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# taz.de -- Antidiskriminierungsgesetz für Berlin: Behörden im Spotlight
> Berlin will als erstes Bundesland ein Antidiskriminierungsgesetz
> einführen, das Klagen gegen Behörden ermöglicht.
Bild: Die Idylle trügt: People of Color klagen über anlasslose Polizeikontrol…
Was für Angehörige der Mehrheitsgesellschaft kaum vorstellbar klingt, ist
für viele ganz normal: Wer männlich und jung ist und zudem eine dunkle
Hautfarbe hat, wird besonders häufig von der Polizei kontrolliert, wer
einen „fremdländischen“ Namen trägt, muss damit rechnen, auf Ämtern
schikaniert oder schlechter behandelt zu werden.
Kurz: Dass Menschen aufgrund bestimmter Merkmale anders – in der Regel:
schlechter – behandelt werden als andere, ist Alltag in Berliner Behörden.
Betroffenenorganisationen wie der Migrationsrat, Reachout und das
Antidiskriminierungsnetzwerks (ADNB) des Türkischen Bundes
Berlin-Brandenburg fordern daher schon lange, dass die Politik aktiv werden
muss. Zumal diese Realität dem Gleichbehandlungsgrundsatz und
Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes widerspricht.
Auch Rot-Rot-Grün hat sich ein [1][Landes-Antidiskriminierungsgesetz (kurz:
LADG)] im Koalitionsvertrag vorgenommen, zum Jahresende sollte es
eigentlich kommen. „Aber leider gibt es weiterhin Gesprächsbedarf bei den
Koalitionspartnern“, sagte der grüne Abgeordnete Sebastian Walter am
Dienstag der taz. Unter anderem gehe es um die Befürchtung, dass die
Polizei mit Klagen überzogen wird – dazu unten mehr.
Im Kern ist das LADG eine Erweiterung des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), das 2006 als Bundesgesetz eingeführt
wurde: Dieses verbietet Diskriminierung im privat- und arbeitsrechtlichen
Bereich, das LADG weitet das auf staatliches Handeln aus.
Damit ist Berlin bundesweit Vorreiter, diesbezügliche EU-Richtlinien harren
in Deutschland seit Jahren der Umsetzung. Verboten wird Behörden, aber auch
staatlichen Schulen und Kitas, eine Diskriminierung nach Herkunft,
Hautfarbe, Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter, sexuelle Identität,
die auch schon das AGG abdeckt. Darüber hinaus nennt der im Sommer
vorgestellte Entwurf von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) weitere
Merkmale: auch aufgrund fehlender Sprachkenntnisse, einer chronischen
Krankheit oder des „sozialen Status“ (also Einkommen, Bildungsabschluss,
Beruf) darf man nicht diskriminiert werden.
## Neu ist ein Verbandsklagerecht
Wie beim AGG haben Betroffene Ansprüche auf Schadensersatz und
Entschädigung. Neu ist hingegen die Möglichkeit zum Verbandsklagerecht
sowie eine Ombudsstelle, an die sich Betroffene wenden können, um eine
Einigung zu erzielen.
Die Verbände, in deren Beratungsstellen quasi täglich Betroffene
vorsprechen, sind voll des Lobes. Mit dem Gesetz könnten sich Menschen
„erstmals effektiv gegen rassistische und andere diskriminierende Vorfälle
in Ämtern, Behörden und so weiter zur Wehr setzen“, erklärte Céline Barry
vom Vorstand des Migrationsrats bei einer Pressekonferenz am Dienstag, dem
Internationalen Tag der Menschenrechte.
Das Datum hatten die Organisationen bewusst gewählt, um eine Lanze für das
LADG zu brechen. „Es geht ja genau darum: um die praktische Wahrnehmung von
Menschenrechten“, sagte Lino Agbalaka vom Migrationsrat. Das sei nicht nur
im Interesse von Minderheiten: Die ganze Gesellschaft profitiere davon,
wenn jeder sicher sein könne, gleich behandelt zu werden.
Dennoch stand das Gesetz in den letzten Monaten von verschiedenen Seiten
unter Beschuss. Die SPD-geführte Bildungsverwaltung befürchtete laut
Medienberichten negative Folgen für das [2][Neutralitätsgesetz, das
Lehrkräften das sichtbare Tragen religiöser Symbole verbietet]. Die CDU
wiederum beschwor die Gefahr eines „Bürokratie- und
Rechtsverfolgungsmonsters“. Und die Polizeigewerkschaft warnte, der
Verwaltungsaufwand aufgrund der zu erwartenden Klagewelle werde zu viele
Kräfte binden, zudem mache die „Beweislastumkehr“ polizeiliche Arbeit quasi
unmöglich.
## Wie beweist man Diskriminierung?
Diesen „Fehlinformationen und verkürzten Darstellungen“ traten der
Migrationsrat und andere Organisationen am Dienstag entschieden entgegen.
Zum Neutralitätsgesetz sagte Kerstin Kühn vom ADNB, das LADG besage
explizit, dass dies nicht vom neuen Gesetz betroffen sei, was sie durchaus
bedauere: „Das Neutralitätsgesetz sollte abgeschafft werden.“
Es gebe im LADG auch keine Beweislastumkehr, sondern lediglich – wie schon
im AGG – eine „Beweiserleichterung“, erklärte Eva Maria Andrades vom
Antidiskriminierungsverband Deutschland. „Und die ist auch wichtig, sonst
ist der Nachweis einer Diskriminierung quasi unmöglich.“
Beweiserleichterung bedeute, dass man als Kläger „Indizien glaubhaft machen
muss, die eine Diskriminierung wahrscheinlich machen“.
Was das konkret verändern könnte, machte Agbalaka anhand einer Situation
deutlich, die er selbst als Person of Colour wiederholt erlebt hat: [3][im
Görlitzer Park]. Wie Hunderte andere habe er dort schon oft gesessen, aber
wenn die Polizei kam, habe sie ihn als Einzigen kontrolliert. „Bislang war
ich allein mit meiner Wut“, so Agbalaka, jetzt könnte er zur Ombudsstelle
gehen – oder notfalls dagegen klagen.
Die Polizei müsse dann vor Gericht konkret darlegen, wieso sie gerade ihn
kontrolliert habe. „Es ist keine Schikane, sondern eine
Selbstverständlichkeit, dass die Polizei transparent macht und
dokumentiert, was sie tut“, ergänzte Andrades. Auch die Befürchtung, es
werde zu einer „Klagewelle“ kommen, halten die Organisationen für
unbegründet. Beim AGG hätten Kritiker das auch orakelt, es sei aber nicht
so gekommen, sagte Kühn, weil der Nachweis von Diskriminierung weiterhin
schwierig sei. Zudem hätten die Verbände zu geringe Mittel, um viele Klagen
zu betreiben.
Dabei wäre eine Klagewelle gar nicht schlecht, sagte Biplab Basu von
Reachout. Sie bedeute, „dass die Menschen ihr Schicksal in die Hand nehmen.
Das ist doch gut für die Demokratie!“
12 Dec 2019
## LINKS
[1] /Landesantidiskriminierungsgesetz/!5509541&s=ladg/
[2] /Berliner-Neutralitaetsgesetz/!5621450&s=neutralit%C3%A4tsgesetz/
[3] /Drogenhandel-in-Kreuzberg/!5633157&s=g%C3%B6rlitzer+park/
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
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