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# taz.de -- SPD vor Führungswechsel: Was die SPD richtig macht
> Mit der Wahl ihrer neuen Spitze leitet die SPD eine Wende ein: zu einer
> Politik, die Ökologie und soziale Gerechtigkeit mit Vernunft verbindet.
Bild: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken beim Parteikongress
Die SPD macht gerade einen großen Schritt, um das politische System der
Bundesrepublik zu retten. Die Wende hin zu einer Politik, die Ökologie und
soziale Gerechtigkeit mit Alltagsvernunft verbindet, ist nötig. Und diese
Wende hat mit der Wahl der linken Spitze begonnen.
Die gemütlichen Zeiten, als Angela Merkel die Widrigkeiten der Welt
fernzuhalten schien und Politik als eine Art gute Verwaltung unter
Berücksichtigung von Meinungsumfragen erschien, sind vorbei. Olaf Scholz
verkörpert genau den Typus des rechtschaffenen Technokraten, mittig und
lösungsorientiert – und unfähig, nur ein Jota politische Leidenschaft zu
wecken. Wir erleben eine Wiederbelebung des Politischen – von rechts mit
aggressivem Nationalismus, von links mit Fridays for Future. Die SPD wird
zwischen den neuen Antipoden AfD und Grünen langsam zerrieben – jedenfalls
wenn sie der Flügel einer Koalition ist, die viele als Staatspartei
wahrnehmen.
Nur wenn die SPD einen modernen, aber entschlossenen linken Etatismus
forciert und die Union sich auf ihre konservativen und wirtschaftsliberalen
Wurzeln besinnt, kann die klassische politische Mitte überleben. Die Große
Koalition plus Merkels freundliche Umarmungen hingegen beschleunigen den
gemeinsamen [1][Abstieg der Volksparteien.]
Die SPD-Basis hat dafür genau das richtige Gespür gehabt und Saskia Esken
und Norbert Walter-Borjans gewählt. Die meisten Leitmedien kleben indes
gedankenfaul noch im Merkelismus fest und tun gerade so, als hätten
linksradikale Nichtskönner sich in der SPD an die Macht geputscht. In einer
Talkshow wurde die designierte SPD-Chefin Esken behandelt wie eine
Reinigungskraft, die sich in den Yachtclub verlaufen hat. Mögen solche
Arroganzgesten auf den Autor selbst zurückfallen.
## Eine Chance auf politische Wiederbelebung
Nun ist diese Führung in der Tat etwas zufällig nach oben gespült worden.
Jeremy Corbyn (anders als Norbert Walter-Borjans Sozialist) konnte sich
anfangs auf die Momentum-Basisbewegung stützen. Bernie Sanders mobilisierte
die weiße akademische Jugend. Esken und Walter-Borjans haben das
Parteiestablishment gegen sich – aber nur die Jusos und ein paar
Bürgermeister im Ruhrgebiet auf ihrer Seite. Zudem gilt in der SPD: Eine
Führung wegmobben geht immer.
Aber mit Esken, einer süddeutschen linken Sozialdemokratin, und
Walter-Borjans, einem soliden Keynesianer, hat die SPD zumindest die Chance
auf politische Wiederbelebung. Man kann hoffen, dass diese Spitze nicht
mehr ängstlich bei jedem unfreundlichen Kommentar in konservativen Medien
zusammenzuckt, und jedem Konflikt mit den Machteliten aus dem Weg geht.
Das Programm der neuen Führung ist traditionell linkssozialdemokratisch:
mehr staatliche Investitionen in Infrastruktur, Schluss mit der schwarzen
Null, endlich brauchbare digitale Infrastruktur und entschlossenen
Klimaschutz. Das ist nicht sonderlich originell. Aber es passt derzeit auch
in die Welt jenseits von SPD-Ortsvereinen. Auch neoliberale Ökonomen halten
die Schuldenbremse für hinderlich, und einzelne CDU-Ministerpräsidenten
fordern einen höheren CO2-Preis.
Mit der Union ist eine ökosoziale Politik nicht zu machen. Dass Esken und
Walter-Borjans jetzt von ihren Forderungen Richtung Union – 12 Euro
Mindestlohn sofort und einen höheren CO2 Preis – abrücken, wirkt unsouverän
und hasenfüßig. Erst [2][viel fordern, dann wachsweich] werden, das sieht
nie gut aus. Und dennoch ist es momentan realpolitisch nötig. Die SPD ist
für Neuwahlen nicht gerüstet. Sie hat keinen brauchbaren Kanzlerkandidaten
und hätte zudem den Malus, aus internen Gründen Neuwahlen provoziert zu
haben. Vor allem aber würde sie konfus in einen Wahlkampf taumeln. Denn das
Ende der schwarzen Null, ein wirksamerer Klimaschutz und eine entschlossene
Umverteilungspolitik sind ja nicht bloß mit der Union nicht zu machen – die
Sozialdemokratie selbst ist in diesen Schlüsselfragen gespalten.
Die SPD funktioniert nach innen noch immer wie eine Volkspartei mit einem
komplexen System von Kompromissbildungen. Sie ähnelt noch immer einem
Tanker, ungeeignet für jähe Wendemanöver. Ob die Groko bald oder in
eineinhalb Jahren endet, ist eine taktische Frage. Strategisch entscheidend
ist, ob es dem neuen Duo gelingen wird, die SPD auf einen realpolitischen
Linkskurs zu bringen.
Braucht Deutschland überhaupt eine linkere SPD? Würde damit Grün-Rot-Rot
nicht strukturell unfähig, Mehrheiten zu bekommen – weil SPD und
Linkspartei im gleichen Teich fischen und die Mitte verloren geht? Das ist
zu mechanisch gedacht. Vor allem im Westen der Republik gibt es eine
Klientel, die vielleicht zu einer sozialeren SPD zurückkehren, aber doch
niemals Linkspartei wählen würde. Beim Schulz-Hype Anfang 2017 flogen der
SPD unverhofft Sympathien von allen Seiten zu. Der kurze Aufstieg in den
Umfragen auf 30 Prozent verdankte sich weniger WählerInnen der Grünen und
der Linkspartei als vielmehr Anhängern von AfD, Union und Nichtwählern.
Die neue Führung der SPD muss ein dreifaches Kunststück aufführen. Sie muss
die Partei wieder sichtbar machen, die in all den Regierungsjahren zum
bloßen Akklamationsinstrument von Fraktion und Ministerialbürokratie in
Berlin verkommen ist. Diese Idee hatte die SPD 2017 schon mal, als Andrea
Nahles nicht Ministerin wurde, um als Parteichefin mehr Freiheiten zu
haben. Der Versuch scheiterte kläglich: Nahles war im Hauptberuf
Fraktions-, und Parteichefin nur nebenbei.
Dass Esken und Walter-Borjans den Pragmatikern in der Groko-Frage
nachgeben, ist richtig. Gleichzeitig müssen sie die SPD nach links rücken.
Das wird ein kompliziertes Manöver. Die SPD schwankt dabei und ist
absturzgefährdet. Aber das Neue entsteht selten gradlinig, klar und
eindeutig.
6 Dec 2019
## LINKS
[1] /Krise-der-Volksparteien/!5638534
[2] /SPD-und-neue-Vorsitzende/!5643841
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Norbert Walter-Borjans
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Schwerpunkt Artenschutz
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Energiewende
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