# taz.de -- Kurs der neuen SPD-Vorsitzenden: Die gezähmten Tiger | |
> Die SPD-Spitze muss der Union beim Mindestlohn mehr Druck machen. Sonst | |
> entsteht der Eindruck, dass sie sich das Fell über die Ohren ziehen | |
> lässt. | |
Bild: Bisher nur Trippelschritte statt dem großen Wurf | |
Die neuen SPD-Vorsitzenden wirken wie gezähmte Tiger. Wer dachte, Saskia | |
Esken und Norbert Walter-Borjans würden in der Großen Koalition beinhart | |
ihre Forderungen durchboxen, wird enttäuscht. Obwohl ein [1][SPD-Parteitag | |
im Dezember Nachverhandlungen beschloss], handeln beide bisher moderat und | |
pragmatisch. Das ist keine Überraschung, aber für Esken und Walter-Borjans | |
könnte das auf Dauer zum Problem werden. | |
Der Koalitionsausschuss, bei dem die zwei mit am Tisch saßen, beschloss nur | |
Trippelschritte. Ein paar Verbesserungen bei der Kurzarbeit hier, ein paar | |
Qualifizierungsmöglichkeiten da: All das ist gut und schön, aber keine | |
entschiedene Linkswende. | |
Ein Mindestlohn von 12 Euro? „Nach der Evaluation des Mindestlohngesetzes | |
werden wir deren Ergebnis in der Koalition beraten“, heißt es im Beschluss. | |
Unverbindlicher geht es kaum. Die Evaluation des Mindestlohns ist eh für | |
2020 geplant, „beraten“ kann alles heißen – und nichts. Das Ziel der SPD, | |
die 12 Euro möglichst schnell durchzusetzen, scheint so weit weg wie eh und | |
je. | |
Ähnlich sieht es bei dem zweiten Vorhaben der SPD-Spitze aus. Esken und | |
Walter-Borjans warben bei der Bewerbungstour für den SPD-Vorsitz für ein | |
massives Investitionsprogramm, wissend, dass sie Industrie und | |
Gewerkschaften hinter sich haben. Der BDI und der DGB fordern bis 2030 | |
frische 450 Milliarden Euro für Infrastruktur und Bildung. Auch davon ist | |
im Groko-Beschluss keine Rede. | |
## Fortschreiben des Status Quo | |
Stattdessen wird der Status Quo verstetigt. Die Koalition beabsichtige, das | |
Niveau der Investitionen mindestens auf dem Stand des Jahres 2020 | |
fortzuschreiben, heißt es. Außerdem werde sie „neue Investitionsbedarfe | |
identifizieren“. Selbst bei wohlwollendster Betrachtung kann man das nicht | |
als Einstieg in eine Investitionsoffensive deuten – auch wenn eine | |
Arbeitsgruppe nun Vorschläge bis zum nächsten Koalitionsausschuss | |
unterbreiten soll. | |
Außer Spesen nix gewesen? Diese Schablone wäre für die neue SPD-Spitze zu | |
schlicht. Esken und Walter-Borjans haben früh deutlich gemacht, dass ein | |
radikaler Bruch mit der Groko kontraproduktiv wäre. Damit haben sie Recht. | |
Die SPD hat im Falle von Neuwahlen viel zu verlieren und wenig zu gewinnen. | |
Sowieso folgen Parteitage einer anderen Logik als Regierungshandeln. Es ist | |
nichts Verwerfliches, das zu verstehen und umzusetzen. | |
Aber ihr pragmatischer Kurs stellt Esken und Walter-Borjans auch vor | |
Probleme. Viele in der SPD-Basis und -Wählerschaft versprechen sich von | |
ihnen einen echten Kurswechsel. Die beiden werden ihn in der komplexen | |
Gemengelage nicht liefern können, aber ein bisschen mehr Mut wäre | |
angebracht. Die SPD-Spitze kann die Union an manchen Punkten zur Bewegung | |
zwingen, einfach, indem sie sie mit der Wirklichkeit konfrontiert. | |
Beispiel Mindestlohn: [2][80 Prozent der BürgerInnen sind laut Umfragen für | |
die Erhöhung auf 12 Euro], also auch viele CDU-WählerInnen. Und in der CDU | |
ist der Diskurs längst angekommen. Ihr Arbeitnehmerflügel wirbt für eine | |
satte Erhöhung, wäre also ein Verbündeter für die SPD. Und der letzte | |
CDU-Parteitag hat bereits beschlossen, dass die Mindestlohn-Kommission mehr | |
Spielraum für Erhöhungen braucht. Der Boden wäre also bereitet, aus Sicht | |
der Union ist der Mindestlohn ein sehr unbequemes Wahlkampfthema. | |
Die SPD-Spitze muss der Union mit solchen Argumenten mehr Druck machen. | |
Sonst entsteht der Eindruck, dass sich die vermeintlichen Tiger das Fell | |
über die Ohren ziehen lassen. | |
30 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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