| # taz.de -- „Die Fleisch“ an der Neuköllner Oper: Das Plexiglas-Schicksal | |
| > Klagende Duette, die von Trennung handeln. Bei der Neubearbeitung einer | |
| > Oper von Kosaku Yamada wird die Corona-Trennscheibe zum Symbol. | |
| Bild: Isoliert durch Plexiglas: die Sänger Daniel Arnaldos und Yuri Mizobuchi … | |
| In Salzburg haben am Samstag die Festspiele begonnen, als einziges großes | |
| Festival in Europa in diesem Sommer, mit der „Elektra“ von Richard Strauß. | |
| In Berlin haben die großen Theater und Opernhäuser jetzt Sommerpause. Da | |
| eröffnete am Samstag das kleinste Opernhaus Berlins, die Neuköllner Oper, | |
| ihre Spielzeit mit einem Stück von Kosaku Yamada, einem Komponisten aus | |
| Japan, der sich durchaus auf die Klangwelten von [1][Richard Strauss] und | |
| Wagner bezieht. | |
| Kosaku Yamada gilt als ein Brückenbauer zwischen der westlich-europäischen | |
| und der japanischen Musik. Geboren 1886 in Tokio hat er bei Max Bruch von | |
| 1910 bis 1913 in Berlin studiert. Dort fand 1937 auch die erste Aufführung | |
| der Orchester-Suite nach seiner Oper „Ayamé“ statt, auf der „Die Fleisch… | |
| wie die Neuköllner Inszenierung heißt, beruht. | |
| Die Fassung der Neuköllner Oper hat Markus Syperek musikalisch eingerichtet | |
| für drei Instrumentalisten, Violoncello, Saxofon und | |
| Schlagwerk/Tasteninstrument und drei Sänger. Letztes Frühjahr hatte die | |
| Inszenierung von Fabian Gerhardt Premiere im kleinen Studio der Neuköllner | |
| Oper. | |
| Unter den Bedingungen der Coronaregeln ist eine solch kleine Besetzung von | |
| Vorteil. Nun wurde die Inszenierung in den großen Raum verlegt, sechzig | |
| Leute können mit Abstand davor Platz nehmen. Die Bilder der Inszenierung | |
| selbst aber haben sich verändert; große Plexiglasschirme halten die | |
| Singenden auf Abstand. | |
| Dass die Neuköllner Oper gerade mit dieser veränderten Inszenierung die | |
| Saison eröffnet, hat durchaus Sinn. „Ayamé“, selten inszeniert, in | |
| Deutschland noch nie, ist eine Trouvaille mit berlinhistorischem Bezug. | |
| ## Passendes symbolisches Element | |
| Vor allem aber ist das Schicksal des Mädchens Ayamé (Yuri Mizobuchi), das | |
| sie erzählt, von Einsamkeit und Isolation durchzogen. Ihr Geliebter | |
| Tokijiro (Daniel Arnaldos) kann ihr, die in einem Bordell für die Schulden | |
| ihres Vaters arbeiten muss, nicht nahe kommen. In den klagenden Liedern, | |
| den stets von Trennung handelnden Duetten der beiden, wird die Trennscheibe | |
| zwischen ihnen zu einem passenden symbolischen Element. | |
| Die Mezzosopranistin Yuri Mizobuchi steht schon am Anfang in einer Art | |
| Vitrine auf der als kalte Winterlandschaft gestalteten Bühne, während zwei | |
| Männer ihr Schicksal besprechen. Tokijiro versucht später, sie aus dem | |
| Bordell zu retten, zur Flucht zu überreden, aber das widerspricht ihrem | |
| Ehrgefühl, da sie einen Vertrag unterschrieben hat. Den hat ihr Ojisan | |
| (Martin Gerke), ein zwielichtiger Freund, nahegelegt, weil sie die Schulden | |
| ihres verstorbenen Vaters bezahlen muss. | |
| Während über ihren Körper verhandelt wird, legen sich andere Bilder, | |
| projiziert auf dünne Gaze vor der Szene, über das Bühnenbild. Hände | |
| betasten ein Stück Fleisch, das mit Blattgold belegt wird. (Ja, Frank | |
| Ribérys Goldsteak lag noch nicht lange zurück, als Vincent Stefan das Video | |
| konzipierte.) | |
| Am Ende haben Yuri Mizobuchi und Daniel Arnaldos berührende gemeinsame | |
| Szenen; ihre Liebe kann sich nie verwirklichen, erst im Tod kommen sie | |
| zusammen. Davor sticht ein Auftritt von Mizobuchi heraus, in dem sie mit | |
| blonder Perücke und Mikrofon ein wenig hexenhaft und weird wirkt, mit ihren | |
| abstrakten Lautketten an Björk erinnert. Es ist der Moment, in dem sie aus | |
| der Handlung heraustritt und unabhängig von den Zeitläuften zu einer | |
| autonomen Figur wird, die um ihre Selbstbestimmung ringt. Doch das bleibt | |
| die Ausnahme. | |
| ## Anspruchsvolles Stück Musiktheater | |
| Inserts und eine Offstimme fassen die Handlung zusammen, die sich aus den | |
| Gesangpartien nicht so einfach erschließt. Die Inszenierung hat etwas von | |
| einer Skizze: Ein anspruchsvolles Stück Musiktheater wird vorgestellt, ein | |
| fehlendes Puzzleteilchen in die Musikgeschichte eingefügt, von dem man aber | |
| am Ende doch nicht sagen könnte, ob es einen musikalisch überzeugt. | |
| Vielleicht fällt es auch schwer, sich auf die Musik einzulassen, weil man | |
| als Zuschauer mit der eigenen Situation – erstmals seit dem Shutdown wieder | |
| in einem Theatersaal, wie verhalten sich die anderen, darf ich mir Luft | |
| zufächeln – beschäftigt ist. | |
| Die japanischen Elemente jedenfalls sind sparsame Akzente, mehr wie ein | |
| Fingerzeig Richtung Japan, eine eigene Landschaft prägen sie nicht. | |
| Vielmehr wird im Klang die Suche nach Aufbruch hörbar und nach einer Zeit | |
| der Zerrissenheit. Nach einer Moderne, die ihren Weg sucht, wie Ayamé ihren | |
| Weg aus einem fremdbestimmten Schicksal. | |
| 3 Aug 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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