# taz.de -- Brexit-Sorgen an britischen Unis: Should I stay or should I go? | |
> Ende der Woche verlässt Großbritannien die EU. Die Verunsicherung an den | |
> Hochschulen ist groß – trotz der Versprechen aus London. | |
Bild: Erasmus-Studierende für europäische Integration: Flaggenparade am 3. No… | |
LONDON taz | Anfang des Jahres, als das britische Parlament tagtäglich um | |
die [1][Mehrheiten für den Brexit rang], stellte die liberale Abgeordnete | |
Layla Moran einen dringlichen Änderungsantrag zum geplanten | |
Austrittsabkommen aus der EU. | |
Er sollte die britische Regierung verpflichten, sich bei den bevorstehenden | |
Verhandlungen mit der Europäischen Kommission weiter die Beteiligung an den | |
[2][milliardenschweren Bildungsprogrammen] Erasmus+ und Horizon zu | |
beteiligen, mit denen die EU Studierenden kostenlose Auslandssemester und | |
Forscher*innen innovative Forschungsprojekte ermöglicht. | |
Die Weiterführung dieser Kooperationen hatten Universitäten und Studierende | |
landesweit gefordert. Britische Universitäten, das ist kein Geheimnis, | |
gehören zu den renommiertesten weltweit. Fast eine halbe Million | |
ausländische Studierende hielten sich zuletzt in Großbritannien auf – davon | |
rund 142.000 aus EU-Ländern. Der exzellente Ruf bringt den britischen Unis | |
nicht nur Studierende aus der EU – sondern auch Geld. | |
Allein aus dem Horizon-Topf fließen 6,37 Milliarden Euro ins Vereinte | |
Königreich. Jedes dritte durch Horizon gefördert Projekt ist britisch. | |
Dennoch blieben die Appelle der britischen Unis an ihre konservative | |
Regierung unerhört. Das Unterhaus schickte Morans Antrag mit Hilfe der | |
neuen Tory-Mehrheit in den parlamentarischen Papierkorb. | |
## London kündigt neue Visa an | |
Zugleich erklärte der konservative britische Universitätsminister Chris | |
Skidmore aber, dass sein Land zur weiterführenden Kooperation mit der EU | |
durchaus bereit sei. Es hänge eben ganz vom Ausgang der zukünftigen | |
Verhandlungen ab (siehe Kasten). Im Zweifelsfall würde Großbritannien | |
„alternative Arrangements“ treffen – das neue Lieblingswort in London für | |
alle [3][offenen Fragen rund um den Brexit]. | |
Um den Unis wenigstens etwas zu geben, verkündete die Regierung zunächst | |
eine Verdopplung der jährlich erlaubten Anzahl wissenschaftlicher | |
Stipendien mit vereinfachtem Einreisevisum auf insgesamt 120. In einem | |
Sektor mit 940.000 Angestellten ist das – ein Witz. | |
Das hat London mittlerweile offenbar selbst eingesehen. Am Montag – fünf | |
Tage vor dem EU-Austritt am 31. Januar – kündete die britische Regierung | |
überraschend ein neues Visaprogramm an. Mit den sogenannten Global Talent | |
Visa sollen ab dem 20. Februar Wissenschaftler*Innen aus aller Welt | |
unkompliziert einreisen können. Ein ähnliches Programm war bisher auf 2.000 | |
Visa beschränkt, diesem fehlt eine Obergrenze. | |
Für viele Wissenschaftler*innen, die derzeit in England, Wales, | |
Nordirland oder Schottland forschen, ist diese Ankündigung von großer | |
Bedeutung. Die Hälfte aller Wissenschaftler*innen in Großbritannien sind | |
EU-Bürger*innen. Wie die Arbeitserlaubnis künftig geregelt sein wird, steht | |
noch in den Sternen. Fest steht bislang: Kommt es zu keinem Übereinkommen | |
mit der EU, gilt ab 2021 ein Punktesystem, nach der Großbritannien die | |
Zuwanderung steuern möchte. | |
## EU-Bürger*innen gehen | |
Und das sorgt an den britischen Hochschulen für Verunsicherung. So vermerkt | |
die Russel Gruppe, ein Zusammenschluss der 24 britischen | |
Eliteuniversitäten, dass die Anzahl europäischer Akademiker*innen im | |
Land wegen des Brexit bereits um 11 Prozent gesunken sei. David Thomas, | |
Rektor der Bangor University in Wales, hofft, dass die Regierung die Sorgen | |
der Universitäten ernst nimmt. Für Thomas steht nicht nur die Finanzierung, | |
sondern auch die „akademische Kultur“ auf dem Spiel. | |
„Nachdem ich in Großbritannien promovierte, verbrachte ich meine | |
Postdok-Zeit in Deutschland, Finnland und Dänemark. Für mich und meine | |
Familie waren die Ortswechsel vollkommen problemlos.“ Thomas befürchtet, | |
dass die Hürden, die der Brexit mit sich bringt, etwa beim Aufenthaltsrecht | |
oder der Sozialversicherung, die akademische Freizügigkeit einschränken – | |
und Wissenschaftler*innen aus dem Ausland abschrecken könnte. | |
[4][Keine einzige britische Universität] befürwortete den Brexit, sagt | |
Vivienne Stern. Stern weiß, wovon sie spricht. Als Direktorin des | |
Zentralverbands britischer Universitäten vertritt sie 136 Hochschulen. | |
Stern fordert, dass die akademischen Beziehungen mit Europa weitergeführt | |
werden. Zwar würden fast alle bestehenden Programme wie Horizon 2020 | |
zunächst weiterlaufen, besonders wichtig sei jedoch eine frühe Entscheidung | |
bezüglich weiterer Kooperationen. | |
„Die nächste Phase von Horizon steht bevor. Wenn wir nicht von Anfang mit | |
von der Partie sind, können wir dieses Programm nicht mitbeeinflussen“, | |
warnt Stern. Was wissenschaftliche Werte und Freiheiten betreffe, sei die | |
Zusammenarbeit innerhalb Europas besonders zu schätzen. Immerhin, glaubt | |
Vivienne Stern, hätte der Brexit der Regierung dies vor Augen geführt. | |
## Übergangsregelung für EU-Studierende | |
So hat die britische Regierung schon angekündigt, dass alle Studierenden | |
aus EU-Ländern, die bis zum Wintersemester 2020/21 ein Studium in | |
Großbritannien beginnen, weiter zu den derzeitigen Konditionen zu Ende | |
studieren können. Sehr zur Erleichterung auch vom Deutschen Akademischen | |
Austauschdienst (DAAD). | |
Bis zum Ende der nächsten Laufzeit spätestens 2022 ändere sich nichts, | |
erklärt DAAD auf seiner Internetseite. Studierende, die sich für einen | |
Großbritannien-Aufenthalt entschieden haben, erhalten in jedem Fall weitere | |
Förderung. Für die Programmgeneration 2021 bis 2027 müsse aber eine | |
dauerhafte Lösung her. | |
Zumindest für eventuelle Finanzierungslücken an britischen Unis (und | |
anderswo) hat Premier Boris Johnson vorgesorgt. 4,3 Milliarden Pfund hat | |
seine Regierung dafür bereitgestellt. Für britische Universitäten beginnt | |
dennoch eine Zeit der finanziellen Unsicherheit. Für etwa 20 britische | |
Hochschulen machen EU-Zuschüsse mehr als ein Drittel ihrer Forschungsgelder | |
aus. An der walisischen Bangor University sind es gar 44 Prozent. | |
Die Unsicherheit, wie es nach dem Brexit weitergeht, spüren jedoch nicht | |
allein die Universitäten, sondern auch die weiterführenden Schulen. Julian | |
Gravatt, der stellvertretende Chef der Association of Colleges, erklärt, | |
dass Erasmus+ auch für sie eine Rolle spielt. Ohne dem EU-Programm könnten | |
nur 6 Prozent der insgesamt 248 Colleges im Verband Auslandsaufenthalte für | |
ihre Schüler*innen anbieten. | |
## Auch Schulen vom Brexit betroffen | |
Gravatt beklagt, dass in den Brexit-Überlegungen der britischen Regierung | |
die Bildung so gut wie nicht vorkommt. „Es wird viel über Waren und | |
Sektoren wie der Fischerei diskutiert.“ Für die Schulen gehe es aber um | |
Mitarbeiter*innen, Schüler*innen, Auszubildende. Sie und ihre Familien | |
seien direkt vom Brexit betroffen und damit auch die Schulen. | |
„Ein Ende des Erasmus+-Programms würde vor allen ärmeren Schüler*innen der | |
Arbeiterklasse mit weniger Ressourcen schaden“, glaubt Caoimhe Mader | |
McGuinness, Mitglied der Lobbygruppe Unis Resist Border Controls (Unis | |
gegen Grenzkontrollen). Das einzige Positive bisher sei bisher die | |
Erweiterung von Arbeitsmöglichkeiten nach dem Studium für | |
Nicht-EU-Ausländer auf zwei Jahre gewesen. Die [5][frühere | |
Premierministerin Theresa May] hatte dieses Aufenthaltsrecht von einst drei | |
Jahren auf vier Monate zusammengestrichen. | |
Unsicher ist auch, wie hoch die Uni-Gebühren für EU-Studierenden nach 2020 | |
sein werden. Derzeit liegt die Höchstgrenze für sie in England und Wales | |
bei umgerechnet 11.000 Euro pro Jahr, genauso hoch wie für Briten (in | |
Schottland fallen für das Studium hingegen keine Gebühren an). Studierende | |
aus nicht EU-Staaten zahlen bis zu dreimal so hohe Gebühren. Manche | |
ausländischen Hochschulen – wie zum Beispiel die TU Darmstadt – verhandeln | |
nun einzeln mit britischen Unis über die Höhe der Studiengebühren nach dem | |
EU-Austritt. | |
Der britische Studierendenverband NUS ist dennoch alarmiert. Er zitiert | |
eine Meinungsumfrage unter internationalen Studierenden, wonach 36 Prozent | |
der Befragten angaben, wegen des Brexit eher nicht in Großbritannien | |
studieren zu wollen. | |
## Erasmus: „lebenswichtig“ | |
Laut der NUS-Trans-Sprecherin Eden Ladley würde ein Ende von Erasmus+ auch | |
besonders LGBTQ+-Studierende treffen, weil das Austauschprogramm ihnen | |
bessere Möglichkeiten gebe, ihre Sexualität und Identität andernorts | |
auszukundschaften. „Meine eigene Zeit als Erasmus-Studentin in Paris | |
erlaubte mir in einer der großen Städte der LGBT+-Kultur zu leben, was für | |
mich lebenswichtig war.“ | |
Es gibt aber auch andere Stimmen. So bezeichnete neulich die Kolumnistin | |
Madeline Grant im konservativen, Brexit-freundlichen „Daily Telegraph“ die | |
Ziele von Erasmus+ als „eher imperialistisch als bildungsorientiert.“ Gibt | |
es demnach begrüßenswerte Seiten des Brexit für britische Unis? | |
Uni-Rektor David Thomas muss erst nachdenken, bevor er eine Antwort gibt. | |
„Unsere Spezialisierung im Umweltschutz und Agrarbereich.“ Großbritannien | |
beabsichtigt in Zukunft, Agrarbetriebe und Landwirte für | |
Naturschutzmaßnahmen zu belohnen. Außerdem wird es zu einer Ausweitung der | |
britischen Fischereizone kommen. | |
„Wenn es um wissenschaftliche Forschung in diesen Bereichen geht, sind wir | |
die richtige Adresse“, glaubt der Uni-Rektor aus Wales und stellt dennoch | |
klar, dass er ein Remainer war. | |
NaN NaN | |
## LINKS | |
[1] /Professor-ueber-Brexit-Deal/!5631602 | |
[2] /Britische-Universitaeten-nach-dem-Brexit/!5315247 | |
[3] /Die-EU-und-Grossbritannien/!5646750 | |
[4] /Britische-Universitaeten-nach-dem-Brexit/!5315247 | |
[5] /Erneute-Brexit-Abstimmung-in-London/!5581821 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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