# taz.de -- Libyen-Konferenz in Berlin: Konflikt in fünf Akten | |
> Am Sonntag findet in Berlin eine internationale Konferenz zur Vermittlung | |
> im Libyen-Konflikt statt. Die Situation ist kompliziert. | |
Bild: Ein regierungsnaher Kämpfer am Donnerstag in Tripolis | |
Unter dem Namen „Berliner Prozess“ war monatelang darauf hingearbeitet | |
worden – nun [1][treffen sich am Sonntag hochrangige Staats- und | |
Regierungschefs] – darunter Putin, Erdoğan, Macron und Merkel – in Berlin, | |
um einen Friedenprozess für das Bürgerkriegsland Libyen in Gang zu setzen. | |
Für die USA hat Außenminister Mike Pompeo zugesagt. | |
Überraschend haben in der vergangenen Woche auch der libysche | |
Minsterpräsident Fajis al-Sarradsch und sein Widersacher, der abtrünnige | |
General Chalifa Hafar, angekündigt zu kommen. Dabei stehen direkte | |
Friedensverhandlungen gar nicht auf der Agenda. Ziel ist es, über die | |
einflussreichen ausländischen Mächte – allen voran Russland und die Türkei | |
– eine weitere Eskalation des Konflikts zu verhindern. So soll der Weg für | |
echte Friedensverhandlungen frei gemacht werden. | |
Wie kam es zu dem Konflikt? Welche inländischen und ausländischen Parteien | |
sind involviert, und was wollen sie? | |
## Erster Akt: Der Sturz Gaddafis – und wie die Nato-Intervention endet, | |
ohne eine Neuordnung zu hinterlassen | |
Es ist der Moment, mit dem alles anfängt: Libyens Herrscher Muammar | |
al-Gaddafi wird 2011 durch eine von der Nato unterstützte Rebellion | |
gestürzt. Der „Arabische Frühling“, der in Tunesien begonnen hat, weitet | |
sich auf andere Länder aus. | |
Doch von vorne: Die „Revolution der Würde“, wie die ersten libyschen | |
Demonstranten ihren Aufstand nennen, stößt schnell auf Gewalt seitens des | |
Staates. Gaddafi verspricht, seine Gegner wie Ratten zu jagen. Auf die | |
unbewaffneten Demonstranten in Bengasi lässt er am 17. Februar 2011 | |
schießen. | |
Um weitere Massaker zu verhindern, erwirken Frankreich und Großbritannien | |
vier Wochen später im UN-Sicherheitsrat einen Eingreifbeschluss zum Schutz | |
der Zivilbevölkerung, in dessen Folge die Nato Gaddafis Streitkräfte aus | |
der Luft bombardiert. | |
Seine bewaffneten Gegner übernehmen die Kontrolle über den Osten des | |
Landes. Gaddafis Streitkräfte weichen allmählich zurück. Nach der Stürmung | |
der bis zuletzt von Gaddafi kontrollierten Hauptstadt Tripolis spüren die | |
Rebellen am 20. Oktober Gaddafi in seiner Geburtsstadt Sirte auf und töten | |
ihn. | |
Der Krieg ist vorbei, ein von der internationalen Gemeinschaft anerkannter | |
„Nationaler Übergangsrat“ (NTC) übernimmt die Macht. | |
Eine stabile Nachkriegsordnung gibt es nicht. Während viele | |
Gaddafi-Anhänger ins Exil fliehen, setzen islamistische Gruppen den NTC | |
unter Druck und übernehmen viele Institutionen in der Hauptstadt. | |
## Zweiter Akt: Die Spaltung des Landes in rivalisierende Machtzentren | |
Den unterschiedlichen Rebellengruppen gelingt es nach Kriegsende nicht, | |
eine stabile Übergangsregierung zu bilden. Islamisten, die Minderheiten der | |
Berber, Tobu und Tuareg sowie regionale Gruppierungen waren mit | |
unterschiedlichen Hoffnungen gegen Gaddafi auf die Straße gegangen. | |
Dennoch wird 2012 in freien Wahlen ein Übergangsparlament gewählt. Doch | |
Konflikte zwischen Stämmen und Städten eskalieren. Islamistische Milizen | |
nutzen das Machtvakuum, festigen ihre Macht in Tripolis und beginnen mit | |
Anschlägen auf Aktivisten und Armeeoffiziere in Bengasi. | |
Als das Übergangsparlament Ende 2013 seine Amtszeit um ein Jahr verlängert, | |
widerspricht Armeechef Chalifa Haftar, ein langjähriger Exiloppositioneller | |
gegen Gaddafi, der 2011 aus den USA zurückgekehrt ist. Er erklärt den | |
Politikern und Milizen in Tripolis den Krieg. | |
Als Kompromiss kommt es 2014 erneut zu einer Parlamentswahl, die die | |
Islamisten verlieren. | |
Der Großteil des neu gewählten Parlaments flieht nach Tobruk im Osten des | |
Landes, wo Haftar versucht, eine Armee gegen die radikale Gruppen | |
aufzubauen. Im Westen Libyens bildet sich derweil eine neue | |
Regierungskoalition der lokalen Milizen in Tripolis, viele davon | |
Islamisten, mit den Milizen von Misrata. Die Teilung des Landes ist | |
perfekt. | |
## Dritter Akt: Die Einheitsregierung in Tripolis – und warum sie sich | |
nicht durchsetzt | |
Eine UN-Friedenskonferenz im marokkanischen Skhirat bringt im Dezember 2015 | |
die Einigung auf eine international anerkannte „Einheitsregierung“ unter | |
Fajis al-Sarradsch, der bislang Minister in der machtlosen | |
Tripolis-Regierung war. Sarradsch nimmt im März 2016 die Amtsgeschäfte auf. | |
Doch Haftar und das im Osten Libyens tagende Parlament erkennen die | |
Sarradsch-Regierung nicht an. | |
## Vierter Akt: Das Erstarken Haftars im Osten – und ein neuer Krieg | |
Die ostlibyschen Machthaber um Haftar und seine Armee, die „Libysche | |
Nationalarmee“ (LNA), festigen ab 2016 ihr Machtsystem in Ostlibyen und | |
schmieden Allianzen quer durch das Land. Dadurch übernehmen sie allmählich | |
die Kontrolle über die östliche Provinz Cyreneika und Teile des Südens. Am | |
4. April 2019 startet Haftar eine Offensive, um Tripolis zu erobern und die | |
Macht zu ergreifen. | |
Die ihm loyal gesinnten Truppen schaffen es bis an den Südrand der | |
Hauptstadt, kommen aber über Monate nicht voran. Die Verteidiger von | |
Tripolis mobilisieren internationale Unterstützung, die Bevölkerung schaut | |
dem Krieg mehrheitlich unbeteiligt zu. 150.000 Menschen müssen ihre Häuser | |
verlassen. Die Misrata-Revolutionäre sehen, dass ihre Erzfeinde, die | |
ehemaligen Gaddafi-Anhänger, Haftar nun unterstützen, und stellen sich | |
ihnen entgegen. | |
## Fünfter Akt: Die erneute internationale Einmischung – und die | |
„Berlin-Konferenz“ | |
Im Sommer 2019 ist die Konstellation klar: Haftar bekommt nicht nur | |
diplomatische Unterstützung von Ägypten und Frankreich, sondern auch Waffen | |
aus arabischen Ländern und Söldner aus Russland. Sarradsch, der legitime | |
Interimspräsident Libyens, gewinnt Unterstützung aus der Türkei und | |
Italien. | |
In Libyen droht ein Stellvertreterkrieg zwischen denselben Regionalmächten, | |
die bereits in Syrien gegeneinander agieren. Nachdem Frankreich und Italien | |
jeweils selbst Partei ergriffen haben, entsteht in Deutschland die Idee | |
einer eigenen Libyen-Initiative. Diese soll verhindern, dass aus Libyen | |
2019/2020, wie 2014/15 aus Syrien, mehrere Millionen Flüchtlinge nach | |
Europa ziehen. | |
19 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Vereinbarung-fuer-Libyen/!5655303 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
Mirco Keilberth | |
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