| # taz.de -- Für einen Abbruch ins Ausland: „Abtreibungen sind okay“ | |
| > In Polen gibt es eine neue Hotline für ungewollt Schwangere. Dass es | |
| > dafür Geld gibt, hat mit einer Gesetzesreform in Irland zu tun. | |
| Bild: Proteste gegen eine geplante Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen… | |
| taz: Frau Więckiewicz, Sie und andere haben am Dienstag in Warschau die | |
| Initiative „Abortion without Borders“ vorgestellt. Um was geht es? | |
| Karolina Więckiewicz: [1][„Abortion without Borders“] soll ungewollt | |
| Schwangeren in Polen helfen, sich zu informieren und falls gewollt Zugang | |
| zu einer sicheren Abtreibung zu bekommen. Da gibt es in Polen sehr hohe | |
| Hürden. Ab sofort können alle unsere Hotline anrufen und bekommen dort | |
| Informationen und Beratung, und zwar sachlich und neutral, ohne | |
| Verurteilung. | |
| Um was geht es in der Beratung? | |
| Um alles, was gebraucht wird. Wir bieten allgemeine Informationen zu | |
| Schwangerschaft und Abtreibung, vermitteln aber wenn nötig auch | |
| Informationen und Kontakte, um Abtreibungen zu Hause oder im Ausland zu | |
| ermöglichen. Wir bringen die Menschen dann zum Beispiel mit der [2][Gruppe | |
| Ciocia Basia in Berlin] zusammen, die Polinnen hilft, für eine Abtreibung | |
| nach Deutschland zu kommen. | |
| Wer steht dahinter? | |
| Die Initiative ist aus der Zusammenarbeit von sechs informellen Gruppen und | |
| Organisationen aus vier Ländern entstanden, darunter wir vom [3][Abortion | |
| Dream Team]. Alle haben schon vorher ungewollt Schwangeren geholfen. Neu | |
| ist, dass es eine zentrale Hotline gibt, die alles verbindet. Und vor | |
| allem: die sichere Finanzierung. | |
| Woher kommt die? | |
| Es gibt eine britische Organisation namens [4][Abortion Support Network | |
| (ASN)], die seit mehr als zehn Jahren Abtreibungen für ungewollt Schwangere | |
| in Irland, Nordirland und der Isle of Man finanziert hat. Als dort die | |
| Abtreibungsgesetze geändert wurden, konnte das ASN seine Hilfe auf Malta | |
| und Gibraltar ausdehnen – und ab jetzt finanzieren sie auch Abtreibungen | |
| für Menschen aus Polen. | |
| Warum ist diese Hilfe so wichtig? | |
| Weil Abtreibungen Geld kosten. Der Eingriff selbst, aber auch die Reise | |
| oder das Übersetzen von Dokumenten. Der finanzielle Aspekt ist eine der | |
| größten Hürden beim Zugang zu Abtreibungen. Ob jemand Geld hat oder nicht, | |
| darf aber nicht darüber entscheiden, ob eine Schwangerschaft ausgetragen | |
| wird oder nicht. Ob die verschiedenen Gruppen Kosten übernehmen konnten, | |
| hing bisher immer von ihrer eigenen finanziellen Lage ab. Jetzt ist es | |
| egal, ob eine Person Geld mitbringt; denn wir haben selber welches und | |
| können helfen. Menschen spenden, um anderen Menschen Abtreibungen zu | |
| kaufen. Das ist wunderbar. | |
| Wie steht es mit dem Zugang zu Abtreibungen in Polen? | |
| Es gibt nur [5][drei Fälle, in denen Abtreibungen erlaubt sind]: Wenn die | |
| Schwangerschaft durch eine kriminelle Handlung entstanden ist, wenn sie das | |
| Leben oder die Gesundheit der Schwangeren bedroht oder wenn der Fötus | |
| schwerst geschädigt ist. Aber selbst unter diesen Bedingungen sind | |
| Abtreibungen kaum möglich, weil fast alle Kliniken und Ärztinnen und Ärzte | |
| den Eingriff aus Gewissensgründen verweigern. Wir helfen auch Frauen, an | |
| die Abtreibungspille zu kommen oder ins Ausland zu fahren, die eigentlich | |
| ein Anrecht auf einen legalen Abbruch in Polen hätten. Und: 96 Prozent der | |
| Abtreibungen in Polen passieren, weil jemand sich gegen ein Kind | |
| entscheidet. Diese Menschen werden einfach alleingelassen. | |
| Ist das ein Thema, das öffentlich diskutiert wird? | |
| Nein. Das Stigma rund um das Thema Abtreibung ist enorm, niemand will | |
| darüber reden, niemand will damit in Verbindung gebracht werden. Offiziell | |
| haben nur 1.000 polnische Frauen im Jahr eine Abtreibung – bei einer | |
| Bevölkerung von 37 Millionen Menschen. Wir schätzen, dass es eher um die | |
| 150.000 Abtreibungen sind. Die Tabuisierung trägt noch dazu bei, dass | |
| Abtreibungen in Polen unsicherer werden. Sie sind nicht Teil der | |
| medizinischen Ausbildung, Ärztinnen und Ärzte haben wenig Übung und kennen | |
| die modernen Methoden nicht. Selbst feministische Kreise sind nicht frei | |
| von diesem Stigma. | |
| Inwiefern? | |
| Wir vom Abortion Dream Team gelten selbst unter Feministinnen als radikal. | |
| Wir benutzen helle und bunte Farben und sagen: Abtreibungen sind okay. Ihr | |
| alle kennt und liebt Menschen, die abgetrieben haben. Der feministische | |
| Mainstream fordert zwar, dass Abtreibungen legal sein müssen – sagt aber | |
| trotzdem, dass sie etwas ganz Schlimmes sind. So haben wir früher auch | |
| gedacht. Aber heute sagen wir: Abtreibungen sind etwas Normales, es wird | |
| sie immer geben. | |
| Würde ein liberalerer Zugang zu Sexualität helfen, Abtreibungen zu | |
| verhindern? | |
| Sicher. Wenn die [6][sexuelle Aufklärung besser wäre] und wenn es einen | |
| besseren Zugang zu Verhütungsmitteln gäbe, dann gäbe es weniger ungewollte | |
| Schwangerschaften. Aber eben nicht keine. Jede Verhütung kann scheitern. | |
| Abtreibungen sind Teil unseres Lebens als sexuelle Wesen, wir müssen offen | |
| darüber sprechen. Und deswegen müssen sie nicht nur legalisiert werden, | |
| sondern es sollte gar keine eigenen Gesetze dafür geben. So, wie es für | |
| andere medizinische Versorgungsangebote ja auch ist. | |
| 12 Dec 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://abortion.eu/ | |
| [2] https://www.facebook.com/ciociabasiaberlin/ | |
| [3] https://www.facebook.com/aborcyjnydreamteam/ | |
| [4] https://www.asn.org.uk/ | |
| [5] /Demo-zu-Abtreibungsrecht-in-Polen/!5493643 | |
| [6] /Sexualaufklaerung-in-Polen/!5633765 | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
| ## TAGS | |
| sexuelle Selbstbestimmung | |
| Schwerpunkt Abtreibung | |
| Polen | |
| Lebensschützer | |
| IG | |
| Polen | |
| Schwerpunkt Abtreibung | |
| Schwerpunkt Paragraf 219a | |
| Polen | |
| Feminismus | |
| Polen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Protest gegen Polens Abtreibungsgesetz: Karolina Więckiewicz gibt nicht auf | |
| Die Anwältin hilft ungewollt Schwangeren in Polen, einen Abbruch zu | |
| bekommen. Von der Gesetzesverschärfung lässt sie sich nicht entmutigen. | |
| Streit über Abtreibungsverbot in Polen: Für die Tonne | |
| Ausgerechnet jetzt wird wieder über das Abtreibungsrecht debattiert. | |
| Präsident Duda könnte das Stimmen kosten. | |
| Ärztin über Schwangerschaftsabbrüche: „Aufklärung wirkt“ | |
| Eine Studie zeigt, dass Deutsche Abtreibungen früher offener | |
| gegenüberstanden als heute. Das liegt auch am Stigma, mit dem diese belegt | |
| sind. | |
| Sascha Lobo über den Paragrafen 219a: „Ich glaube an My body, my choice“ | |
| Der Autor und Blogger Sascha Lobo engagiert sich im Kampf gegen den | |
| Paragrafen 219a. Ein Gespräch über feministische Kämpfe und männliche | |
| Solidarität. | |
| Sexualaufklärung in Polen: Fünf Jahre Haft für Mut | |
| In Polen machen rechtsklerikale Organisationen Front gegen Aufklärung in | |
| der Schule. Lehrer wagen kaum noch, ehrlich über Sex zu sprechen. | |
| Kommentar Referendum in Irland: Ein Kampf für die Freiheit aller | |
| Der Kampf für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ist nicht nur einer für | |
| ungewollt Schwangere – sondern einer für die Freiheit aller. | |
| Demo zu Abtreibungsrecht in Polen: „Noch ist die Polin nicht verloren!“ | |
| Knapp 200.000 Frauen demonstrieren in Warschau gegen eine geplante | |
| Verschärfung des Abtreibungsrechts. Das ist ohnehin schon restriktiv genug. |