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# taz.de -- Berliner Antidiskriminierungsgesetz: Überwiegend wahrscheinlich
> Anstatt ein Gesetz zu erlassen, das kaum etwas ändert, sollte der Senat
> bestehende Benachteiligungen angehen.
Bild: Frankfurt: Solidarität mit den Anti-Rassismus-Protesten in den USA
Alle netten Leute sind derzeit gegen Rassismus, vor allem gegen Rassismus
in den USA. Kostet ja nichts und macht einen schlanken Fuß. Auch der
rot-rot-grüne Senat in Berlin ist total gegen systematische Benachteiligung
jeder Art. Da passt es gut, dass das Abgeordnetenhaus gerade ein
Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet hat, das erste seiner Art in
Deutschland. Es ist allerdings heftig umstritten – Kritiker sprechen von
einer Umkehr der Beweislast.
Gemach. Im Alltag wird sich durch die neue Regelung vermutlich wenig
ändern. Wahr ist, dass künftig Amtsträger beweisen müssen, nicht
diskriminiert zu haben, wenn sich jemand als Opfer sieht. Aber Vorwürfe
müssen „überwiegend wahrscheinlich“, also plausibel sein. Das lässt
Gerichten jede Menge Spielraum für Interpretation. Ich wage mal die
Prognose: Zu einer Klagewelle oder gar einer Vielzahl von Verurteilungen
wird es nicht kommen.
## Polizei auf den Zinnen
Trotzdem ist die Polizei auf den Zinnen. Gewerkschafter drohen damit, sich
dagegen zu wehren, wenn demnächst – beispielsweise bei Staatsbesuchen oder
Fußballspielen – Einheiten aus anderen Bundesländern von Berlin zur
Unterstützung angefordert werden. Sie sehen in dem neuen Gesetz einen
„Freifahrtschein“ für ungerechtfertigte Vorwürfe gegen brave Beamte.
Dabei brauchen sie sich wirklich keine Sorgen zu machen. Wenn’s konkret
wird, diskriminiert Berlin nicht weniger, sondern mehr als andere
Bundesländer. Beispiel: Wer einen visumspflichtigen Gast aus dem Ausland
einladen möchte, benötigt dafür den [1][Nachweis], selbst privat oder
freiwillig gesetzlich krankenversichert zu sein. Anders ausgedrückt:
Durchschnittsverdiener brauchen dem Amt gar nicht erst mit dem Wunsch zu
kommen, eine Araberin oder einen Afrikaner einladen zu können. Das dürfen
nur die höheren Stände.
Wohl denen, die in Köln, Hamburg oder München leben. Die können Besuch
nämlich auch als Normalverdiener empfangen. Die Regelung ist eine Berliner
Spezialität. Verpflichtungserklärung mit Schuss, sozusagen.
Übrigens kommen selbstverständlich weder gesetzliche noch private
Krankenversicherungen für Kosten auf, die entstehen, wenn Gäste aus dem
Ausland krank werden. Dafür bedarf es einer Reisekrankenversicherung. Wie
überall auf der Welt.
Was also ist der Sinn dieser Regelung? Na, was wohl. Das total
antirassistische Berlin möchte es Gästen aus Afrika und arabischen Ländern
nicht zu leicht machen. Ich weiß, wovon ich rede. Wir haben letztes Jahr
einen 17-jährigen Kenianer über Weihnachten eingeladen.
Einen jungen (!) Mann (!!) aus Afrika (!!!). Absurd. Der konnte doch nur
Terrorist sein oder zumindest Asylbewerber. Die Bemühungen um ein Visum
dauerten Monate, schließlich wurde es in Nairobi am 23. Dezember von einem
Kurier der Botschaft über den Gartenzaun geworfen. Da hatten wir für
ziemlich viel Geld den ursprünglichen Flug längst auf den letztmöglichen
Termin umgebucht. Übrigens, liebe Berliner Verwaltung, nur zur Beruhigung:
Unser Gast ist – Überraschung! – zurückgekehrt nach Afrika. Er möchte
nämlich in diesem Jahr lieber in Kenia sein Abitur machen, als im
gastfreundlichen Berlin zu verweilen.
Ich bin die wohlfeilen Lippenbekenntnisse der Landesregierung in Berlin zum
Thema Rassismus so leid. Wenn es ihr ernst wäre, dann würde sie erst einmal
bestehende Gesetze und Verordnungen auf Diskriminierung hin überprüfen,
bevor sie vollmundig ein neues, vorhersehbar folgenloses Gesetz durchsetzt.
Aber es ist ihr eben offenbar nicht ernst.
7 Jun 2020
## LINKS
[1] https://service.berlin.de/dienstleistung/120691/
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Kolumne Macht
Diskriminierung
Berliner Senat
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AGG
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