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# taz.de -- „Internationale“ beim SPD-Parteitag: Rechter Kontertenor
> Da stimmt SPD die „Internationale“ an. Das heißt aber nicht, dass gleich
> das Abendland untergeht, sondern nur, dass grad viele Jusos im Saal
> waren.
Bild: Keine Revolution: Esken und Walter-Borjans halten die Hände, statt die F…
Wer hätte das gedacht: Die trutschige deutsche Sozialdemokratie ist wieder
in der Lage, Erregungsstürme auszulösen! Jetzt haben es die Delegierten auf
dem SPD-Bundesparteitag doch tatsächlich gewagt, die „Internationale“ zu
singen. Was für ein Skandal!
Als hätte nicht schon die Entscheidung der Parteibasis zugunsten von
Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken ausgereicht, um die Contenance zu
verlieren. Bereits das Votum für „die beiden SPD-Querulanten“ (Neue
Osnabrücker Zeitung) sorgte für einen Wust an empörten Schlagzeilen. Das
kommt davon, wenn die Mitglieder unverschämterweise nicht das wählen, was
nicht nur das Parteiestablishment, sondern auch der Großteil der
Hauptstadtjournalist:innen erhofft und erwartet hatte.
Wie [1][die neuen SPD-Vorsitzenden zu revolutionären Umstürzlern
hochstilisiert] wurden, trug mehr als absurde Züge. Esken hat mit Rosa
Luxemburg nun wirklich gar nichts gemein. Und das Vorbild von
Walter-Borjans ist nicht Karl Liebknecht – sondern Johannes Rau. Dessen
Motto war „Versöhnen statt spalten“. Nachdem sich der SPD-Parteitag vom
Wochenende [2][wenig überraschend gegen ein baldiges Ende der Großen
Koalition ausgesprochen] hat, könnte also nun auch im Politfeuilleton der
Republik eigentlich wieder etwas Gelassenheit eintreten.
Wenn die Delegierten nur nicht die „Internationale“ gesungen hätten! Denn
die sei, so klärt der rechtsgestrickte Publizist Roland Tichy auf, „das
mörderische Kampflied der Sozialisten“ – was genauso unsinnig ist wie die
Behauptung des früheren Wirtschaftswoche-Chefredakteurs, die SPD habe das
Lied zum Abschluss ihres Parteitags am Sonntag zum Besten gegeben. Da wurde
nämlich ein anderes traditionsreiches Arbeiterlied gesungen: „Brüder, zur
Sonne, zur Freiheit“.
## Sympathische Unterschiede
Die „Internationale“ wurde hingegen nur auf dem Parteiabend am Samstag
intoniert – und zwar vor allem von den zahlreich erschienenen
Jungsozialist:innen. Die kennen in der Regel den Text, weil sie das Lied
stets zum Abschluss ihrer Bundeskongresse singen. Das haben die Jusos mit
der Linkspartei gemeinsam. Warum auch nicht? Während die Union und die AfD
auf ihren Parteitagen das „Lied der Deutschen“ anstimmen, singen sie: „Die
Internationale erkämpft das Menschenrecht.“ Ein sympathischer Unterschied.
Die „Internationale“ ist DAS Lied der Arbeiterbewegung – entstanden lange
vor ihrer historischen Spaltung im Ersten Weltkrieg. Den französischen
Originaltext verfasste der Transportarbeiter und Dichter Eugène Edine
Pottier nach der blutigen Niederschlagung der Pariser Kommune 1871, die
bekannteste deutsche Fassung hat der Bierbrauer und Gewerkschafter Emil
Konrad Luckhardt 1910 geschrieben. Es ist der Ruf zum selbstbestimmten
Kampf für ein besseres Leben: „Es rettet uns kein höh’res Wesen / kein
Gott, kein Kaiser noch Tribun / Uns aus dem Elend zu erlösen / können wir
nur selber tun!“
Die „Internationale“ hat es nie zur SPD-Parteihymne geschafft. „Brüder, …
Sonne, zur Freiheit“ und vor allem „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“
standen stets höher im Kurs. Ende der 1980er Jahre beauftragte die damalige
Parteiführung den Musikproduzenten Diether Dehm, eine neue Hymne zu
schreiben. Heraus kam eine Neufassung seines Schlagers „Das weiche Wasser“.
Darin verwurstete Dehm, der heute für die Linkspartei im Bundestag sitzt,
auch eine Zeile aus der „Internationalen“: „Wir sind die stärkste der
Partei'n“. Er fügte hinzu: „und sind wir schwach und sind wir klein“. Das
gefiel den Genoss:innen dann doch nicht so gut.
Und noch ein heutiger Linksparteiler bediente sich in seiner
sozialdemokratischen Zeit der „Internationale“. Die SPD habe „nicht in
erster Linie immer Nationalhymnen gesungen“, tönte Oskar Lafontaine auf dem
legendären Mannheimer Parteitag 1995, „nein, es gab die ‚Internationale‘,
und die hieß eben: Alle Menschen werden Brüder!“ Die Zeile stammt jedoch
von Friedrich Schiller. Den großen Jubel auf dem Parteitag schmälerte das
nicht.
9 Dec 2019
## LINKS
[1] /SPD-waehlt-Vorsitzende/!5644621
[2] /Reaktionen-auf-den-SPD-Parteitag/!5648138
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
SPD-Parteitag
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Arbeiterbewegung
Saskia Esken
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