| # taz.de -- Neues Album von Adam Green: Gelassen, bitterböse, wieder da | |
| > Mitte der nuller Jahre war Adam Green der Indierock-Messias. Nun zeigt er | |
| > mit seinem Duo-Album, was bleibt, wenn der Hype vorbei ist. | |
| Bild: Pflegen nach eigener Aussage ein „Lesbische-Mutter-schwuler-Sohn-Verhä… | |
| Die nuller Jahre müssen im Indierock ein bisschen fad gewesen sein. Oder | |
| warum suchte das hiesige Feuilleton in der Mitte des Jahrzehnts hierzulande | |
| nach einem neuen, jungen Erlöser-Typen? Julian Casablancas (The Strokes), | |
| Jack White (White Stripes) oder Pete Doherty (Babyshambles), alles schön | |
| und gut, aber dieser Junge hier, der dann kam – der war größer als Jesus. | |
| Mindestens. | |
| Adam Green hieß er. Und er wurde fast wie eine Reinkarnation von Rimbaud | |
| gefeiert. Gedichte, Songtexte und Fanzine-Beträge von Green erschienen als | |
| „Magazine“ gar in der Edition Suhrkamp. „Vielleicht hatte ich damals | |
| besonders coole Unterhosen an oder einen besseren Haarschnitt“, vermutet | |
| Green rückblickend. Damit gibt der Kandidat die bestmögliche Antwort und | |
| erhält hundert Punkte. | |
| Mittlerweile ist es ruhiger geworden um den Brooklyner, der in den USA eher | |
| mäßig bekannt ist. Mit einem Duo-Album, das gemeinsam mit der Sängerin | |
| Binki Shapiro entstanden ist, meldet der 31-Jährige sich nun zurück. | |
| Das Album ist sorgfältig arrangiert und bemerkenswert gelassen. In den | |
| Pop-Olymp werden die zehn Songs die beiden nicht erheben. Dazu lehnt sich | |
| ihre Musik vielleicht doch zu sehr an große Duette wie Nancy Sinatra mit | |
| Lee Hazlewood oder auch Kylie Minogue mit Nick Cave an. Es fehlt bisweilen | |
| der Mut, sich von den Vorgängern und Vorgängerinnen zu lösen, eine neue | |
| Duettsprache zu finden. | |
| „Adam Green & Binki Shapiro“ klingt stark nach Sixties, nach Americana, | |
| nach Country und Folk. Es wird bisweilen auch schmachtfetzig. Und doch | |
| lohnt es, der Musik einige Durchläufe zu gestatten. Green bewies immer | |
| guten Geschmack, bereits die Band seiner Teen- und Twen-Jahre, die Moldy | |
| Peaches, waren eine große, witzige Folkpop-Nummer. Für die Moldy Peaches | |
| aber kam erst nach ihrer Auflösung der „Durchbruch“, als ein Song von ihnen | |
| 2008 im Soundtrack des Films „Juno“ enthalten war und dieser auf Platz eins | |
| der US-Charts landete. | |
| Auch Shapiro hat mit Little Joy, einer Band, die sie mit Strokes-Drummer | |
| Fabrizio Moretti betreibt, mindestens die Mittlere Reife des Rock ’n’ Roll | |
| erlangt. Green sieht in der Kollaboration mit Shapiro auch gleich eine neue | |
| Qualität ihres Songwritings – beide haben erstmals Stücke zusammen | |
| komponiert. | |
| ## Kulleraugen-Sarkasmus | |
| Während der Telefonkonferenz, zu der auch Shapiro zugeschaltet ist, | |
| parliert Green mit meist sarkastischem Unterton. Er weiß um das | |
| Musikgeschäft dieser Tage, und er weiß um die Haltbarkeit der Hypes. Fragt | |
| man ihn nach einer Renaissance, die der Green-Hype mit dem neuen Album | |
| erleben könnte, fragt er zurück: „Glauben Sie das nicht, nach der | |
| fantastischen Platte, die wir aufgenommen haben?“ Der Mann mit den großen | |
| Kinderaugen und den zauseligen Haaren scheint vor allem eins sagen zu | |
| wollen: Hype hin, Hype her – mir ist das so was von egal, ich will gute | |
| Musik machen. Auf dem Weg dahin ist er nach zuletzt schwächeren Alben | |
| wieder. | |
| Green und Shapiro sind dann groß, wenn sie die süße Duett-Ästhetik fies | |
| brechen. Und dann ist der in zuckrige Melodien gegossene bitterböse | |
| Unterton auch ganz schön 2013: „Forgive my ugliness / Should I find out | |
| /Something I don’t wanna know about / Don’t disinclude me / Treat me like a | |
| kid / Casanova to the mentally ill“, heißt es etwa in „Casanova“. So mü… | |
| Trennungslieder heute klingen. Ein beinhartes Beziehungsstück, das | |
| überzogen nett plätschert und von Shapiros klarer, heller Stimme getragen | |
| wird. | |
| Es ist innerliche Hässlichkeit, von der hier die Rede ist. Psychologische | |
| Kriegsführung in Partnerschaften, zum Dreivierteltakt verhandelt. Im | |
| Refrain wird das gegenseitige Anöden besungen: „Why are you always finding | |
| / Ways of wastin’ my time“. Der Kniff des Songs ist das Auseinanderdriften | |
| von Form und Inhalt. Bereits auf Greens Soloplatten seit 2003 war das ein | |
| beliebtes Stilmittel. | |
| Greens und Shapiros Bekanntschaft ist auch eine Geschichte von Trennungen: | |
| Green und Shapiro kannten sich bereits privat, fanden dann aber als Freunde | |
| zusammen, als sich beide von ihren Partnern trennten. Anfang 2012 war das. | |
| Sie trafen sich, saßen auf den Fußböden ihrer Appartements, tranken Wein – | |
| zunächst, ohne an eine künstlerische Zusammenarbeit zu denken. „Binki und | |
| ich hatten immer eine gute Gesprächsebene“, sagt Green. „Es gibt Leute, mit | |
| denen hat man wenig Small-Talk, sondern ist schnell bei dem, was wirklich | |
| zählt.“ Ihr Verhältnis beschreibt er als platonisch: „Wir hatten immer ein | |
| Lesbische-Mutter-schwuler-Sohn-Verhältnis“, sagt Green. Und dazu seien sie | |
| noch Cousins, witzelt Shapiro, die sonst eher ihrem Duettpartner das Wort | |
| überlässt. | |
| Die Songs, die sie dann gemeinsam schrieben, sollten über das Elend der | |
| Trennungen hinweghelfen. „Wie Therapie war es eher nicht“, sagt Green, „da | |
| kotzt man sich ja aus.“ Schon der Auftaktsong „Here I am“ klingt eher wie | |
| eines jener Zwiegespräche, die sie – an die Wand gelehnt, an die Decke | |
| starrend – geführt haben. | |
| ## Sinatra, Saigonrock, Wein | |
| Das Ergebnis klingt dann eben manchmal wie Nancy Sinatra und Lee Hazlewood, | |
| die auch für mal zuckrige, mal anrührende Balladen kurz vor der | |
| Kitschgrenze standen – etwa „Summer Wine“ von 1967. „Man setzt sich ja | |
| nicht hin und will jetzt exakt klingen wie die“, sagt Green. „Es ist | |
| einfach das, was herauskommt, wenn wir und unsere Einflüsse zusammenkommen. | |
| Ich weiß auch nicht, ob dieser Vergleich so schmeichelhaft ist. Vor ein | |
| paar Tagen traf ich einen Kid auf der Straße und sprach mit ihm über | |
| Sinatra und Hazlewood. Er hat sich die ganze Zeit über Lee Hazlewood | |
| aufgeregt.“ | |
| Green bringt noch einen anderen Einfluss ins Spiel: „Vielleicht haben wir | |
| beim Weintrinken zu viel vietnamesischen Sixtiesrock gehört.“ Hätte Green | |
| so einen Satz vor einigen Jahren gesagt, wäre vielleicht ein | |
| Saigon-Rock-Hype losgebrochen. Dem Klang der neuen Platte nach zu urteilen | |
| dürfte jener sich aber nicht groß vom westlichen Rock und Blues | |
| unterscheiden. Auf der einen Seite ist das Album gut durchdacht und | |
| wohlkomponiert, man freut sich über einen wiedererstarkenden Green. | |
| Und doch fehlt einem die andere Seite des New Yorkers, die | |
| Angepisste-Schuljungen-Seite. Denn einzigartig ist er doch eher als | |
| Erzähler grotesker Geschichten, als Dada-Stand-up-Comedian. Der | |
| tragikomische Held, den er nun gibt – etwa für das Video zu „Just to make | |
| me feel good“, in dem er den verlassenen Lover spielt –, ist dagegen nicht | |
| seine Paraderolle. | |
| Auch Shapiro sieht eher den Entertainer in ihrem Duettpartner: „Adam mit | |
| einem ernsten, seriösen Menschen in Zusammenhang zu bringen fällt mir | |
| schwer.“ Und wenn man verfolgt, wie Green auf Twitter über | |
| Ritter-Sport-Schokolade, 3-D-Drucker oder die Qualität seiner Fürze | |
| meditiert, wünscht man sich ihn als Gesamtkunstwerk zurück – das noch mehr | |
| zu bieten hat als nur einen großen Songwriter, der in dieser vergnüglichen | |
| Kollaboration zu hören ist. | |
| 21 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
| Jens Uthoff | |
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