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# taz.de -- Berliner Kultur im Coronasommer: Im Bikini ins Theater
> Wegen Corona finden immer mehr Kulturevents unter freiem Himmel statt. In
> Berlin ziehen verschiedene Kunstformen ans Strandbad Plötzensee.
Bild: Wenn die Abendstimmung selbst zur Kulisse wird: „Zum Späti an der Plö…
Tretboote, Sonnenschirme, Imbissbuden. [1][Das Strandbad Plötzensee im
Wedding] hat pünktlich zum heißesten Tag des Jahres alles aufgeboten, was
man von einem Strandbad erwartet. Menschen liegen im Gras und im Sand, es
werden Eis und Pommes verzehrt, Wasserbälle und rutschende Kinder fliegen
durch die Luft. Doch dieser Samstag im Strandbad, der letzte Tag im Juli,
ist kein gewöhnlicher Strandbadetag.
Unter die Badegäste haben sich auch Menschen gemischt, denen anzumerken
ist, dass sie nicht in erster Linie für Pommes und Tretboot gekommen sind.
Denn an diesem Samstag eröffneten die ersten „Festspiele am Plötzensee“.
Für neun Tage vereint das Strandbad verschiedene Kunstformen, die sich in
das Gelände integrieren. Zum Beispiel werden in den Umkleidekabinen
Videoarbeiten gezeigt, bei den Duschen sind Skulpturen ausgestellt, am
Strand hängen Gemälde und der FKK-Bereich wird zur Theaterbühne. Unter dem
Motto „Urlaub und Reisen“ soll das Strandbad als Freizeitort somit zu einem
begehbaren Gesamtkunstwerk werden.
Der [2][Theaterregisseur Jan Koslowski] wollte aufgrund von abgesagten
Produktionen ein Event schaffen, das trotz der Pandemie stattfinden kann.
Mit fast 60 befreundeten Künstler*innen organisierte er die Festspiele am
Plötzensee – ehrenamtlich. Und schaffte somit einen ungewöhnlichen Ort für
Kunst.
Doch so vordergründig und präsent, wie man es sich vorstellen mag, ist die
Kunst gar nicht. Würde man nicht wissen, dass sie da ist, wäre sie gar
nicht so leicht zu finden. Manchmal droht sie gar übersehen zu werden.
Einige Besucher*innen dürften sich fragen, ob die kleine geflieste
Umkleidekabine, die ein wenig verloren und unpraktisch mitten auf der
Liegewiese steht, nur eine architektonische Willkürlichkeit ist oder ein
Ausstellungsobjekt darstellt.
## Unter die Badegäste gemogelt
Das Programmheft schafft Gewissheit: Es ist ein Ausstellungsobjekt. Ähnlich
geht es auch Laura und Sören, als sie sich gerade den Sand von den Füßen
waschen und gefragt werden, ob sie die Kunst, vor der sie stehen, bemerkt
hätten. „Ja, ist mir aufgefallen“, sagt Laura, „ich habe mich nur gefrag…
warum das hier steht und wer das gemacht hat.“ Sören ist dagegen erst jetzt
auf die abstrakten Keramikfiguren von Janes Haid-Schmallenberg, die etwas
von monsterartigen Büsten haben, aufmerksam geworden, findet es aber gut,
dass es so etwas ins Strandbad geschafft hat.
Im Mittelpunkt der Festspiele steht jedoch das Theaterstück „Zum Späti an
der Plötze – Ein Schwank“. Wo tagsüber Besucher*innen textilfrei entspann…
und baden, entsteht abends eine Bühne am, im und auf dem Wasser. Wer sich
bei dem Gedanken an ein Theaterstück im FKK-Bereich jetzt schon
ausschweifende Gedanken macht, muss jedoch enttäuscht bzw. kann beruhigt
werden. Die Schauspielenden tragen (fast immer) Kleidung.
Und auch von den Zuschauenden wird nicht erwartet, sich zu entblößen. Aber
„Sie können gern in Badekleidung kommen und das Stück mit nassen Haaren
gucken“, schreibt Leonie Hahn, die Dramaturgin und Autorin, in ihrem
Vorwort. Ein bisschen Sommertheater-Flair ist dann doch gewünscht.
Das Stück, das extra für die Festspiele geschrieben wurde, setzt sich mit
dem Strandbad als urbanem Raum auseinander. Dabei geht es um den Spätkauf
als Symbol der Kommerzialisierung des Stadtraums. [3][Dort wo früher der
vertrauensvolle Späti war], bei dem es Durstlöscher für unter einen Euro
gab und man seinen Schlüssel für die „Friends“ hinterlegen konnte, stünd…
jetzt Spätis, die Spätis nachmachen und Gin-Tastings anbieten, so die
Kritik des Plots.
Daraus ist ein humorvolles, fast märchenhaftes und bisweilen überspitzes
Sprechtheater entstanden, das durch pointierte Dialoge ein kurzweiliges
Theatererlebnis schafft. Der nostalgische Blick auf die gute alte
Spätikultur ist da eher als metaphorische, routinemäßige
Gentrifizierungskritik zu verstehen.
Martina ist Stammgast im Strandbad, selbst Schauspielerin und vom neuen
Kulturangebot begeistert. Bei der Premiere stellt sie aber auch fest, dass
von den anderen Stammgästen keiner da ist. „Das sind alles nur Theaterleute
hier, das merkt man schon am Typ“, analysiert sie. Denn auch wenn das
Theaterstück alle Besucher*innen des Strandbades ansprechen soll, ist es
auf 99 Plätze pro Vorstellung begrenzt. So will es das Hygienekonzept. Ein
bisschen Exklusivität gibt es also doch – auch im Strandbad Plötzensee.
4 Aug 2020
## LINKS
[1] /Strandbad-Ploetzensee-mit-neuem-Paechter/!5621464
[2] /Junges-Theater/!5249590
[3] /Die-Wahrheit/!5660014
## AUTOREN
Leonard Laurig
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