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# taz.de -- Kurdin muss zum Familiengericht: Wenn der Staatsschutz ermittelt
> Der kurdischen Aktivistin Zozan G. droht der Entzug des Sorgerechts für
> ihre fünf Kinder – offenbar wegen ihres politischen Engagements.
Bild: Frage des Blickwinkels: Protest gegen den Einmarsch der Türkei in Syrien…
Oberhausen taz | Auf Drängen des Staatsschutzes muss sich die kurdische
Aktivistin Zozan G. wegen angeblicher Kindeswohlgefährdung vor dem Amts-
und Familiengericht Oberhausen verantworten. In einer für Mittwoch
terminierten Verhandlung drohen der 44 Jahre alten Bankkauffrau, die immer
wieder gegen die [1][Unterdrückung der Kurden in der Türkei] und gegen den
[2][Einmarsch der türkischen Armee in Nordsyrien] demonstriert hat, damit
Zwangsmaßnahmen des Gerichts – bis hin zum Entzug des Sorgerechts für ihre
fünf Kinder.
Auslöser des Verfahrens ist ein Schreiben der für politische Straftaten
zuständigen Abteilung V der Staatsanwaltschaft Karlsruhe. Die teilte dem
Oberhausener Gericht mit Datum vom 10. September 2019 mit, dass Zozan G.s
Tochter Lorin an einem „Kurdenmarsch, der von Mannheim nach Karlsruhe
führte und dort wegen zahlreicher Auflagenverstöße aufgelöst wurde“,
teilgenommen habe. Ein Ermittlungsverfahren sei aber eingestellt worden, da
Lorin noch nicht 14 Jahre alt und damit schuldunfähig gewesen sei.
Eingeschaltet wurde auch das Oberhausener Jugendamt – doch das gab
Entwarnung: An ihrer Gesamtschule sei die Tochter eine „beliebte
unauffällige Schülerin“, die auch „leistungsmäßig sehr stark“ sei. Di…
getrennt lebenden, sich das Sorgerecht für ihre fünf Kinder aber teilenden
Eltern G. kümmerten sich „um die Erziehung und Entwicklung ihrer Kinder
gut“. Aus Sicht des Jugendamtes seien „keine familiengerichtlichen
Maßnahmen notwendig“. „Spätestens hier hätte das Verfahren enden sollen�…
findet der Anwalt von Zozan G., Tim Engels.
Der Düsseldorfer Jurist verweist auf die einschlägige Kommentierung des
Paragrafen 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der „gerichtliche Maßnahmen
bei Gefährdung des Kindeswohls“ regelt. Danach dürfe der Staat eben nicht
allein wegen „gesellschaftspolitischen, religiösen oder weltanschaulichen
Idealen“ der Eltern in deren „Erziehungsprimat“ eingreifen.
## „Politik allein kein Kriterium“
„Fragen von Kindeswohlgefährdung und Erziehungskompetenz sind immer
individuell zu beurteilen“, sagt auch die familienpolitische Sprecherin der
Grünen im Düsseldorfer Landtag, Josefine Paul. „Die politische Ausrichtung
der Eltern allein kann aber kein Kriterium für Kindeswohlgefährdung sein.“
Genau so sieht es auch Anwalt Engels: Die politische Einstellung der Eltern
gehe den Staat nichts an, „solange die Kinder nicht vernachlässigt werden“.
Und das sei im Fall seiner Mandantin auch nach Einschätzung des Jugendamts
doch ganz ausdrücklich nicht der Fall.
Dem Oberhausener Familiengericht aber reichte das nicht. Von einer
Richterin befragt wurden auch die vier weiteren Kinder von Zozan G., die
15, 10, 6 und 3 Jahre alt sind. Außerdem finden sich in der Verfahrensakte
Stellungnahmen der für politische Straftaten zuständigen Abteilungen der
Polizeipräsidien Düsseldorf und Essen – also des Staatsschutzes.
Klar wird daraus, dass Zozan G. und ihre Tochter Lorin seit mindestens 2018
beobachtet wurden. So sei „die Lorin G. hier in einem Fall von
Hausfriedensbruch aufgefallen“, schreibt ein Düsseldorfer
Kriminaloberkommissar darin: Im März 2019 wollten kurdische
Aktivist*innen im Landtag eine Resolution überreichen. Sie schafften es
allerdings nicht einmal ins Foyer, blieben vor den vorgeschalteten
Sicherheitsschleusen sitzen.
Außerdem sei das Mädchen „wahrscheinlich“ bei einer prokurdischen
Demonstration in Düsseldorf anwesend gewesen, schreibt der Kriminalbeamte.
Für ihn ist damit klar, dass Zozan G. „die Nähe ihrer Tochter Lorin […] z…
PKK-nahen Unterstützerszene gutheißt und sogar fördert“.
## Verfassungsschutz schaut zu
Selbst der Verfassungsschutz beobachtet den Fall genau. Laut Akte meldete
der Inlandsgeheimdienst dem Essener Staatsschutz schon am 16. Dezember,
dass die Linkspartei vor dem Gerichtstermin an diesem Mittwoch eine um 8.30
Uhr beginnende Solidaritätskundgebung für Zozan G. auf dem Oberhausener
Friedensplatz unterstütze. Dabei war ein entsprechender Aufruf da noch gar
nicht öffentlich.
„So enge Verbindungen zwischen Inlandsgeheimdienst und politischer Polizei
wollte man nach dem Nazi-Terror nach 1945 doch nicht mehr“, sagt Anwalt
Engels dazu. Offensichtlich werde sein Telefon abgehört – oder das der
Linkspartei in Oberhausen. Zozan G. selbst weist dagegen eine Nähe zur PKK,
die in Deutschland als terroristische Vereinigung gilt, zurück. „Ich bin
keine PKK-Unterstützerin“, sagt sie. Allerdings habe sie immer wieder gegen
den Krieg der Türkei im kurdischen Nordsyrien protestiert. „Ich habe nichts
Illegales oder Verbotenes getan“, sagt sie.
Alle Demonstrationen, an denen sie teilgenommen habe, seien völlig legal
gewesen. „Trotzdem droht man mir jetzt mit Sorgerechtsentzug, um mich
mundtot zu machen“, empört sich die Bankkauffrau. „Das ist nicht nur ein
gezielter Angriff auf mein politisches Engagement – zu Ende gedacht könnte
Ähnliches selbst Eltern treffen, deren Kinder sich bei Fridays for Future
engagieren.“
21 Jan 2020
## LINKS
[1] /Kurden-in-der-Tuerkei/!5644800
[2] /Luft--und-Bodenoffensive-der-Tuerkei/!5632506
## AUTOREN
Andreas Wyputta
## TAGS
Kurden
Staatsschutz
PKK
Sorgerecht
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PKK
Familienrecht
Libyen
Schwerpunkt Türkei
Lesestück Recherche und Reportage
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