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# taz.de -- Veganer Käse auf Cashewbasis: Magic Mushrooms
> Schimmmelpilze brauchen keine Milch, um Camembert herzustellen.
> Fetthaltige Kerne und Nüsse funktionieren ebenso. Zu Besuch bei einem
> Käsekurs.
Bild: Sieht aus wie Käse. Ist auch Käse. Nur eben ohne Milch
Es gibt eine Pilzgattung, die von Insekten Besitz ergreift. Gelangen die
Sporen eines Cordyceps Fungus in das System einer Ameise, [1][übernimmt der
Pilz die Kontrolle über das Tier]. Wie ferngesteuert klettert das befallene
Insekt auf den höchsten Punkt in der Umgebung und krallt sich dort fest.
Beste Bedingungen für den Fruchtkörper des Pilzes, der daraufhin aus dem
Kopf der Ameise wächst, um seine Sporen in den Wind zu hängen, auf dass der
sie zur nächsten Ameise trägt.
Um zu verstehen, wie es sein kann, dass Schimmelkäse aus Cashewkernen
genauso schmeckt wie [2][Schimmelkäse aus Milch] – das tut er nämlich –,
muss man das Wesen von Pilzen verstehen. Was Pilze brauchen, ist ein
geeigneter (Nähr-)Boden oder ein Wirt; dann wuchern und breiten sie sich
aus. Ob nun durch Ameisen, auf verrottenden Baumstümpfen, fermentierter
Milch oder den im Kühlschrank vergessenen Resten von vorletzter Woche,
hängt allein von der Pilzgattung ab.
Pilze sind außerdem keine Pflanzen und deshalb auch nicht zur Photosynthese
fähig. Stattdessen betreiben essbare Schimmelpilze wie der Penicillium
camemberti etwas, was sich Proteolyse nennt: Sie bauen vorhandene Proteine
ab. Und die finden sie nicht nur in Kuhmilch, sondern auch in Nüssen.
Surdham Göb experimentiert bei der Käseherstellung vor allem mit
Cashewkernen – so wie die meisten Hersteller von in Biomärkten erhältlichem
veganem Schimmelkäse.
„Die Cashew ist eine fette und ansonsten sehr gefällige Nuss“, sagt Göb,
während er die über Nacht eingelegten Cashews aus dem Kühlschrank nimmt.
„Anders als etwa Sonnenblumenkerne oder Walnüsse bleibt sie nicht so
faserig, wenn man sie in den Mixer gibt.“
## Vater, Mutter, Käse
Normalerweise bereitet der 43-Jährige Profikoch in seiner kleinen
Gastroküche in München vegane Gerichte aus seinem Catering-Repertoire zu.
Mehrmals im Jahr bietet Göb, ein Surfertyp mit raspelkurzem Haar und
Madonna-Zahnlücke, außerdem [3][vegane Koch- und Käsekurse an]. Käse zu
machen sei in etwa so, wie Eltern zu sein, sagt Göb. „Eigentlich muss man
nur sauber arbeiten und ein gutes Milieu schaffen, in dem sich der Käse
wohlfühlt und wachsen kann.“ Ist also simpel. Zumindest theoretisch.
Rein praktisch macht die Herstellung natürlich doch eine Menge Arbeit, die
Zeit braucht, Geld kostet („ohne Vitamix geht nix“) und bei der viel
schiefgehen kann. Vor allem dann, wenn man eben nicht sauber arbeitet. Denn
das gute Milieu zieht nicht nur die erwünschten Pilze und Bakterien an. „Am
Anfang wirst du alles Mögliche züchten, von dem du nicht mal weißt, dass es
existiert“, sagt Göb in gespieltem Grauen. „Eine Spore, und dann geht die
Gaudi los.“
Was man also dringend braucht, sind Einweglatexhandschuhe, die man
tunlichst wechseln sollte, wenn man mit verschiedenen Pilzkulturen
gleichzeitig arbeitet – mit Weißschimmel und Blauschimmel zum Beispiel. Die
eingeweichten Cashewkerne selbst müssen, bevor sie in den Mixer gehen, mit
heißem Wasser überbrüht werden, um Keime abzutöten. Dann muss aber schnell
wieder kaltes Wasser her, weil die Cashews sonst ihren Fettanteil verlieren
– von dem ernährt sich der Pilz.
Damit man die zunächst mit gewöhnlichen Milchsäurebakterien aus der
Apotheke fermentierten und anschließend mit Pilzsporen geimpften
Käselaibchen aus Cashewmus im Laufe der drei bis vier Wochen dauernden
„Käsepflege“ beim Wenden nicht anfassen muss, empfiehlt Göb Backpapier.
Denn wer weiß schon, was einem so alles an den Fingern klebt? Waschen
reicht da manchmal nicht.
## Vom Bierbrauen zur Käserei
Surdham Göb ist ein Lebensmittelbastler. Seit Jahrzehnten schon kocht er
vegan und hat mehrere Kochbücher geschrieben. Er will die chemischen und
organischen Prozesse in Lebensmitteln verstehen. „Ich bin übers Bierbrauen
zur Käseherstellung gekommen; über die Hefe, die ja auch ein Pilz ist“,
erzählt Göb. Sein Verständnis von Hefe wiederum fing mit dem Backen veganer
Kuchen und Torten an.
Seit drei Jahren experimentiert Göb mit der veganen Käseherstellung. Er las
viel im Netz, bestellte die unterschiedlichsten Sporen und Bakterien,
probierte aus. Trotzdem sei er in der Kunst des veganen Käsemachens noch
lange nicht da, wo er sein wolle. Immerhin hat er jetzt ein
10-Schritte-Programm entwickelt, das er anderen in seinen Käsekursen
vermitteln könne.
Allzu viel selbst ausprobieren kann man dabei nicht. Dafür dauert es zu
lange, bis innerhalb eines Arbeitsschritts wirklich etwas Sichtbares mit
dem Käse geschieht. Es ist mehr ein Lauschen und Staunen, wenn der
Käsemeister die einzelnen vorbereiteten Schritte seiner Arbeit präsentiert,
bis hin zum Ergebnis.
Auf Göbs frisch gebackenem Ciabattabrot mit Oliven schmecken alle veganen
Käsesorten köstlich – und so vollständig nach Käse, dass man sich fragt,
wie von Tieren gewonnene Milch als Ausgangsprodukt so lange das Käsemonopol
halten konnte. Stinkend und herb der rötlich-braune Rotschmierkäse. Würzig
nach Kaminfeuer der Geräucherte (für den man noch mal mehr Equipment
braucht), mild und nussig der Weißschimmel-Camembert, bitzelig und raß der
Blauschimmelkäse.
Bei einem abschließenden Glas Champagner kommt Göb ins Philosophieren.
„Pilze und Bakterien sind die großen Übersetzer“, sagt er, „sowohl im
Körper als auch in der Natur.“ Die Wissenschaft gibt ihm recht. Pilze und
Bakterien zersetzen (und verdauen) nicht nur und wandeln so in Nährstoffe
um.
Im Waldboden dient das unterirdisch verlaufende Pilzmycel auch als
weitverzweigtes Kommunikationsnetz, das in der Lage ist, Bäume
kilometerweit miteinander zu verbinden. Wissenschaftler, die diese
Verbindungen erforscht haben, sprechen deshalb von einem „Wood Wide Web“.
Nach dem Kurs drängt sich deshalb der dringende Verdacht auf: Pilze werden
in ihrer Bedeutung chronisch unterschätzt.
## So werden Cashews zu Käse
Ein Kilo Cashewkerne ergibt zwölf kleine Weißschimmelkäse à 100 Gramm. Als
Erstes müssen die Kerne über Nacht beziehungsweise sechs bis acht Stunden
in reichlich Wasser eingeweicht werden. Die Kerne danach gut spülen und
kurz mit kochendem Wasser abbrühen. Dann sofort wieder mit kaltem Wasser
abschrecken.
Anschließend Cashews, Milchsäurebakterien und Salz in einem
Hochleistungsmixer (Vitamix) zu einer glatten Masse verarbeiten (1
Portionslöffel Milchsäure Lactobacillus und Bifidobacterium und 20 g Salz
pro Kilo Trockenkerne). Die Masse in einem luftdichten Behälter 12 bis 48
Stunden an einem zimmerwarmen Ort fermentieren lassen.
Anschließend die Käsemasse mit einem gestrichenen Teelöffel Penicilium
Candidum impfen und gut verrühren. Die Masse dann in einen
Einwegspritzbeutel füllen und in Silikonformen spritzen. Acht Stunden mit
Backpapier bedeckt in der Tiefkühltruhe durchfrieren lassen, damit die
Masse ihre Form behält. Jedes Käselaibchen auf ein eigenes Backpapierstück
legen und in der gewählten Reifebox bei 10 bis 14 ° C mit geschlossenem
Deckel lagern.
Die ersten vier Tage nichts tun, danach die Laibchen alle zwei Tage mit
Latexhandschuhen und Backpapier wenden, bis der Schimmelrasen den ganzen
Käse bedeckt. Anschließend die Käsestücke in Reifepapier/Camembertpapier
wickeln und im Kühlschrank lagern. Fertig!
11 Jan 2020
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=XuKjBIBBAL8
[2] /Streit-um-den-Camembert/!5506614
[3] http://surdhamskitchen.com/Kochkurse/VeganCheese.php
## AUTOREN
Marlene Halser
## TAGS
Schimmelkäse
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Ernährung
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