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# taz.de -- OPER: In der Menschendämmerung
> Nix da in Melodien schwelgen! Tschaikowskys Mazeppa ist eine
> Menschen-Dämmerung, frei von Wasserdampf und Schweiß: Tatjana Gürbaca
> inszeniert die im Westen nicht ohne Grund, aber zu Unrecht kaum gespielte
> Oper am Bremer Theater als postdramatischen Bilderbogen.
Bild: Eine merkwürdige Oper: Mazeppa (Jacek Strauch) trifft seine umnachtete F…
Nach dem Weltenbrand bleibt der Gesang, oder genauer: Danach wirds erst
richtig schön. Die Bühne ist am Ende der Bremer Mazeppa-Aufführung komplett
verwüstet: Asche von der Schlacht fällt wie schwarzer Schnee, und niemand
hat das Ganze überstanden, auch Maria nicht.
Die lebt zwar noch, ist aber dafür nun verrückt. Und Pjotr Tschaikowsky hat
zwei Jahre nach der Uraufführung dann doch entschieden, sie nicht ins
Wasser gehen, sondern singen zu lassen, das einzig wirklich eingängige Solo
der Oper: Bajuschki baju, dunkelleuchtend, fein timbriert, singt die
ausdruckstark spielende Nadine Lehner als irre Maria ganz zum Schluss des
Werks dem hoffnungslosen Verehrer Andrej ein Wiegenlied. Dessen täppisches
Werben hatte sie bis dahin brüsk zurückgewiesen. Schließlich liebte sie,
als sie noch bei Sinnen war, den alternden Feldherrn und scheiternden
Diktator Mazeppa, ihren Mann. Jetzt aber darf der Tenor Michael Baba in
ihrem Schoß liegen, wie ein Riesenbaby, das leider gerade abgeknallt worden
ist.
Mazeppa ist eine merkwürdige Oper, unbequem und, zumal bei SängerInnen, die
sonst kein Russisch sprechen, nicht sonderlich beliebt. In Moskau oder
Petersburg ist sie recht häufig mit nationalistischem Pathos, Pomp und
Firlefanz zu erleben, was ihr gar nicht gut steht. Im Westen dagegen kommt
es alle Jubeljahre zu einer Neuproduktion, selbst in Bremen nur dank einer
- vom geschassten Intendanten Hans Joachim Frey eingetüteten - Koproduktion
mit der Vlaamse Opera Antwerpen.
Für die westliche Zurückhaltung gibts Gründe. Diese Oper ist ja wirklich
ein Musikanten-Problem: Melodien? Zwei, allenfalls drei, die nach drei
Stunden noch im Ohr bleiben. Mittendrin intoniert ein besoffener Kosak (mit
in Bremen recht dünnem Stimmchen) ein original-russisches Volkslied. Zuvor
gibts den Mädchenchor kurz nach der Ouvertüre in natürlichem und am Ende
besagtes Wiegenlied der kinderlos gebliebenen Schmerzensmutter in
harmonischem Moll, beide geprägt durch eine fallende große Terz.
Das wars. Sonst lässt ausgerechnet der olle Schlager-Spezi Tschaikowsky
seine Figuren merkwürdig richtungslos singen. Lauter undankbare Partien,
technisch extrem anspruchsvoll, aber ohne Virtuosen-Glanz oder schwelgende
Extasen zuzulassen: Die Personen klingen wie innerlich zerrissen und
getrieben von ihren gegenläufigen Begehren, kompliziert wie reale Menschen.
Und die bekommen ja auch keinen Szenenapplaus, selbst wenn sie sich gerade
furchtbar anstrengen mussten, wie der arme, tapfere Bariton Jacek Strauch
in der Titelrolle.
Das Textbuch der Oper basiert auf Alexander Puschkins Epos über die
Schlacht von Poltawa, die den Großen Nordischen Krieg entschied: Ivan
Mazeppa, Kosakenführer und so etwas wie ein Statthalter des Zaren in der
Ukraine, hatte mitten im Krieg heimlich die Seiten gewechselt. Bei Poltawa
kämpfte er 1709 plötzlich an der Seite der Schweden gegen das heilige
Russland und die Truppen von Peter dem Großen. Sein Ziel: Die
Alleinherrschaft über eine unabhängige Ukraine. Nur ein Bruchteil seiner
Kosaken-Truppen unterstützte ihn dabei, Schweden unterlag, Mazeppa floh und
starb noch im selben Jahr. Nach manchen Quellen war er da schon 80, ein
Greis.
Letzteres spielt für die Oper eine Rolle, denn in deren Zentrum steht seine
Heirat mit dem Mädchen Maria Kotschubej. Das findet ein Leben als Zarin der
Ukraine, graues Haar und Runzeln sexy. Nur ihr Vater will die Heirat, vom
ganzen Dorf unterstützt, wegen der Altersdifferenz verhindern, indem er
Mazeppas Separatisten-Pläne nach Moskau verrät. Der Zar aber lässt
Kotschubej durch seinen Feind gefangen nehmen, dessen Schergen dann den
aufmüpfigen Schwiegervater quälen.
So weit zur Geschichte Russlands. Aber mit geohistorischen Festlegungen hat
Regisseurin Tatjana Gürbaca nichts im Sinn - ganz ähnlich wie Tschaikowsy
selbst. Der Unterschied: Sie setzt sich mit entschiedener Coolness über sie
hinweg, während der Komponist und sein Librettoknecht Viktor Burenin sie
als bekannt annehmen konnten. So oder so, diese Oper erzählt - nichts. Sie
berichtet weder die großen weltpolitischen Ereignisse, noch entfaltet sie
jene kleine Privat-Geschichte. Stattdessen rotzt das Textbuch sechs
Tableaus ihrer markantesten, schreiendsten Szenen nebeneinander,
postdramatisch frei von Wasserdampf und Schweiß, ein
chronologisch-kontrastiv geordneter Bilderbogen. Jubelfeier für Mazeppa,
Dorfverschwörung gegen ihn, Wasserfolter mit anschließender
Menschenverbrennung, intimes Zwiegespräch, Hinrichtung, a-cappella-Choral
und symphonische Schlachtendichtung, das prallt rüde aufeinander, aus dem
Orchestergraben nur formal vermittelt.
Sehr klar, sehr nüchtern lässt Daniel Montané die Bremer Philharmoniker
spielen, nüchtern und funktional greift Klaus Grünbergs Bühne die Drastik
der Handlung auf: Elemente des Spielzeugdorf-Idylls vom Anfang dienen der
irren Maria des Schlussbilds als Krone, vergrößert zur Wand des
Usurpatoren-Palasts kehrt das Spitzendeckchen des Kotschubejschen Esstischs
im zweiten Akt wieder, und das Licht wandelt sich vom falben Morgengrau zur
blaurot-unheilvollen Dämmerung über einer Gewalt-Landschaft, weit, weit
jenseits der Geschichte.
Auf die lässt Gürbaca die Maria, den Rücken zum Publikum, schon während der
Ouvertüre versunken blicken: Als ließe sich Sinn, Zusammenhang, Ziel oder
Melos in ihr finden, als wäre sie auf der Suche nach Schönheit, Vernunft
und harmonischer Erlösung. Die gibts aber nicht. Vernunft ist in dieser
Menschendämmerung bestenfalls ein Traum. Und Schönheit und Erlösung gibts
vielleicht im Stand von Unschuld, Vollrausch oder Wahn.
Nächste Aufführungen: 19. und 26. 11., 9., 17. und 30. 12., jeweils 19.30
Uhr, Theater Bremen
16 Nov 2010
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
Benno Schirrmeister
## TAGS
Oper
Musiktheater
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