| # taz.de -- Christlicher Folk aus London: Jesus findet alles gut | |
| > Die Songinhalte der Band Mumford & Sons sind rein wie die eines | |
| > christlichen Knabenchors. Es ist Musik für die weiße, konservative, | |
| > heterosexuelle Mittelschicht. | |
| Bild: Mumford & Sons bei ihrem ersten Deutschlandkonzert in München im März 2… | |
| Der Konsens zwischen Indierock und Mainstream hat einen Namen: Mumford & | |
| Sons. Die vier Londoner haben eine Erfolgsgeschichte wie keine andere Band | |
| mit vergleichbarer Musik. Ihre Auftritte begannen klischeehaft in kleinen | |
| Pubs in ihrer Heimat, heute füllen sie ganze Stadien. Am Dienstagabend | |
| spielten sie im ausverkauften Berliner Velodrom. Obwohl Folk bei | |
| Jugendlichen unüblich ist, besteht ein Großteil ihrer Fangemeinde aus | |
| Teenagern und Twentysomethings. | |
| Besonders auf textlicher Ebene ist das erstaunlich. Liest man sich nämlich | |
| ihre Lyrics durch, so kommt man sich vor, als blätterte man durch das | |
| Liederbuch eines christlichen Jugendchors. Besungen werden traditionelle | |
| Werte wie Hoffnung, Glaube, Reue, Schicksal, Selbstfindung, Schmerz, | |
| Ursprung und natürlich die erlösende Liebe. | |
| Diese Schlagwörter fallen bereits auf dem Debütalbum „Sigh No More“ – | |
| jawohl, mit Shakespeare-Referenz im Titel – auf. Biblische Bezüge kommen | |
| nicht nur unterschwellig in Hits wie „[1][The Cave]“ vor („You can | |
| understand dependence / When you know the maker’s hand“). Auf der zweiten | |
| Platte, „Babel“, sind sie expliziter. In „[2][Below My Feet]“ heißt es… | |
| was told by Jesus all was well / So all must be well“ – auf Jesus ist | |
| Verlass, da ist man zuversichtlich. | |
| Der Ursprung spielt eine markante Rolle, biologisch wie geografisch. In | |
| „[3][After the storm]“ nimmt das patriotische Züge an, man lebt für sein | |
| Land und fürchtet sich vor Veränderungen. In diesem Weltbild bleibt die | |
| Selbstverständlichkeit der Fortpflanzung nicht aus. Während die Forderung | |
| nach der Homo-Ehe selbst in der Mitte der Gesellschaft Platz findet, feiert | |
| man immer noch Lieder über die klassische Familie. | |
| ## Knie nieder und begreife deine Herkunft! | |
| Offensichtlich religiöse Referenzen sind auch das Sündigen, die Vergebung, | |
| die Reinheit und das Auserwähltsein. Für Krisenzeiten lautet der ihr Rat: | |
| Knie nieder, reflektiere und begreife deine Herkunft! Klingt wie eine | |
| Gebetsanleitung. Aber eben nur, wenn man genau hinhört. Mit ihren Texten | |
| erzeugt die Band viel Pathos. Jeder kann sie irgendwie auf sich selbst | |
| beziehen, somit ist die Identifikation auch bei unreligiösen Fans sehr | |
| hoch. | |
| Hoffnung und Liebe werden auch frei von Konfession idealisiert. Wer schon | |
| mal Liebeskummer hatte, findet sich in der rhetorischen Frage „Where was my | |
| fault in loving you with my whole heart?“ wunderbar wieder. Und überhaupt | |
| geht es zurück zur Basis, zum Menschen und der Natur, fort vom | |
| reizüberfluteten Alltag. | |
| Einzelne Zeilen eignen sich perfekt als Postkarten- und Kalendersprüche, | |
| zum Beispiel „But I can’t move the mountains for you“ oder „Plant your … | |
| with good seeds“. Klingt poetisch und mit einer kleinen Illustration auf | |
| weißem Papier hat es etwas Persönliches, wenn man es, sagen wir, zusammen | |
| mit einer Zimmerpflanze verschenkt. | |
| Auf dem Berliner Konzert bestätigt ein Blick ins Publikum sämtliche | |
| Vorurteile. Bürgerliche, teilweise szenig angehauchte, aber stets | |
| ordentlich gekleidete Deutsche im Alter von 14 bis 60 versammeln sich in | |
| der ausverkauften Halle, gern auch als Paar. Mit ihren Bierbechern und | |
| Brezeln könnten sie genauso gut für Pur oder Herbert Grönemeyer anstehen. | |
| ## Heteronormativität und rückschrittlich | |
| Geklatscht wird über den Köpfen, die Handylichter schweben während der | |
| Balladen in der Luft, Merchandise wird fleißig gekauft und sofort | |
| angezogen. Bei schnelleren Hits hüpften Tochter und Mutter mit frecher | |
| Kurzhaarfrisur im Takt, die Texte werden mit voller Inbrunst mitgesungen. | |
| Mumford & Sons sind vor allem eins: Musik für die weiße, konservative, | |
| heterosexuelle Mittelschicht. | |
| Wenn man lange genug nach ihnen sucht, finden sich immer gute Argumente für | |
| eine Band, notfalls mithilfe von Euphemismen. Von den Mainstreammedien wird | |
| die Band in den Himmel gelobt. Anstatt ihr Heteronormativität und | |
| Rückschrittlichkeit anzukreiden, hebt man ihr „Traditionsbewusstsein“ und | |
| die „euphoristischste Bodenständigkeit“ positiv hervor. „[4][Hauptsache, | |
| Hoffnung macht kaputte Herzen heil]“, so die FAZ. Kritische Fragen? | |
| Fehlanzeige. Solange sie der breiten Masse gefällt, sie in Rausch versetzt | |
| und ihr Missmut im Banjosturm versinkt, darf und soll man über den hohen | |
| Spießerfaktor der Musik hinwegsehen. | |
| Am 4. April spielen Mumford & Sons in der Sporthalle Hamburg. Danach touren | |
| sie weiter durch Europa und die USA. | |
| 3 Apr 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://youtu.be/fNy8llTLvuA | |
| [2] http://youtu.be/7HIIAYpzGWs | |
| [3] http://youtu.be/SWYG7lZBc6U | |
| [4] http://www.faz.net/frankfurter-allgemeine-zeitung/cd-der-woche-mumford-sons… | |
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