# taz.de -- „Star Trek: Picard“ bei Amazon: Der Captain der Herzen | |
> Jean-Luc Picard war Ende der 80er Kapitän der „Enterprise“. Nun kehrt er | |
> mit einer Serie zurück. Als genau der Held, den wir jetzt brauchen. | |
Bild: Patrick Stewart, pardon, „Sir“ Patrick Stewart als Jean-Luc Picard in… | |
Alles sprach dagegen, dass jemand wie Picard zum Serienhelden wird. Ein | |
Raumfahrtkapitän, der nicht rumballert und Macker-Jokes reißt, sondern | |
zuhört. Der wirklich wissen will, was andere Lebewesen und Kulturen | |
umtreibt. Einer, der sich für die Rechte von Minderheiten starkmacht – | |
nicht als Egoshooter, sondern mit einer diversen Crew. | |
1987 bis 1994 bereiste Patrick Stewart als [1][Jean-Luc Picard] in der | |
Serie „Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert“ das All. Seine | |
Droge: Earl Grey, heiß. Seine Superkräfte: Empathie, Diplomatie. Ein | |
Anti-John-Wayne geradezu, so waren Serienhelden bis dahin nicht gestrickt | |
gewesen. Das traf einen Nerv: Die Welt war damals, um das Ende des Kalten | |
Krieges herum, ohnehin optimistisch gestimmt. Nun erstarken wieder | |
diejenigen, die für nationale Grenzen und für Waffenkraft plädieren; die | |
dem Eigenen, dem Vertrauten mehr Wert beimessen als dem Anderen, noch | |
Unbekannten. | |
Das käme Picard nicht in die Tüte. Seine Weltoffenheit, seine moralischen | |
Prinzipien sind nicht verhökerbar. Jetzt ist er zurück, in einer Serie, die | |
seinen Namen trägt: „Star Trek: Picard“. Produziert vom US-Sender CBS, sind | |
die zehn zu einem großen Handlungsbogen verbundenen Episoden in Deutschland | |
auf Amazon Video zu sehen. | |
Trekkies sollten sich auf viel Neues gefasst machen: Picard, der von der | |
Sternenflotte in den Ruhestand gedrängt wurde, baut Wein an, auf einem | |
gediegenen Château in Frankreich. Enttäuscht, verärgert und traumatisiert. | |
Die heile Welt aus „Das nächste Jahrhundert“ (kein Geld, keine Armut, kein | |
Hunger, interplanetare Föderation) existiert nicht mehr. | |
## Versprechen und Vorbilder | |
Erste Folge: Eine Journalistin konfrontiert Picard im Interview damit, | |
warum er denn vor vielen Jahren eine gefährliche, nicht genehmigte | |
Rettungsmission für diese Romulaner, die Flüchtlinge, habe durchziehen | |
wollen – es habe sich doch dabei bloß „um romulanische Leben“ gehandelt. | |
„Nein, Leben!“, kontert Picard, dessen Hände zittern. Man ahnt, dass dieser | |
Captain in einer anderen Welt auch ein Schiff auf dem Mittelmeer leiten | |
würde, um Ertrinkende zu retten. | |
Ein typischer „Star Trek“-Moment, der so sehr an den Humanismus des „Star | |
Trek“-Erfinders Gene Roddenberry (1921–1991) erinnert, der schon in der | |
[2][Originalserie (1966–1969)] eine Crew aller Hautfarben gemeinsam auf | |
Sternenreise schickte. Selbst Martin Luther King war großer Fan. Und | |
Nichelle Nichols alias Lieutenant Uhura ein derart starkes Vorbild, dass | |
auch Whoopi Goldberg später unbedingt mitspielen wollte. | |
„Star Trek“, das war immer auch das Versprechen, dass eine ganz andere Welt | |
denkbar ist, eine Welt, die unsere Formen der Diskriminierung überwindet. | |
In „Voyager“ (1995–2001) etwa kommandierte eine Frau, Captain Kathryn | |
Janeway, die Brücke – aber selbst die war mitunter für moralisch | |
fragwürdige Deals zu haben à la „der Zweck heiligt die Mittel“. Da kann m… | |
auch mal Waffen an die sehr, sehr bösen Borg liefern, um nur schneller | |
wieder nach Hause zu kommen. Picard hingegen hatte stets unbedingte | |
Ehrfurcht vor dem Leben – auch dem noch so fremdartigen, das er immer zu | |
verstehen suchte. | |
Picard, tief in Ungnade gefallen, hat in der neuen Serie erst mal keine | |
Crew und auch kein Raumschiff. Doch die junge Dahj, deren Boyfriend | |
kürzlich zur Strecke gebracht wurde, sucht Picard im Weinberg auf. Riesiger | |
Schlamassel deutet sich im Universum an, bei dem selbst ihre exorbitanten | |
Nahkampfkünste nicht mehr helfen. Der Cast von „Star Trek: Picard“ ist | |
wieder erfreulich vielfältig: Jonathan Del Arco (Hugh) hat für Obama | |
Wahlkampf gemacht, er ist Gay- und Umwelt-Aktivist. Und so einige aus dem | |
Cast sind nichtweiß: Michelle Hurd (Picards einst erste Offizierin Raffi | |
Musiker), aber auch die beiden Jüngsten, Isa Briones (Dahj) und Evan | |
Evagora (Elnor). | |
## Repräsentation und Rassismus | |
„Als Kind hab ich nie andere mixed kids auf dem Bildschirm gesehen“, sagt | |
Isa Briones der taz. „Oder interracial couples.“ Das habe sie als Kind | |
verwirrt: „Ich dachte, hä, aber meine Eltern sind doch so! Warum zeigt das | |
niemand in den Fernsehsendungen?“ Ihr Kollege Evan Evagora, der einen | |
romulanischen Flüchtling spielt, pflichtet ihr bei: „Jemanden, der dir | |
ähnelt, auf dem Bildschirm als Helden zu sehen – das hat so einen großen | |
psychologischen Effekt, wenn man aus einer Minderheit kommt. Auch wenn | |
Leute, die das selbst nie durchgemacht haben, sagen, dass das Quatsch sei.“ | |
Evagora ist in Australien aufgewachsen, seine Eltern waren Immigranten. | |
„Unsere Mittelklasse-Nachbarschaft in Australien war sehr, sehr weiß. Da | |
gab’s Leute, die mir verklickern wollte, wer ich bin – statt auf mich zu | |
hören, wie ich mich selbst sehe.“ Es sei großartig, den | |
antidiskriminierenden Spirit von „Star Trek“ weiterzutragen. „Und | |
hoffentlich eine nächste Generation von Kids zu inspirieren.“ | |
„Star Trek“ steht seit jeher für Anti-Rassismus. „Als interracial woman�… | |
sagt Michelle Hurd der taz, „bedeutet es mir viel, dass man bei ‚Star Trek�… | |
in den 1960ern den ersten interracial Kuss im Fernsehen gezeigt hat. Bei | |
allem Sci-Fi-Storytelling, Fantasie und Eskapismus können wir doch etwas | |
politisch bewirken. ‚Star Trek‘ gibt Menschen eine Stimme, die ansonsten | |
keine haben.“ Jonathan Del Arco sieht es ähnlich: „Bei ‚Picard‘ haben … | |
Charaktere, die von ihrer Umwelt marginalisiert werden. Ich nutze meinen | |
Gay-Aktivismus, um diese Figuren zu verstehen. Hugh zu spielen entspricht | |
absolut den Werten, für die ich mich als schwuler Mann verantwortlich | |
fühle.“ | |
Höchst erfreulich war schon, dass die „Picard“-Schwesterserie [3][„Star | |
Trek: Discovery“] von 2017 ein schwules Paar in den Hauptrollen zeigt. | |
Leider behandelt „Discovery“ aber, anders als es sich bei „Picard“ | |
andeutet, kaum moralphilosophische Fragen. | |
## Ein „Denker“ und ein „Macher“ | |
Die beiden Lebensrollen von Picard-Darsteller Patrick Stewarts lassen | |
Parallelen erkennen: Er hat viele Jahre lang auch Professor Xavier in den | |
„X-Men“ gespielt. Die X-Men werden für ihr Anderssein, ihre Mutationen | |
nämlich, von der Mehrheitsmenschheit bekämpft. „Doch Xavier ist ein | |
Intellektueller“, sagt Patrick Stewart der taz. „Vor allem ein Denker. | |
Nicht so sehr ein Macher. Jean-Luc hingegen, er ist auch ein Aktivist.“ | |
Die Figur Picard ist nun um die 80, wenn er mit seiner neuen Outlaw- und | |
Outsider-Crew auf Sternenreise geht. Warum wird hier also ein alter | |
Serienheld erneut in Szene gesetzt? Man könnte das als Retro-Move | |
verstehen, einen, wie es sie derzeit oft gibt. Man verlässt sich auf | |
bekannte Gesichter und Figuren und verzichtet auf Innovation. Das so zu | |
deuten wäre jedoch ein Missverständnis. | |
Picard steht nicht dafür, dass der weiße alte Mann allein die Welt rettet; | |
sondern Picard steht dafür, dass ein weißer, weiser, weltoffener alter Mann | |
zuhört und Fehler eingesteht. Picard war schon cool, bevor es cool war, | |
cool zu sein. Er ist die personifizierte Anti-Ignoranz. Und er weiß, dass | |
die Welt nur im Team gerettet werden kann – und zwar in einem diversen | |
Team. | |
23 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Hochgesand | |
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