# taz.de -- Sascha Lobo über den Paragrafen 219a: „Ich glaube an My body, my… | |
> Der Autor und Blogger Sascha Lobo engagiert sich im Kampf gegen den | |
> Paragrafen 219a. Ein Gespräch über feministische Kämpfe und männliche | |
> Solidarität. | |
Bild: „Niemand hat das Recht, Frauen Vorschriften über ihre eigenen Körper … | |
taz: Herr Lobo, Sie haben die Website des neuen Vereins „Pro Choice“ | |
gebaut, der sich für die [1][Abschaffung des Paragrafen 219a] starkmacht. | |
Warum? | |
Sascha Lobo: Ich möchte keine Gelegenheit auslassen, das Patriarchat zu | |
bekämpfen. Die Geschlechterfrage gehört zu den drängendsten und auch | |
komplexesten Themen unserer Zeit. Was sich hinter scheinbaren Detailfragen | |
wie diesem Paragrafen verbirgt, ist ein großer, umfassender Kampf von | |
Feministinnen. | |
Sind Sie Feminist? | |
Ja, und zwar intersektional, sexpositiv, sexarbeits- und transinklusiv, | |
wenn ich auch – etwa in diesem Interview – nicht immer alle sprachlichen | |
Inklusionen abbilde. Feminismus heißt für mich, eine radikale Form von | |
Gleichberechtigung für alle Geschlechter und Sexualitäten zu schaffen. Und | |
sich andererseits bewusst zu machen, wie wirkmächtig und gewalttätig das | |
Patriarchat in der Gesellschaft wütet. | |
Sie beschäftigen sich vor allem mit Digitalisierung und dem Internet. Wie | |
kamen Sie auf den Paragrafen? | |
Ich habe das [2][Privileg, mit Privilegien überhäuft zu sein]. Als | |
wirtschaftlich unabhängiger, mittelalter, weißer, weitgehend | |
heterosexueller Cis-Mann mit großer medialer Reichweite kann ich mir | |
aussuchen, wofür ich kämpfe. Ich habe keinen eigenen Kampf, denn die | |
heutige Gesellschaft ist bereits um meine Bedürfnisse herum gebaut. Das | |
kann man zum Beispiel an meiner Frisur erkennen. Sie ist einigermaßen | |
lächerlich – und trotzdem werde ich überall gebeten zu sagen, was ich | |
denke. [3][Eine schwarze Frau] mit einer solchen Frisur würde in der | |
deutschen Öffentlichkeit wahrscheinlich viel weniger ernst genommen werden. | |
In meiner Freiheit, auszuwählen, was ich gesellschaftlich verändern will, | |
liegt aber auch eine Verantwortung. Und die [4][Bewegung gegen den 219a] | |
braucht Geld. Also habe ich gefragt, ob ich helfen kann. | |
Wen haben Sie gefragt? | |
Im Sommer gab es einen Spendenaufruf von Aktivistinnen, die sich in der | |
Solidaritätsbewegung für die [5][Ärztin Kristina Hänel] engagieren. Durch | |
die Anzeigenserie gegen Ärzte und Ärztinnen und die bizarre Reform des | |
Paragrafen, für die die SPD auch noch Applaus haben wollte, haben die | |
Betroffenen jede Menge Kosten. Ich dachte, ich kann mehr bewirken, wenn ich | |
nicht nur einmalig spende, sondern helfe, die nächste Ebene zu erreichen. | |
Ich kenne mich ein wenig mit Fundraising und Crowdfunding im Netz aus. | |
Beides findet in der Bewegung bisher nur in Ansätzen statt – obwohl | |
gleichzeitig die Gegenseite aufrüstet. Also zum Beispiel | |
[6][antifeministische Männer], oft aus der radikalen Rechten, die Ärztinnen | |
für komplett harmlose Sätze auf ihrer Webseite anzeigen. | |
Was haben Sie konkret gemacht? | |
Ich habe Kontakt aufgenommen und angeboten, eine Infrastruktur | |
einzurichten, mit der es einfacher möglich ist, Spenden zu sammeln. Dann | |
habe ich die Domain Pro-Choice.de gekauft und eine Seite für den Verein | |
gebaut, den die Aktivistinnen gründen wollten. | |
Wie stehen Sie zu Schwangerschaftsabbrüchen? | |
Ich glaube an das Prinzip „My body, my choice“. In jeder Dimension. | |
Schwangerschaftsabbrüche sollten ganz grundsätzlich nicht strafbewehrt | |
sein. | |
Gar nicht? | |
Man sollte ethisch, moralisch und juristisch diskutieren, ab welchem | |
Zeitpunkt genau sie nicht mehr sinnvoll sind. Aber allein, dass sie | |
verboten sind, dass es sich bei Abbrüchen um eine Straftat gegen das Leben | |
handelt und sie im Strafgesetzbuch neben Mord und Totschlag stehen, halte | |
ich für einen absurden Atavismus einer patriarchalen und rassistischen | |
Gesellschaft. Niemand hat das Recht, Frauen Vorschriften über ihre eigenen | |
Körper zu machen. | |
Auf Ihrer Website, auf der Sie auch Ihre politischen Positionen | |
beschreiben, findet sich kein Hinweis auf die Relevanz von reproduktiven | |
Rechten. Warum haben Sie das bisher nicht öffentlich gemacht? | |
Ich benenne auf meiner Seite unter anderem mein Eintreten gegen Misogynie, | |
worunter ich die Paragrafen zum Schwangerschaftsabbruch subsumieren würde. | |
Müssten Sie nicht konkreter werden, um Themen wie die Paragrafen 218 oder | |
219a sichtbar zu machen? | |
[7][Reproduktive Rechte] hervorzuheben oder nicht, war für mich bisher | |
nicht der zentrale Aspekt. Das Thema ist öffentlich präsenter geworden, | |
deshalb helfe ich mit. Auf die Gefahr hin, dass dann Leute denken, man | |
würde zugunsten der eigenen Prominenz auf fahrende Züge aufspringen. Aber | |
das ist mir völlig egal, allein schon, weil es eindeutig angenehmere Züge | |
gäbe. Ich versuche, Feminismus in meine tägliche Arbeit mindestens | |
einfließen zu lassen. Die Frage ist immer auch, wie lautstark ich mich als | |
Mann äußern sollte, der in der Öffentlichkeit steht. | |
Wie meinen Sie das? | |
Wenn eine bestimmte Gruppe von Menschen öffentlich für etwas kämpft und | |
dann ein weißer Mann kommt und sagt, übrigens mache ich das jetzt auch | |
nochmal für euch mit, dann kriegt das schnell eine paternalistische | |
Grundierung. Das möchte ich vermeiden. Ich will mich nicht in diesem Kampf | |
in den Vordergrund drängen. Auch wenn dieser Eindruck zugegebenermaßen | |
vielleicht ein winziges bisschen leidet, wenn wir ein Interview machen. | |
Warum geben Sie es dann? | |
Weil ich auch den anderen Teil der Debatte sehe: Die öffentliche | |
Unterstützung in Sachen Abtreibungsrechte durch bekanntere Männer ist | |
beschämend gering. Aber nur weil man ein Mann ist, darf man Frauen in | |
solchen Kämpfen nicht allein lassen. Meine Perspektive ist in vielen | |
Bereichen die eines Außenstehenden – aber eines Außenstehenden, der ein | |
Interesse daran hat, sich und anderen bestimmte Strukturen und Mechanismen | |
bewusst zu machen. | |
Welche? | |
Das Verbot von Abtreibung zum Beispiel ist noch von einer uralten, | |
rassistisch-patriarchalen Erzählung beeinflusst: Dein Körper gehört nicht | |
dir, sondern uns, er dient der Reproduktion weißer Kinder, die Soldaten | |
werden, wenn sie Männer sind, und Gebärmaschinen, wenn sie Frauen sind. Man | |
kann die Geschlechterfrage insofern nicht vom weltweiten reaktionären | |
Backlash trennen. | |
[8][Die Manifeste] von rechtsextremen Massenmördern sind meist | |
rassistischer Antifeminismus mit faschistischem und antisemitischem | |
Fundament. In den ersten drei Sätzen des Manifests des | |
Christchurch-Attentäters geht es zum Beispiel nur um die Geburtenrate. | |
Feministinnen weisen auf diese Verknüpfung schon lange hin – aber dass ich | |
die Intensität dieser Verbindung selbst verstanden habe, ist noch nicht | |
allzu lange her. Schwangerschaft und Reproduktion gehen Männer auch deshalb | |
genauso an, weil der Kampf um das unangreifbare, unveräußerliche Recht auf | |
den eigenen Körper ein Kampf aller Geschlechter werden sollte. | |
Warum engagieren sich so [9][wenige Männer] in feministischen Kämpfen? | |
Hier bin ich gezwungen zu vermuten: Erstens ist es manchmal wohl angenehm, | |
Debatten von außen betrachten zu können. Dann kann man so tun, als hätte | |
das nichts mit einem zu tun. Natürlich ist ein Mann zum Beispiel im Prozess | |
einer Schwangerschaft eher nicht die Hauptfigur. Insofern ist es für viele | |
Männer vermutlich naheliegend, zu sagen: Macht mal, ihr kriegt das schon | |
hin. | |
Und zweitens? | |
Es gibt patriarchal vergiftete, vermeintliche Tabuthemen. Wenn man sich als | |
Mann zum Feminismus äußert, passiert es leicht, dass man merkwürdig | |
angeschaut wird. Davor haben offenbar viele Männer Angst. In feministischen | |
Kontexten geschieht es außerdem manchmal, dass Männer sagen, super, ich bin | |
auf eurer Seite, Ausrufezeichen! Dann wollen sie sich für ihren Großmut | |
feiern lassen und erwarten Kopulationsangebote. Und stattdessen kriegen sie | |
in die Fresse, etwa, weil sie Geschichte und Komplexität der Thematik | |
offenkundig nicht berücksichtigt haben. | |
Mir ging es 2011 ähnlich, als ich eine 50-prozentige Frauenquote für | |
Blogempfehlungen vorschlug und von einigen Personen angegangen wurde für | |
meine Unterstützung der geschlechtlichen Binarität. Heute verstehe ich das, | |
damals war ich beleidigt. Davon abgesehen gibt es in Zeiten von Social | |
Media buchstäblich nichts, wofür man keinen Gegenwind bekommt. Wenn man | |
sich davon gleich entmutigen lässt, ist man Opfer seines eigenen, | |
veralteten Debattenverständnisses. | |
Andererseits gibt es genügend Männer, die Frauen Vorschriften machen | |
wollen. | |
Wenn es um Vorschriften über den eigenen Körper von Frauen geht, sind diese | |
Männer für mich mutlose Lappen. Ein lustiger Witz über Jens Spahn ist, dass | |
er sich vorbildlich für Minderheiten engagiert – wenn er ihnen angehört. | |
Was ist daran witzig? | |
It’s funny because it’s true. Die [10][Ehe für alle] oder das [11][Verbot | |
von Konversionstherapien] finde ich absolut richtig. Aber ich würde mir | |
wünschen, dass Spahn mit ähnlichem Furor für ein Recht kämpft, das nicht | |
unmittelbar seinen Körper betrifft. Es ist doch so: Vielleicht müssen | |
Männer im feministischen Kampf die Fahne nicht brüllend ganz nach vorn | |
tragen, sich auf die Bühne stellen und alle anderen Kämpfenden verdrängen. | |
Aber Solidarität zu zeigen wäre das Mindeste. Ich kann nur daran | |
appellieren, die eigene Verantwortung zu realisieren. | |
26 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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