| # taz.de -- Feierlichkeiten zum Brexit: Feier und Wut | |
| > Brexit-Anhänger*innen feiern am Abend Großbritanniens Unabhängigkeit. | |
| > Gegner*innen treffen sich zu EU-Trashpartys und Trauermärschen. | |
| London taz | Andrew Rosindell weiß schon genau, was er an diesem | |
| Freitagabend machen will. „Wir werden stilvoll feiern und um 23 Uhr werden | |
| wir ‚God Save the Queen‘ und ‚Rule Britannia‘ singen“, verriet der | |
| erzkonservative Abgeordnete für den Ostlondoner Wahlkreis Romford [1][in | |
| einem Zeitungsinterview zum Brexit] am [2][31. Januar]. | |
| Auf seiner Party im Margaret Thatcher House – so hat Rosindell sein | |
| Wahlkreisbüro getauft – wird er nur Drinks, Musik und Leckereien aus | |
| Großbritannien und dem Commonwealth erlauben. „Es wird englischen Sekt | |
| geben und nichts Deutsches oder Französisches.“ | |
| So wie Rosindell versammeln sich am Freitagabend viele | |
| Brexit-Anhänger*Innen im ganzen Land. In Lymington im Süden Englands lädt | |
| etwa die konservative Bezirksabgeordnete Janette Duke zu einer „Wir stehen | |
| hinter Großbritannien“-Feier im Borough Arms Pub ein. Im Programm: | |
| traditionelle Lieder, Würstchen und Fritten – und natürlich Anstoßen auf | |
| [3][Boris Johnson]. | |
| Duke versteht den Abend als Unabhängigkeitsfeier, aber auch als | |
| „Initiative, um geteilte Meinungen wieder zusammenzubringen“. [4][In einem | |
| Interview] sagt sie: „Es ist ein wichtiges Datum in der Geschichte unseres | |
| Landes, und es wird gut sein, die Zukunft zu feiern“ und „to make Britain | |
| great again“, ein beliebtes Wortspiel im Jargon vieler Nationalisten. | |
| Auch in der zentral gelegenen Stadt Kettering in Northamptonshire wird das | |
| Rising Sun Pub in Rot, Weiß und Blau dekoriert. Der konservative | |
| Wahlkreisabgeordnete Philip Hollobone, der persönlich am Tresen zapfen | |
| wird, lädt zu einem „Old Cockney Knees-Up“ mit Kneipenliedern und Steak. | |
| Der Wirt Dave Cooper freut sich: „Lasst uns endlich mal Demokratie feiern.“ | |
| Den Brexit feiern, das ist auch in der Stadt Morley in Yorkshire angesagt. | |
| Dort lädt die konservative Abgeordnete Andrea Jenkyns gemeinsam mit der | |
| ausscheidenden konservativen Europaabgeordneten Lucy Harris zu einer | |
| Pub-Nacht mit Gesang ein. Yorkshire sei „die Geburtsstätte des Brexit, | |
| weitab von der Westminster-Blase, in der Remainer-Bürokraten versuchen, | |
| unsere Feiern zu stören“, behauptet Jenkyns. Der Abend des 31. Januar, das | |
| sei ein „Fest unserer Freiheit und Zukunft als vereintes Land“. | |
| Dennoch veranstalten die EU-Befürworter*innen offenbar lieber ihre eigenen | |
| Feste. In einem Bierkeller in London ist am Freitagabend ein Eurotrashfest | |
| geplant, wo alles von Abba bis zu den Zombies gespielt werden soll. Statt | |
| „God Save the Queen“ soll dort um 23 Uhr die EU-Hymne ertönen. „Vergesst | |
| die Welt draußen und vereint euch mit unseren gemeinsamen EU- Bürger*Innen | |
| und Freunden für Drinks und Boogie!“, schreiben die Veranstalter auf ihrer | |
| Einladung. Mögliche Einnahmen sollen an die Kampagne „the3million“ fließe… | |
| die sich für die Rechte von EU-Bürger*Innen in Großbritannien einsetzt. | |
| Andere Remainer, so werden Brexit-Gegner in Großbritannien genannt, treffen | |
| sich zu Wachen, Schweigemärschen oder Trauerfeiern. „Unsere Solidarität | |
| gilt allen Opfern von Johnson, Salvini, Orbán und Trump“, heißt es etwa in | |
| einem Aufruf aus Winchester. Und eine Londonerin schreibt auf ihrer | |
| Einladung für den Freitagabend an einen Freund, der EU-Bürger ist: „Ich | |
| wollte Freunde wie Dich einladen, die höchstwahrscheinlich so fühlen wie | |
| ich – ich nenne es Brexit-Trübsinn, aber es könnte auch Brexit-Wut heißen.… | |
| Im schottischen Stirling organisiert die Ärztin Victoria Lee mit anderen | |
| aus der Kampagne Stirling4Europe einen Abend mit Pro-EU-Politikern. „Für | |
| mich ist das ein Tag der Trauer“, erzählt sie und erklärt, wie wichtig | |
| ungehinderte Zuwanderung gerade für Schottland sei – es sei nicht | |
| überraschend, dass Schottland nun das Recht fordere, eigene Visa | |
| auszustellen. Zum Ende der Veranstaltung wird Beethovens Neunte erklingen. | |
| Auch in Glasgow und Edinburgh gibt es ähnliche Veranstaltungen, genauso wie | |
| in Kent, Newcastle, Brighton oder Cardiff. | |
| Im Vorfeld dieses historischen Tages ist von Versöhnung zwischen den beiden | |
| Lagern wenig zu spüren. Dass der Vollzug des Brexit nach drei Jahren Streit | |
| Großbritannien wieder vereinen soll, war ein zentraler Teil des Wahlkampfs | |
| von Boris Johnson bei den Wahlen im Dezember gewesen. Nun will der | |
| Premierminister am Abend des 31. Januar auf die Frontseite seines | |
| Amtssitzes, in 10 Downing Street, eine Uhr projizieren lassen, die um 22 | |
| Uhr einen Countdown beginnen wird. | |
| Punkt 23 Uhr gibt es dann eine kurze, vorab aufgenommene Ansprache des | |
| Premierministers. Britische Flaggen sollen die Prachtstraße zum Buckingham | |
| Palace und den Platz vor dem Parlamentsgebäude schmücken, Farbprojektionen | |
| in Rot, Weiß und Blau sollen überall im Regierungsviertel „Stärke und | |
| Einheit der vier Nationen“ des Vereinigten Königreichs demonstrieren. | |
| Farbenspiele im Zentrum Londons reichen den überzeugten Brexiteers aber | |
| nicht aus. Vergeblich versuchten sie, die wegen Renovierungsarbeiten | |
| stillgelegte Glocke „Big Ben“ des Parlamentsturms erklingen zu lassen. Nun | |
| wird Richard Tice, Vorsitzender der Brexit Party, am Freitag, Punkt 23 Uhr | |
| eine Tonaufnahme des Big Ben auf der von ihm geplanten Straßenfeier vor dem | |
| Parlament laufen lassen. Tice fordert dazu auf, mit der unverschämtesten | |
| Union-Jack-Bekleidung zum Parliament Square zu kommen: Ein Wald voller | |
| Union-Jack-Hosen, -Hemden, -Hüte, -Unterhosen und -Regenschirme ist also zu | |
| erwarten. | |
| „Warum nicht?“, fragt Tice. „Habt ein bisschen Spaß und Kreativität. Es… | |
| eine lustige Feier.“ Auch Nigel Farage wird kommen, es gibt Musik, Kabarett | |
| und ein Feuerwerk. „Der 31. Januar symbolisiert den Tag, wo das | |
| Establishment vom Volk geschlagen wurde“, erklärte Farage in einem | |
| Interview. | |
| Um die Ecke vom Parliament Square, auf der Grünfläche „College Green“, von | |
| wo aus traditionell TV-Teams über die Vorgänge im Parlament berichten, | |
| werden sich zugleich EU-Befürworter versammeln. Die Gruppe „EU Youth“ hat | |
| zu einer Veranstaltung aufgerufen. Wahrscheinlich wird die Polizei die Pro- | |
| und Anti-Brexit-Veranstaltungen voneinander getrennt halten müssen. | |
| Bereits am Mittwoch kehrten die Remainer zum Parlament zurück, um ihre | |
| EU-Fahnen zu schwenken. [5][Steve Bray steht seit Jahren mit seinem | |
| Megafon] vor dem Parlamentsgebäude und stört mit seinen lauten „Stop | |
| Brexit!“-Rufen jede TV-Liveschaltung. Jetzt wirkt die Gruppe hinter ihm, um | |
| die 15 Leute, relativ ruhig. Nicht zuletzt auch, weil der früher ständig | |
| anwesende Gegenpol der Brexiteers nicht mehr da ist. | |
| Vielleicht trägt Bray auch deshalb keine Bodykamera mehr zu seiner | |
| Sicherheit. Die Aufschrift des Bandes an seinem legendären Zylinderhut hat | |
| sich geändert. Statt „Stop Brexit!“, steht da „Why Brexit?“. Als Umhang | |
| trägt er auch keinen normalen Union Jack oder EU-Flagge mehr, sondern eine | |
| farblose Version der britischen Flagge. | |
| „Es ist ein grauer Zwischenton, der weder trauert noch feiert“, erklärt er | |
| der taz. Entgegen Berichten, dass er seine Kampagne beendet hätte, | |
| antwortet er: „Nein, wir haben nie aufgehört, wir haben lediglich eine | |
| Pause zum Umdenken gemacht.“ Und er verkündet, dass er und andere sich ab | |
| jetzt jeden Mittwoch, dem Tag der Fragestunde des Premierministers im | |
| Unterhaus, vor dem Parlament versammeln werden, um für den Wiedereintritt | |
| in die EU zu demonstrieren – so lange, „bis wir wieder in der EU sind, denn | |
| trotz Brexit ist Großbritannien das Land mit den EU-enthusiastischen | |
| Menschen“, behauptet Bray, bevor sein Handy klingelt und er wieder ein | |
| Interview gibt. | |
| Hinter der Ikone der Remain-Kampagne stehen an diesem Tag, mit EU-Kappen | |
| und -Ansteckern ausgestattet, die Animationstechnikerin Pauline Adams und | |
| der einstige IT-Experte Simone Wilkes. Die beiden Mittfünfziger sind | |
| gekommen, um zu zeigen, dass es sie noch gibt. Sie geben aber beide zu, | |
| dass sie nach Jahren der Pro-EU-Märsche und -Kampagnen ausgeleiert und | |
| frustriert sind. „I am bloody miserable“, fasst Adams ihr Gefühl zum 31. | |
| Januar zusammen. | |
| Beide werden am Freitag nicht auf irgendwelche Feste oder | |
| Trauerveranstaltungen gehen. „Ich habe genug von Beschimpfungen und | |
| Drohungen gegen uns“, sagt Adams, und auch Wilkes will lieber einen Abend | |
| am Computer verbringen und mit europäischen Freunden chatten. „Ich habe ein | |
| Jahr lang nicht gearbeitet, um mich für den EU-Verbleib einzusetzen. | |
| Wahrscheinlich werde ich bald meinen alten Job wieder anfangen“, sagt | |
| Wilkes. Selbst Bray will sich jeder Feier am Freitag enthalten. | |
| 30 Jan 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.express.co.uk/news/politics/1234390/brexit-news-brexit-day-part… | |
| [2] /Grossbritannien-vor-dem-Brexit/!5660629 | |
| [3] /Sorgen-britischer-Unis-vor-dem-Brexit/!5656758 | |
| [4] https://www.advertiserandtimes.co.uk/borough-arms-brexit | |
| [5] /Proteste-gegen-Brexit/!5631732 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Zylbersztajn | |
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