflegte. Nachdem aber Karl Wegner Grütters vom | |
Landesvorsitz verdrängt hat, weht ein anderer Wind. Ein grün-schwarzes | |
Bündnis, wie es die CDU etwa in Michael Brauns Bezirk Steglitz-Zehlendorf | |
eingegangen ist, dürfte auf Landesebene in weite Ferne gerückt sein. Die | |
Annäherung an Positionen der AfD ist dagegen deutlich erkennbar. | |
Mag man die Äußerungen Dreggers noch damit erklären, dass die Berliner CDU | |
in Opposition zu SPD, Linken und Grünen steht, fallen die Reaktionen der | |
Christdemokraten in Brandenburg umso überraschender aus – denn die | |
märkische CDU regiert in einem Bündnis mit SPD und Grünen. Trotzdem | |
gratulierte die Brandenburger CDU am Mittwoch dem FDP-Mann Kemmerich zur | |
Wahl zum Ministerpräsidenten. | |
## Grünen-Landesvorsitzende Nina Stahr „absolut fassungslos“ | |
Die Abgeordneten des Thüringer Landtags hätten Kemmerich in einer | |
demokratischen Abstimmung zum Ministerpräsidenten gewählt. „Dazu gebührt | |
ihm in seinem neuen Amt unser Glückwunsch“, erklärte Landeschef und | |
Innenminister Michael Stübgen. Der CDU-Fraktionschef im Potsdamer Landtag, | |
Jan Redmann, sagte: „Herzlichen Glückwunsch zur Wahl des neuen Thüringer | |
Ministerpräsidenten, Thomas Kemmerich. Es sind alle gut beraten, jetzt erst | |
einmal durchzuatmen und besonnen zu agieren.“ | |
Glückwünsche für den Ministerpräsidenten von Björn Höckes Gnaden, aber ke… | |
Wort zur Distanzierung durch die Bundespartei. Die Harmonie, mit der Kenia | |
bislang in Brandenburg regiert hat, könnte von Thüringen auf eine harte | |
Probe gestellt werden. Denn die Reaktionen von SPD und Grünen fallen | |
eindeutig aus. „Ich bin schockiert über die Ereignisse in Thüringen“, | |
erklärte Brandenburgs SPD-Generalsekretär Erik Stohn. Für die Grünen ist | |
die Wahl Kemmerichs ein „absoluter Dammbruch“, wie Landeschefin Julia | |
Schmidt erklärte. | |
Auch in Berlin waren die Reaktionen von Rot-Rot-Grün eindeutig. Nach | |
Einschätzung von Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) ist | |
die Wahl eine „einschneidende Zäsur für Deutschland und ein Tiefpunkt | |
unserer parlamentarischen Demokratie“. Berlins Linke-Vorsitzende Katina | |
Schubert sagte, zwei bürgerliche Parteien hätten gemeinsame Sache mit | |
„Faschisten“ gemacht, die nun Einfluss auf die Regierungspolitik bekämen. | |
Sie forderte Neuwahlen. | |
Dem schloss sich auch die Grünen-Landesvorsitzende Nina Stahr an, die sich | |
„absolut fassungslos“ zeigte. „Für den eigenen Vorteil paktieren CDU und | |
FDP offen mit Rechtsextremisten und treten demokratische Grundwerte mit | |
Füßen.“ | |
6 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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