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# taz.de -- Opernregisseurin Ulrike Schwab: Die Liebe zur Stimme
> Aufregend und berührend ist das Musiktheater von Ulrike Schwab. In Berlin
> werden ihre „Wolfskinder“ an der Neuköllner Oper wieder gespielt.
Bild: Sie sind „Hänsel und Gretel“, verloren im Wald, und die Waisen des K…
„Ich mag den Charme der Stimmen von Darstellern, die nicht aus der Oper
kommen, aber sich damit auseinandersetzen. Da kommt viel vom ursprünglichen
Gedanken des Musiktheaters rüber.“ Ulrike Schwab lacht. Bei strenger
Besetzung nach diesem Kriterium käme die Regisseurin als Sängerin für ihre
eigenen Inszenierungen selbst nie infrage. Denn sieben Jahre lang hat sie
an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin klassischen Operngesang
studiert und ist als Sopranistin in verschiedenen Theaterproduktionen
aufgetreten.
Aktuell arbeitet Schwab, die seit 2003 in Berlin lebt, jedoch vorrangig als
freie Regisseurin. Ihr Interesse an der Arbeit hinter dem Scheinwerferlicht
sei dabei vor allem durch die enge Zusammenarbeit mit den Studierenden des
Regiestudiengangs ihrer Musikhochschule gewachsen, erzählt die heute
34-Jährige.
Im Oktober 2014 begann sie dort mit 29 Jahren das Masterstudium der
Musiktheaterregie. Bestärkt in dieser Entscheidung wurde sie bereits durch
ihre erste Regiearbeit ein Jahr zuvor. An der Schlossoper Haldenstein in
der Schweizer Stadt Chur inszeniert sie 2013 Verdis „Rigoletto“. Die
Geschichte einer Vater-Tochter-Beziehung – bei Ulrike Schwab entsteht sie
in enger Zusammenarbeit mit ihrem eigenen Vater, Ulrich Schwab.
## Kindheit in den Kulissen
Die Verbindung zum Theater ergab sich in ihrem Leben unweigerlich. Als
Tochter eines Theaterleiters und einer Opernsängerin habe sie als Kind viel
Zeit im Theater verbracht, erzählt sie beim Treffen in einem Café in
Friedrichshain. Sie hat Klavierunterricht bekommen und im Kinderchor der
Mannheimer Oper gesungen: „Meine Eltern haben mich da aber ganz in Ruhe
gelassen und mich mein Eigenes mit der Musik finden lassen“, sagt Ulrike
Schwab.
Ihre spätere Berufswahl habe auch nicht sofort auf der Hand gelegen: „Mir
waren immer die negativen Dinge präsent, die diese Arbeit nun mal mit sich
bringt.“ Etwa wenig Zeit für die Familie zu haben oder häufige Ortswechsel:
„In der Pubertät musste ich mich davon erst mal lösen.“
Nach ihrem Abitur in Mannheim arbeitete Schwab im Rahmen eines
Freiwilligendienstes in einem Kinderheim in Nepal. Einen Abstand zur
Theaterwelt zu gewinnen sei für sie wichtig gewesen, um zu hinterfragen,
ob sie wirklich in die künstlerische Richtung habe gehen mögen und es nicht
nur das Altbekannte der Eltern gewesen sei. „Als ich aus dem Ausland
zurückkam, mich für die Aufnahmeprüfung bewarb, war mir dann emotional
klar, dass ich genau das machen möchte.“
Spricht man mit der Regisseurin über ihre Opernarbeit und das Inszenieren,
ist ihre Leidenschaft für den Beruf sicht- und hörbar. Immer wieder muss
die Frau im schwarzen Rollkragenpullover lachen, häufig fällt das Wort
„schön“ in Erzählungen über Probearbeiten.
## Parallele Geschichten
Ihre Regiearbeiten sind dabei häufiger Neuinterpretationen berühmter
Vorlagen und Vermischungen von Oper, Schauspiel und Performance. Zuletzt
inszenierte Schwab etwa [1][Mozarts „Don Giovanni“ in Zusammenarbeit mit
dem Improvisationsorchester Stegreif]. In dieser Produktion konnte das
Publikum der Neuköllner Oper in die berauschende Musik Mozarts eintauchen
und gleichzeitig einen kritischen Blick auf die patriarchale Erzählung
gewinnen. „Was ich viel mache, ist, dass ich Sachen parallel schalte, um
damit neue Räume zu öffnen“, sagt Schwab über ihre Arbeit.
Mit diesem künstlerischen Konzept entstand auch 2018 ihre Inszenierung des
[2][Musiktheaters „Wolfskinder“, eine Adaption von Humperdincks Oper
„Hänsel und Gretel]“, die jetzt ab Mitte Januar wieder an der Neuköllner
Oper gezeigt wird. „Für mich waren die Kinder, die ganz alleine sind und
sich durch die Welt schlagen müssen, der Kernpunkt der Geschichte.“
Sie suchte dann damals nach ähnlichen Kinderbiografien und stieß auf die
der ostpreußischen sogenannten Wolfskinder, die am Ende des Zweiten
Weltkriegs eltern- und heimatlos geworden waren und vor der Roten Armee in
die Wälder Litauens flüchteten. In Schwabs Inszenierung verquicken die
sieben Darstellerinnen diese dokumentarischen Texte mit der Erzählung und
der Musik aus „Hänsel und Gretel“ in berührenden Bildern und Tönen.
Mit bestehenden Stoffen zu experimentieren und sie weiterzudenken, ohne sie
zu verfremden, gefällt Ulrike Schwab. Auch bricht sie in ihren Produktionen
mit Sehgewohnheiten im Theater und erforscht gestalterische Freiheiten.
## Die Körper der Musiker
So sind etwa in „Wolfskinder“ und in „Giovanni – eine Passion“ die
Musiker*innen auf der Bühne gleichzeitig auch die Sänger*innen und
Schauspieler*innen. Das Publikum bekommt die Möglichkeit, ihnen während
der Stücke intensiv beim Musizieren zuzusehen: „Ich finde das toll, wenn
die Instrumentalistinnen mit auf der Bühne stehen und dadurch die
unterschiedlichen Facetten der Musik noch intensiver erlebbar gemacht
werden.“
Sosehr sie das Inszenieren von Musiktheater außerhalb der großen
Opernhäuser reizt, so anstrengend ist das aber auch manchmal. „Ich habe
genauso Freude daran, ein Repertoirestück an einem Stadttheater zu
inszenieren, wo es vielleicht gewisse Grenzen gibt. Diese können auch einen
Mehrwert bringen.“ Manchmal sei für sie die völlige Freiheit in der
Entwicklung neuer Stoffe auch erschlagend: „Man hat das Gefühl, alles und
nichts machen zu können.“
Ulrike Schwab ist selbstsicher, charismatisch. Inzwischen kann sie auf neun
Inszenierungen als Regisseurin zurückblicken, drei davon an der Neuköllner
Oper. Freiheraus spricht sie über Herausforderungen: „Man darf nicht
unterschätzen, dass die extremen Probephasen nicht immer leicht auszuhalten
sind. Ich schaffe es nicht, dass das Ganze nur ein Job ist“, sagt sie.
Während der intensiven Proben versinke sie in der Arbeit und könne auch
abends zu Hause nur schwer abschalten.
## Besetzt von der Musik
Wenige Wochen vor einer Premiere habe sie kaum ein Privatleben, erzählt
Schwab. „Die Musik macht einen auch manchmal wahnsinnig mit ihrer Kraft,
zum Beispiel bei ‚Don Giovanni‘. Das bekommst du nicht raus aus deinem
Körper.“
Privat hört sie aktuell viel die Songs der Kanadierin Joni Mitchell: „Ich
mag es schon kitschig-melancholisch, text- und stimmlastig. Ich bin einfach
ein Fan der menschlichen Stimme“, sagt Schwab, wieder lachend. Nicht
zuletzt deshalb wünscht sie sich in Zukunft wieder beides zu machen: als
Regisseurin zu inszenieren und auch als Sängerin auf der Bühne zu stehen.
5 Jan 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Linda Gerner
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