Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Richard Wagner Reloaded: Die Dynamik der Schuld
> Opernregisseurin Tatjana Gürbaca zeigt sich in Wien wieder als
> herausragende Wagner-Deuterin – mit Spürsinn für Widersprüche.
Bild: Tatjana Gürbaca schaut freundlich drein, doch erzählt todtraurige Gesch…
Tatjana Gürbaca ist gefragt im internationalen Opernzirkus. Besonders für
Wagner findet die Regisseurin, die an der Hochschule für Musik Hanns Eisler
in Berlin bei Ruth Berghaus und Peter Konwitschny das Regietheaterhandwerk
ostdeutscher Prägung von der Pike auf lernte, immer wieder frappierende
Deutungen. Für ihren Antwerpener „Parsifal“ wurde sie 2013 von der
Fachzeitschrift Opernwelt als „Regisseurin des Jahres“ ausgezeichnet. Im
vergangenen Jahr gelangen ihr in Antwerpen ein fulminanter „Holländer“, der
Wagners Frühwerk als rabenschwarze Untergangsparabel zeigt, und wenig
später ein faszinierender „Lohengrin“ am Essener Aalto-Theater.
Soeben hat die 44-Jährige am Theater an der Wien Wagners „Ring“ von vier
auf drei Abende eingedampft, radikal dekonstruiert und damit ganz neue
Perspektiven auf Wagners Opus magnum aufgerissen. Dabei ist Gürbaca keine
Werkzertrümmerin, sondern bekannt für ihre psychologische Präzision und
ihre Gabe, komplexe innere Vorgänge in sprechende Bilder zu bannen.
Wagners Längen, vor denen sich die meisten Opernregisseure fürchten, sind
Gürbacas eigentliches Element. Sie weiß jenen gefährlichen Zeit-Überhang zu
füllen mit einem unfehlbaren Spürsinn für rumorende Subtexte und
spannungsreiche Widersprüche zwischen Musik und Text. Auf der Bühne setzt
Gürbaca auf Reduktion: keine Geste zu viel, jeder Blick ein Ereignis, jede
Positionierung im Raum von magischer Wirkung.
Im Essener „Lohengrin“ zeigt sie im Vorspiel ein Stück Wald per Video auf
einem Gazevorhang. Sanft bewegen sich Blätter und Grashalme im Halbdunkel
des Blätterdachs und wecken ambivalente Empfindungen zwischen
Paradies-Gefühl und latenter Bedrohung. Dann tritt Elsa aus der Gasse vor
den Vorhang und schaut träumend auf den Wald. Der Vorhang wird
halbtransparent und zeigt dahinter eine stumme Szene: Ortrud führt den
kleinen Gottfried an der Hand. In der nächsten Szene sitzt Gottfried mit
roter Krone an einem Tisch, seine Schwester Elsa ihm gegenüber. Von hinten
nähert Telramund sich Elsa, will ihr zärtlich übers Haar streichen, zögert.
Dann friert die Szene ein in Telramunds heimlicher Verzückung.
## Die Szene des Mordes
Mit diesen kurzen Szenen erzählt Gürbaca die ganze fatale Vorgeschichte des
„Lohengrin“ und deckt so die verstrickte Personenkonstellation auf:
Telramund liebte einst die noch unmündige Elsa; seine heutige Frau Ortrud
war nur zweite Wahl und weiß dies nur zu gut. Dieses fatale Liebesdreieck
ist für Gürbaca der heiße Kern ihrer luziden Deutung, die sie mit äußerster
Wucht erzählt. Der geheimnisvolle Schwan ist in Essen der misshandelte
Gottfried, der mal verstört in der Ecke hockt, dann wie eine tote Puppe an
Lohengrin klebt. Im Brautgemach stößt er einen gellenden Schrei aus, als es
einen kleinen, glücklichen Moment lang so aussieht, als würde das Paar sich
doch noch finden. Das ist einer der vielen erhellenden Momente, die
Gürbacas Wagner-Deutungen zu Ereignissen machen. Und häufig nachhaltig
irritieren.
Gürbaca arbeitet bevorzugt mit dem Bühnenbildner Henrik Ahr zusammen, der
Stamm-Ausstatter von Michael Thalheimer ist und sich auf jene puristisch
abstrakten Räume versteht, in denen sich Thalheimers Theater entfalten
kann. Auch in Wien hat Henrik Ahr für die tollkühne „Ring“-Dekonstruktion,
die Anfang Dezember Premiere hatte, nun die Räume entworfen, in denen sich
Gürbacas alle Zeitdimensionen sprengendes, aber streng durchkomponiertes
Wagner-Theater abspielt. Alle drei Abende beginnen mit einem dumpfen
Dröhnen, das man nicht verorten kann. Dann aber entpuppt es sich als
Soundtrack eines kurzen stummen Vorspiels, das drei Mal den zentralen
Moment zeigt, von dem alles weg und zu dem alles hinführen wird in dieser
Neufassung von Wagners „Ring“: dem Mord an Siegfried durch Hagen.
Gürbaca richtet ihren Blick auf die zweite und dritte Generation der
Protagonisten – auf jene Söhne und Töchter also, die Schuld und Schulden
der Vorfahren ertragen, begleichen und bewältigen müssen. Dass ausgerechnet
Siegfrieds Tod den Schlüsselmoment einer Neudeutung liefert, ist mit Wagner
selbst schlüssig zu begründen, denn genau an dieser Stelle begann Wagner
1848 mit dem Dichten des Librettos – bevor er merkte, dass er zu diesem
Geschehen auch eine Vorgeschichte erzählen musste. Gürbaca und ihr Team
erzählen den „Ring“ nun in der Rückschau aus Sicht der drei Beteiligten d…
Mordszene: Hagen, Siegfried und Brünnhilde – als die betrogene Verräterin,
die den Mord erst ermöglicht, weil sie Hagen Siegfrieds verwundbare Stelle
verrät.
Eine formal kühne, aber in der Wahl der Mittel doch sanfte Dekonstruktion
also, die vor allem Wagners Musik unangetastet lässt und sie nicht etwa
überschreibt oder verfremdet. In Wien erklingt Wagner pur, bloß sind die
Teile neu miteinander verschraubt, und das in kühnen Sprüngen quer durch
die Tetralogie. Was vermuten lässt, dass harte Brüche und Sprünge hörbar
würden, klingt tatsächlich musikalisch erstaunlich organisch verbunden
durch die höhere Logik der Leitmotive und wird szenisch beglaubigt durch
Gürbacas Personenführung, die dichte und lange Erzählstränge sichtbar
macht. Gürbaca und ihr Team werfen nicht nur personell Ballast ab, sondern
entzaubern auch die Requisiten: Das Schwert Nothung ist nichts als ein
grobes Brotmesser, und Alberich braucht für seine Tricks auch keine
Tarnkappe mehr.
## Kleine, aber scharfe Gesten
Mit der Szene „Schläfst du, Hagen, mein Sohn?“, mit der Alberichs
Aufforderung zur mörderischen Rache beginnt, hebt Gürbacas Rückschau an:
Martin Winkler ist zunächst ein verschwitzt nervöser Widerling, der seinen
Sohn Hagen (großartig: Samuel Youn) bedrängt, bis dieser wie ferngesteuert
zur Rache einwilligt. Die Geschichte der Auslöschung und Traumatisierung
des Sohnes Hagen, seine Instrumentalisierung durch seinen wiederum zutiefst
erniedrigten Vater Alberich erzählt Gürbaca dann mit den
„Rheingold“-Szenen, in denen der kindliche Hagen dem grausamen Spiel der
Rheintöchter und der folgenden Überwältigung seines Vaters durch Loge und
den gewaltbereiten Wotan beiwohnen muss.
Gürbaca findet erschreckende Bilder dafür, wie dem Kind Welt- und
Selbsthass eingetrichtert werden – und wie widerlich übergriffig Alberichs
vorgebliche Fürsorge für den Sohn ist, wenn er ihm prüfend im Ohr bohrt und
sein mit Spucke getränktes Taschentuch zur Säuberung nutzt. Es sind oft nur
kleine, aber scharfe Gesten, mit denen Gürbaca Verletzungen und Zwänge
zeigt, die Konstellationen zwischen den Generationen beleuchtet und
Strategien offenlegt.
Die von Wagner übernommene Technik der Rückschau, die Gürbaca
radikalisiert, indem sie lange Erzählstränge herauspräpariert und
Schuldzusammenhänge unbarmherzig aufdeckt, geht auf: Am letzten Abend, der
„Brünnhilde“, wenn der Mörder Hagen wieder auftaucht, hat man das Gefühl,
Wagners erratischen Figuren nähergekommen zu sein.
12 Dec 2017
## AUTOREN
Regine Müller
## TAGS
Musiktheater
Oper
Richard Wagner
Oper
Oper
Oper
Lesestück Interview
## ARTIKEL ZUM THEMA
Renaissance-Oper am Theater Bremen: Triumph der Liebe
Starregisseurin Tatjana Gürbaca bringt in Bremen Claudio Monteverdis
"Poppea" heraus. Im Fokus steht dabei der Zynismus des Werks.
Opernregisseurin Ulrike Schwab: Die Liebe zur Stimme
Aufregend und berührend ist das Musiktheater von Ulrike Schwab. In Berlin
werden ihre „Wolfskinder“ an der Neuköllner Oper wieder gespielt.
Victoria and Albert Museum in London: Die Oper ist Diskurs
Die Ausstellung „Opera: Passion, Power and Politics“ zeigt Europas
Kulturgeschichte des Singspiels. Das könnte sogar Schüler*innen
faszinieren.
Mini-Oper und große Politik: „Nacktheit ist eine Lösung für Faule“
In Groningen singt Sopranistin Sara Hershkowitz György Ligetis „Mysteries
of the Macabre“ in Fatsuit und mit Trump-Haarteil
OPER: In der Menschendämmerung
Nix da in Melodien schwelgen! Tschaikowskys Mazeppa ist eine
Menschen-Dämmerung, frei von Wasserdampf und Schweiß: Tatjana Gürbaca
inszeniert die im Westen nicht ohne Grund, aber zu Unrecht kaum gespielte
Oper am Bremer Theater als postdramatischen Bilderbogen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.