# taz.de -- US-Produzent Galcher Lustwerk: Engel in Arbeitskluft | |
> Rappen auf dem Dancefloor: Beim US-Houseproduzenten Galcher Lustwerk | |
> gehen neue Pforten auf. Das beweist sein Album „Information“. | |
Bild: Lichts ins Dunkel: Galcher Lustwerk ersinnt neue Reime | |
Wenn die Jalousien unten sind, wirft Galcher Lustwerk seine Musik an. Die | |
Augen halb geschlossen, atmet er durch, schaltet das Mikro ein. Beim | |
Zuhören poppen sofort Gedanken auf, ungeordnete zunächst, die der | |
US-Produzent mit sonorer Stimme sprechsingt, sie laufen frei, ergeben Sinn, | |
weil sie zu Musik werden. Galchers Stimme klingt angestrengt cool. Oder | |
gespenstisch cool, eine Coolness, die auch Schutz sucht. Ängstlich cool, | |
ärgerlich cool. Alle Krankenkassen sind cool. | |
Manchmal gelingt Galcher die Coolness mit Wortwiederholungen und | |
Alliterationen, dann auch mit dem Trick, am Anfang eine Silbe zu dehnen | |
oder am Schluss ein Wort zu betonen. Zum Wundern schön klingt das. Beim | |
Abschweifen sind es immer Kadenzen, die im Zusammenspiel mit dem Puls | |
seines pumpenden elektronischen Dancefloorsounds den Flow seiner Musik | |
ergeben, so wird sie selbst in somnambulsten Momenten transparent, | |
beflügelnd, tritt der Vereinzelung auf dem Dancefloor mit Wonne entgegen. | |
Und Wonne ist auch das Stichwort für den assoziativen Künstlernamen Galcher | |
Lustwerk: Kultur? Sex! Kraftwerk?! Das Maschinelle kommt bei ihm auf jeden | |
Fall ins Stottern und den Gesang hat er niedrig dosiert, es geht nicht ums | |
Zutexten, erhebt er die Stimme, was ihm manchmal hörbar schwerfällt, | |
spricht er von Vergnügen, Verschwendung, Verdruss, Verlust. Und von Engeln | |
in Arbeitskluft. „Angel / Angel / Ever seen an Angel / Touched by an Angel | |
/ Do it like an Angel / Always knew there was Angels / You could wear the | |
same clothes / Be in the Club / Go to Work in the same clothes / | |
Competitors don’t know / Competitors running in circles with no show / Show | |
up and take the Dough.“ | |
## Innerer Monolog | |
„Cig Angel“, Zigarettenengel, heißt der Track, der auf dem neuen, schlicht | |
„Information“ betitelten Album des US-Produzenten enthalten ist. Es einer | |
dieser Galcher-Tracks, die mehr als einen Gemütszustand ausdrücken. Die | |
Assoziationen verblüffen immer aufs Neue, wie bei einer Lampe, die je nach | |
Tageslicht anders leuchtet. Gibt es Schutzengel? Und wenn, ja, warum | |
tummeln sie sich in Arbeitskluft auf dem Dancefloor? „Das ist eine Art | |
innerer Monolog“, erklärt Galcher der taz. „Ich kommuniziere nicht direkt | |
mit den Leuten, eher versuche ich, mich ihnen auf einer unbewussten Ebene | |
anzunähern. Nach außen hin mach ich zu, konzentriere mich auf die Musik und | |
spreche aus, was mir gerade durch den Kopf geht. Logo, ich mag Rap und | |
lasse die Worte wie Reime klingen, Slang fließt definitiv mit ein, aber ich | |
überführe den Storytelling-Aspekt von HipHop auf den Dancefloor. Angeberei | |
passt da nicht.“ | |
Bekannt wurde der 32-jährige Galcher Lustwerk, der seinen bürgerlichen | |
Namen geheim hält, 2013. Da machte sein Mixtape „100%Galcher“ die Runde. | |
Neben der sonoren Stimme fielen dabei sofort die Hallfahnen der Synthesizer | |
auf, die wie einsame Glocken und nervige Wecker bimmeln, blitzartig zucken, | |
die Reime auf Trab halten und natürlich die 808 Drummachine, die Galcher | |
Lustwerk eher sachte programmiert, Stampede auf Samtpfoten. Auch für die | |
zwölf Tracks von „Information“ hat Galcher Lustwerk aus dieser Klangpalette | |
wieder ein Kondensat gemacht. | |
2013 war er noch Teil der Posse um das Label White Material, „Working Man’s | |
Techno“ steht auf ihren Maxisingles. Der Handwerksaspekt ist betont. White | |
Material waren neben Galcher Lustwerk vier weitere Produzenten, die sich | |
alle an der Rhode Island School of Design kennengelernt haben und ihre | |
unterschiedlichen Vorlieben und Musiksozialisationen gewinnbringend | |
zusammengeführt haben. Nach acht Platten legen sie das Projekt 2018 wieder | |
auf Eis, jeder der fünf kommt nun allein klar. Man tauscht sich weiter aus, | |
bleibt in Verbindung. | |
Inzwischen lebt Galcher Lustwerk in Queens, dem Blue-Collar-Bezirk von New | |
York. Ursprünglich stammt er aus Cleveland, einer Hafenstadt am Lake Erie | |
im Rustbelt des Mittleren Westens, die ihn geprägt hat. „Da ist nicht viel | |
geboten. Das Kulturleben beschränkt sich auf ein paar Museen, die man ein-, | |
zweimal im Leben besucht. Die einzige Mainstream-Unterhaltung bietet Sport. | |
Ansonsten ist Cleveland eine entvölkerte, deprimierende Großstadt und sie | |
bringt einen auf bittersüße Ideen. Ich bin in einem schläfrigen | |
Hippieviertel aufgewachsen, die Leute verbringen viel Zeit zu Hause und | |
entwickeln teils wunderliche Ideen, aber auch großartige abgedrehte Musik.“ | |
Auf „Information“ hat Galcher Lustwerk erstmals analoge Drums eingebaut, | |
„weil ich es ein bisschen softer, aber trotzdem kraftvoll haben wollte. | |
Statt der fetten Bassdrum funzt jetzt der Bass stärker, plötzlich war mehr | |
Raum für Experimente.“ Zum Tragen kommt das etwa in dem Track „Fathomless | |
Irie“, der von einem Elektrobeat angeschoben wird und eine melancholische | |
Industriestadt-Atmosphäre transportiert. Bis sich das Echo von Galchers | |
Stimme wie Bodennebel über den Sound legt. Er wiederholt lediglich „I’ve | |
never been to Africa“. „Anfangs war das eine Metapher dafür, nach Hause zu | |
gehen, wie auf den alten Jazzplatten, in denen Afrika als utopischer Ort | |
idealisiert wird. Das habe ich von Afroamerikaner:innen gehört, die | |
erstmals dort waren und sich gleich aufgehoben fühlten. Und ich habe mir | |
diese Vorstellungswelt zu eigen gemacht: Ich war zwar noch nie in Afrika, | |
aber diese Situation kann ich mir in der Fantasie gut ausmalen.“ | |
In der Realität von Trumps Amerika geht es den allermeisten Bekannten | |
beschissen, erklärt Galcher Lustwerk. „Viele Leute sind abgestumpft und | |
deprimiert, fühlen sich angesichts der Lage ohnmächtig. Das Beste, was ich | |
für die Gesellschaft tun kann, ist House zu produzieren, um besonders | |
People of Color damit zu inspirieren, damit das Genre endlich wieder die | |
verdiente Anerkennung findet.“ Das gelingt ihm bestens: Galcher erinnert in | |
seinem minimalistischen Vortragsstil an die MCs, Masters of Ceremonies, die | |
in den Neighborhoods-Partys als Moderatoren begleiten, das Buffet für | |
eröffnet erklären, bestimmte Gäste namentlich begrüßen, die Leute dazu | |
animieren, eine gute Zeit zu haben. | |
## Illegale Raves | |
In Queens hat sich in letzter Zeit eine blühende Houseszene etabliert, es | |
gibt wieder illegale Raves mit MCs, und in solchen Nächten werden | |
selbstverständlich Genregrenzen überwunden. Neben Galcher Lustwerk ist auch | |
der italienische Produzent Madteo zu erwähnen, der des Öfteren mit dem | |
Rapper Sensational kollaboriert. „Es tut sich was, die Leute haben endlich | |
begriffen, HipHop und Housesound wieder zusammenzudenken“, erklärt Galcher. | |
In den späten Achtzigern, als House die Tanzböden erstmals rockte und weit | |
mainstreamtauglicher war als heute, gab es schon einmal die Kreuzung aus | |
Rapping und straighten 4-to-the-Floor-Beats. Jener Sound wurde seinerzeit | |
HipHouse getauft, blieb allerdings recht einseitig auf die Spaßeffekte der | |
Party reduziert. Galcher Lustwerk kennt den alten Kram natürlich, aber der | |
32-Jährige erweitert das Genre heute definitiv sowohl textlich als auch | |
musikalisch und bringt den Dancefloor mit Bewusstseinsströmen zum Beben. | |
„Ich hoffe, dass mein kaputter Sound auch als solcher erkannt wird.“ | |
Galchers Reime klingen manchmal faul, fast resigniert, als würde er lieber | |
aufgeben, das Gegenteil von einem Einpeitscher. „Diese Szenarien haben mit | |
meinem Alltag und dem von vielen anderen zu tun, aber das ist nicht real, | |
ich hole immer absurde Begebenheiten in den Clubkontext, um die Leute ins | |
Grübeln zu bringen. Wenn ich über teure Schlitten rappe, ist es doch so, | |
dass ich in Wahrheit gar keine haben möchte. Sie sind mir scheißegal, und | |
die Leute sollen das merken. Trotzdem bin auch ich ein Opfer von Konsum. | |
Und ich bin von Zweifeln geplagt und diese Zweifel tauchen oft in meinen | |
Texten auf.“ | |
Wie viele afroamerikanische Künstler:innen plagt Galcher Lustwerk die | |
Sorge, zu wenig Wertschätzung zu finden. „Es gibt definitiv die Angst, | |
ausradiert zu werden, so wie das einst im Rock ’n’ Roll passiert ist, als | |
Elvis Presley mit den Moves von Chuck Berry berühmt wurde und Berry erst | |
mal das Nachsehen hatte. Ich bin auf der Hut! Andererseits glaube ich, dass | |
im Internet nichts untendurch fällt und das eben dafür sorgt, dass House | |
zurückkommt. Selbst HipHop funktioniert noch immer durch die einzigartige | |
Power der schwarzen Kultur, kein Mainstream der Welt kann das nivellieren. | |
Genauso bin ich überzeugt davon, dass es House immer geben wird und dass er | |
als genuin afroamerikanische Kunstform anerkannt wird.“ Was für ein Rapper, | |
was für ein Album. | |
21 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
## TAGS | |
House | |
HipHop | |
Galcher Lustwerk | |
Dancefloor | |
Debütalbum | |
Synthesizer | |
HipHop | |
Gospel | |
Musik | |
OTTO | |
House | |
House | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Elektronische Tanzmusik von rRoxymore: Bergauf beschleunigen | |
Eine Begegnung mit der in Berlin lebenden französischen | |
Elektronikproduzentin rRoxymore. Und ihrem knisternden neuen Album | |
„Perpetual Now“. | |
Elektronik-Musikerin Park Hye Jin: Sharp bis zur Besessenheit | |
In Südkorea sind deutlich mehr Frauen auf dem Dancefloor aktiv als | |
hierzulande. Ein Beispiel ist das formidable Debüt „Before I Die“ von Park | |
Hye Jin. | |
Neues Album von Sam Prekop: Strukturierendes Satzzeichen | |
Auf seinem neuen Album „Comma“ verschränkt US-Künstler Sam Prekop Popsongs | |
mit eleganten modularen Synthesizer-Skulpturen. | |
Porträt des Rappers Mach-Hommy: Gefühle im Großstadtnebel | |
Der amerikanisch-haitianische Rapper Mach-Hommy gibt kaum etwas von sich | |
preis. Kritiker und Fans verehren ihn. Annäherung an ein Phänomen. | |
Gospel mit Schmackes: Barbershop Erleuchtung | |
Zwei fantastische Compilations zeigen, welche unglaubliche Hoffnung aus | |
US-Gospelsongs spricht. Die Musik verleiht im Kampf gegen Ungleichheit | |
Flügel. | |
Album „African Paradigm“ von Mr Raoul K: Pionier der Afrobeats | |
Raoul K kam mit 16 aus Côte d’Ivoire nach Lübeck und machte eine Lehre. | |
Heute produziert er House: Das Album „African Paradigm“ erzählt sein Leben. | |
Neues Album des Duos OTTO: Lecker Leberkasmusik | |
Vom Wohnzimmer ins All: Das Synthie-Duo OTTO zelebriert auf seinem Album | |
„Over The Top Orchestra“ charmanten Retrofuturismus. | |
Dancefloor-Sommerkollektion 2018: Wo ist mein Wristband? | |
Elektronische Musik ist zukunftsweisend, Und zwar dann, wenn sie dem | |
Update-Imperativ nicht folgt: Neues aus New York, Detroit, Chicago und | |
Berlin. | |
Neue Tendenzen im House: Ausflüge ins weiße Rauschen | |
Wenn die Klangästhetik von Industrial mit im Spiel ist, wird es zwingend | |
auf dem Dancefloor. Ein Überblick über die wichtigsten Produzenten 2013. |