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# taz.de -- Neues von Jeff Lewis und Adam Green: Antifolk allein zuhaus
> Die US-Antifolkies Jeffrey Lewis und Adam Green haben neue Alben mit je
> bestechender Eigenlogik veröffentlicht. Und ein Comic gibt’s obendrauf.
Bild: Jeffrey Lewis inmitten seiner Band
Wenige haben es je so verstanden wie [1][Jeffrey Lewis], mit Hippieshirt
und langen Haaren, schrammelnder Akustikgitarre und skandierendem Gesang
eine Halle sanftmütig gesinnter Folk-Fans in den Beinahe-Pogo zu versetzen.
Mit Mitte 40 erscheint der New Yorker Künstler nun auch optisch als der
Punk, den er musikalisch schon immer gegeben hat: Zumindest im
Ultra-No-Budget-Film seines Kumpels [2][Adam Green], „Wrong Ferarri“
[sic!], kann man Lewis schon einmal den Lederjacken-Punk mimen sehen, der
plötzlich unverhofft im „Please don’t tell“, dem einstigen Hipster- und …
folgerichtig Touristen-Speakeasy an Manhattans Lower East Side auftaucht.
Nun trägt er also erstmalig im wahren Leben kurz und wasserstoffblondiert,
und passend dazu geriert sich auch sein neues Album „Bad Wiring“ besonders
rasant.
Aufgenommen hat der Musiker und Comic-Zeichner das Album zusammen mit
Backing-Band ausgerechnet in der Countryhochburg Nashville. Der
Produktionsstandort sorgte derweil schon für einige Gags, war aber bloß der
Wahl des Produzenten geschuldet: Hier hat Roger Moutenot, dessen legendäre
Werkliste mit Bands und Musikerinnen wie Yo La Tengo, [3][Sleater-Kinney]
und [4][Elvis Costello] nur gerade eben angerissen wäre, sein Studio.
Country & Western gehörte jedoch noch nie zu seinem Repertoire.
Auch wenn der Folk auf diesem Album selbstredend seinen Platz hat,
schummelt sich hier und da auch schon einmal deutlich hörbar die nun
verzerrte Gitarre mit in die Aufnahme. Ein Lied wie „In Certain Orders“
kommt gar mit einem fast schon U2-verdächtigen Intro daher, und auch funky
und psychedelisch wird es stellenweise.
## Drei Akkorde, oder zwei Noten
Trotzdem: Vielleicht ist musikalische Innovation ja wirklich überbewertet?
Der Komponist John Cage wandte sich irgendwann dem japanischen Steingarten
zu, der aus wenigen Grundmaterialien immer wieder andere Erscheinungen
annimmt. Äquivalent hierzu schöpft Lewis aus demselben Formenrepertoire der
letzten 20 Jahre, vieles klingt neu und bisweilen sogar aufregend. Selten
mehr als drei Akkorde, manchmal nur zwei Noten sind es, über die ein
schnell vorgetragener Sprechgesang zusammen mit dem notorisch treibenden
Gitarrenanschlag insgesamt zwölf Lieder hervorbringt, die erstaunlich
catchy sind. Und dringlich ohnehin. Das bekommen andere nicht mit großen
Popproduktionen hin.
Schon beim ersten Hören ist [5][„Bad Wiring“] vertraut, beim zweiten Hören
kann man das meiste mitsingen. Das alles ist lupenreiner Jeffrey Lewis,
vielleicht einer der besten, im Sinne von umfassendsten, den es je gab.
Über die Songtexte wäre damit noch gar nicht gesprochen. Als Anschauung für
die ganz großen Fragen, die nach dem richtigen Leben im falschen etwa, muss
zum Beispiel ein Mao-Szenario und später eines über die heute omnipräsenten
True-Crime-Zelebrierungen herhalten.
Wie, formuliert Lewis da, hätte wohl seine Kunst unter dem chinesischen
Führer ausgesehen, und wäre der Arbeiteralltag in der Fabrik wirklich ein
guter Tausch? Was sagt es über uns aus, dass wir lieber Serienkillern
zuschauen als anderen Menschen? Und warum wird Selbstbewusstsein eigentlich
als Wert an sich betrachtet, wo seine Verteilung doch so zufällig und
ungerecht stattfindet? Mutet die einzelne Frage scheinbar naiv an, so
entwickelt sich im Stilmittel der schier endlosen Aneinanderreihung eine
bestechende Eigendynamik. Und auch Lewis’ Schlussfolgerungen sitzen:
Sexyness, konstatiert er schließlich, sei wohl die einzig global gültige
Währung.
## Krieg und Paradies
Auch der eingangs erwähnte Adam Green hat vor Kurzem ein neues Album
vorgelegt: Vorgänger „Aladdin“ war Soundtrack zum gleichnamigen
Kunstmusical, „Engine of Paradise“ ist nun Bestandteil eines
Gesamtkunstwerks, zu dem auch die gemeinsam mit dem Musiker und
Comickünstler Toby Goodshank gezeichnete Novelle [6][„War and Paradise“]
gehört. Das gut 150-seitige Werk soll nicht weniger sein als ein modernes
Historiengemälde, das sich zwischen brandaktuellen Schlagworten entfaltet –
Tech und Porn, Fake News und, natürlich: Real Estate, Immobilien, das nicht
nur für New Yorker allbestimmende Thema.
Das zugehörige [7][„Engine of Paradise“] ist ein im besten Sinne schönes,
freundliches, beinahe zurückgenommenes Album geworden. Kein gigantischer
Wurf, aber mit neun Songs in nicht einmal 22 Minuten ja auch eher Beiwerk
zu einer dann wirklich umfangreicheren Graphic Novel. Nicht mehr ganz so
pompös orchestriert, schimmern gerade in der ersten Albenhälfte immer
wieder Greens mehr als solide kompositorische Qualitäten durch.
Insbesondere im Titelsong, der, ähnlich wie bei Lewis, schon nach dem
ersten Hören hängen bleibt.
Während Lewis selbst Zombie-Apokalypsen stets mit der nötigen Pragmatik
vorzutragen pflegt, driftet Adam Green bekanntlich gern in Unsinnsgefilde
ab. Doch lässt sich, gerade im Themenpaket mit „War and Paradise“, so etwas
wie ein Sinnieren über das Leben als Mensch in technoiden Zeiten
herauslesen.
Im Vergleich zu früheren Erfolgszeiten wurde der ehemalige Liebling des
hiesigen Feuilletons mit „Engine of Paradise“ nun eher unter „ferner
liefen“ abgehandelt. Fair enough, mag man dazu sagen. Die etwa im
Deutschlandfunk Kultur vorgebrachte Mutmaßung, hier hänge jemand nur noch
in seiner gut situierten Hipsterblase fern jeder Realität in Brooklyn ab,
ist jedoch aufschlussreich.
Zum einen wäre es heute, wo niemand gern als privilegiert gelten möchte,
ein Leichtes, sich trotz entsprechender Lebensstandards zum Rächer der
Enterbten aufzuschwingen – was Green, der privat übrigens überzeugte
Bernie-Sanders-Unterstützer und auch sonst politisch eher stark links
Stehende, weder in Musik noch Film noch Malerei je getan hat. Wieso sollte
er plötzlich damit beginnen? Weil die Zeiten schlimmer sind als je zuvor?
Weil das erwachsen wäre?
Allerdings zählt die Was-wäre-wenn-Frage – was also, wenn der aktuelle
Verdienst ökonomisch nicht mehr nötig wäre – ja wirklich zu den
interessanteren, die man zum Beispiel mit neuen Bekanntschaften diskutieren
kann. Würde die Arbeit schlechter werden, weil der unmittelbare Zwang zum
Erhalt ausfällt? Oder gerade deshalb besser? Würde man nur einen Brotjob
kündigen oder auch der Kunst- oder Musikproduktion den Rücken kehren?
## Selbstgewählte Frühverrentung
Greens alter Kumpel Macaulay („Kevin – Allein zu Haus“) Culkin, der sich
von seinen Kinderstar-Gagen vorausschauend ein Apartment im damals noch
nicht ganz so teuren New York kaufte, beschrieb sein Lebensmodell im
wunderbaren Podcast „WTF“ von Marc Maron jedenfalls einmal als
selbstgewählte Frühverrentung: Für das unmittelbar Notwendige sei gesorgt,
umso entspannter und unverbindlicher widme er sich den schöpferischen
Ausflügen. Vergangene Stationen waren so unter anderem Auftritte in
mehreren Green-Filmen (deren Pappmaché-Kulissen wiederum zum Teil im Loft
des heutigen Wahl-Privatiers gefertigt wurden).
Vielleicht, denkt man sich, ist es auch für Adam Green eher ein Gewinn,
nicht mehr so unmittelbar im Zentrum der tagesaktuellen Relevanzproduktion
stehen zu müssen. Denn eigentlich war er dort schon immer fehl am Platze.
Während der sich also scheinbar herauszoomt aus der Gegenwart, geht Lewis
ganz nah heran.
Beide aber leben sie auf derselben Scholle, wo sich ihre Wege aus
unterschiedlichen Richtungen kommend wieder kreuzen, wenn sie sich an der
Dialektik der Geschichte in ihren ganz zeitgeistigen Erscheinungsformen
abarbeiten. Während Adam Green zweifelt, ob es tatsächlich heute so viel
schlimmer ist als dereinst, hegt Jeffrey Lewis seinerseits Zweifel, ob
Verbesserung auf lange Sicht überhaupt je möglich ist: „I guess we’re not
supposed to be wise / if everything that learns also dies“.
6 Jan 2020
## LINKS
[1] /Neues-Album-von-US-Folkie-Jeffrey-Lewis/!5495865
[2] /Neues-Album-von-Adam-Green/!5070943
[3] /Sleater-Kinney-Saengerin-ueber-neues-Album/!5617806
[4] /Look-Now-von-Elvis-Costello/!5561612
[5] https://www.youtube.com/watch?v=9YpR_OpaLlg
[6] https://pioneerworks.org/publishing/war-and-paradise/
[7] https://www.youtube.com/watch?v=QEPdJTCpthA
## AUTOREN
Katharina J. Cichosch
## TAGS
Jeffrey Lewis
Adam Green
Antifolk
Comic
Folk Music
Roman
Musik
Peter Blegvad
Schwerpunkt Frankreich
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