| # taz.de -- Inside Fridays for Future: Wie organisiert man die Bewegung? | |
| > Die wohl größte deutsche Jugendbewegung wächst und wächst. Gleichzeitig | |
| > halten viele den Protest für ausgereizt – und zanken um die Frontfrauen. | |
| Bild: Wird hier etwa zu viel diskutiert? FFF-Plenum in Berlin | |
| Hamburg taz | In [1][Hamburg ist Fridays for Future] (FFF) schon am Limit: | |
| Wenn die Gruppe weiter wächst, bekommt sie Probleme. Wo sollen sich so | |
| viele Menschen treffen, wo sollen sie demonstrieren? Zu den wöchentlichen | |
| Plena kommen im Schnitt 50 bis 60 Aktive. Es ist nicht einfach, einen so | |
| großen Raum zu finden, wenn man keine Miete zahlen will. Ab und zu nutzen | |
| die Schüler*innen Firmenräume, die ihnen die Entrepreneurs for Future | |
| überlassen. Eine Dauerlösung ist das nicht. | |
| Fridays for Future ist die [2][vielleicht größte Jugendbewegung aller | |
| Zeiten] in Deutschland. Wie viele Menschen dem Vorbild von Greta Thunberg | |
| folgen und sich in der Graswurzelbewegung engagieren, wissen die | |
| Jugendlichen selbst nicht. Aber beim letzten globalen Streiktag, dem 20. | |
| September, brachten sie allein in Deutschland 1,4 Millionen Menschen auf | |
| die Straße. Damit, und mit den wöchentlichen Schulstreiks, haben sie | |
| zumindest eins erreicht: Wer über Klimapolitik redet, kann sie nicht | |
| ignorieren. | |
| Auch in anderen Städten kennt Fridays for Future das Platzproblem. Die | |
| Kölner Ortsgruppe hat sich anfangs im Büro von Greenpeace getroffen, | |
| mittlerweile ist das zu klein. Auch die Straßen werden eng: Am 20. | |
| September musste der Lautsprecherwagen in Köln die von Demonstrant*innen | |
| geflutete Innenstadt umfahren, um an die Spitze der Demo zu gelangen. | |
| Wie organisiert man so eine große Bewegung? Wie kommunizieren Zehntausende | |
| Menschen, wie treffen sie Entscheidungen? | |
| „Es gibt keine bundesweite Koordinierung“, erklärt Carla Reemtsma von FFF | |
| Münster. Stattdessen gibt es eine WhatsApp-Gruppe, in der aus jeder Stadt | |
| zwei bis drei Delegierte teilnehmen. Mittlerweile gibt es rund 700 | |
| Ortsgruppen. Macht 1.400 bis 2.100 Teilnehmer*innen in einer | |
| WhatsApp-Gruppe? In der Praxis seien es etwas weniger, sagt Reemtsma, etwa | |
| tausend. | |
| ## Meist wird telefoniert | |
| Während das öffentliche Interesse an den wöchentlichen Streiks bereits | |
| deutlich nachgelassen hat, komme im Schnitt noch immer täglich eine neue | |
| Regionalgruppe hinzu, sagt die Hamburgerin Nele Brebeck, die sich in der | |
| Betreuung der FFF-Ableger engagiert. „Mittlerweile sind wir auf Ebene der | |
| kleinen Landkreise angekommen“, sagt sie. Die größeren sind schon alle | |
| dabei. | |
| Die rund 1.000 Delegierten treffen sich – bis auf Ausnahmen wie den | |
| Sommerkongress Anfang August in Dortmund – so gut wie nie. In der Regel | |
| telefonieren sie nur. Rund 100 von ihnen wählen sich dann in einen | |
| Telefonraum ein. Eine Moderator*in kann die Teilnehmer*innen stumm schalten | |
| und ihnen das Wort erteilen. „Inhaltlich wird da nicht viel diskutiert“, | |
| sagt Reemtsma, „eher Informationen ausgetauscht.“ Die inhaltliche Arbeit | |
| finde in den Ortsgruppen und den AGs statt. | |
| Es gibt eine bundesweite Website-AG, eine Presse- und eine Social-Media-AG, | |
| eine Finanz- und eine Newsletter-AG sowie eine für die Planung von globalen | |
| Streiks. Und eine für die Kommunikation mit anderen Fridays-Gruppen wie | |
| Parents oder Scientists for Future. Auf regionaler Ebene kommen noch AGs | |
| für die Planung und die Redebeiträge der Freitagsdemos hinzu. | |
| Die Mitglieder der Ortsgruppen kommunizieren über „Slack“, ein Onlinetool, | |
| das hauptsächlich von Unternehmen genutzt wird. In verschiedenen Channels | |
| tauschen sich die Mitglieder aus, laden Dateien hoch, erstellen Termine und | |
| Untergruppen. Wenn sie gemeinsam an Dokumenten arbeiten, nutzen sie Google | |
| Docs oder Etherpads. Damit können mehrere Teilnehmer*innen am gleichen | |
| Text arbeiten, anstatt sich Textentwürfe mit Anmerkungen hin und her zu | |
| schicken. Außerdem haben die Schüler*innen ein eigenes Wiki, in das jede*r | |
| reinschreiben kann. | |
| Um Abstimmungen durchzuführen, nutzen sie Polls. Diese funktionieren | |
| ähnlich wie Terminfindungs-Sites wie Doodle: Auf eine Frage, etwa | |
| „Unterstützen wir die Aktion zivilen Ungehorsams von ‚Ende Gelände‘ in … | |
| Lausitz?“, gibt es verschiedene Antwortmöglichkeiten und eine Deadline. Auf | |
| diese Art können Tausende Aktive innerhalb weniger Tage eine Art Konsens | |
| erzielen. Das meiste aber entscheiden die Ortsgruppen autonom. | |
| ## Ortsgruppen sind sauer | |
| Klingt alles urdemokratisch, ist aber auch anfällig für Schwächen. Wo | |
| formelle Hierarchien flach sind, spielen informelle oft eine umso größere | |
| Rolle. So gibt es zwar offiziell kein oberstes Entscheidungsgremium von | |
| FFF. Es gibt aber Aktivist*innen, die besonders im Fokus der Öffentlichkeit | |
| stehen und deshalb de facto mehr Entscheidungsmacht haben als andere. Wer | |
| in Talkshows sitzt und Interviews gibt, setzt Themen und beeinflusst | |
| Diskurse. Doch das sind bei FFF ziemlich wenige, gemessen an der Anzahl der | |
| Aktivist*innen. Nicht wenige Ortsgruppen – und auch Bündnispartner*innen – | |
| sind sauer darüber. | |
| Besonders in der Kritik: Luisa Neubauer, die bekannteste FFF-Sprecherin. | |
| Als sie ihre Unterstützung für die von dem Kondom-Start-up „Einhorn“ | |
| initiierte Bürger*innenversammlung im Berliner Olympiastadion bekannt | |
| gab, hieß es zuerst, FFF Deutschland unterstütze das Projekt. Dass nur die | |
| Berliner Ortsgruppe dahinterstand, bei der Neubauer organisiert ist, wurde | |
| erst auf den zweiten Blick klar – zu sehr ist Neubauer zum Gesicht der | |
| Bewegung geworden. Die Veranstaltung brachte FFF viel Knatsch ein, weil die | |
| Initiator*innen im Werbevideo behaupten, die Weltrettung sei jetzt für | |
| 29,95 Euro zu haben – den Eintritt zum Großevent. | |
| Seit September hat Neubauer zudem eine Kolumne im Magazin Stern und hat mit | |
| ihren 23 Jahren bereits ein Buch veröffentlicht. Das finden nicht alle gut. | |
| „Die Medien picken sich immer eine raus“, beschwert sich FFF-Sprecherin | |
| Nele Brebeck gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk. Gleichzeitig beschwerten | |
| sich andere Aktive über Brebeck: Als Ortsgruppensprecherin wolle sie immer | |
| das letzte Wort haben. Auch Carla Reemtsma durfte mit dem Philosophen | |
| Richard David Precht im ZDF diskutieren. Aber hinter den Frontfrauen wird | |
| die Personallage dünn, jedenfalls wenn es um größere Fragen geht. | |
| „Fridays for Future hat eine Organisation aufgebaut, in der ein paar wenige | |
| Leute den Output kontrollieren. Demokratische Entscheidungsprozesse und | |
| offene Diskussionen sind da kaum möglich“, sagt ein Aktivist aus dem | |
| FFF-nahen Spektrum. Für Bündnispartner*innen sei es frustrierend, wenn | |
| die Machtverhältnisse intransparent seien. | |
| Eine weitere Schwierigkeit ist, dass es Entscheidungen gibt, die größer | |
| sind als die Frage, ob man dieses oder jenes Projekt unterstützen will. Wie | |
| soll es weitergehen? Was passiert, wenn das Mobilisierungspotenzial | |
| ausgeschöpft ist? Und vor allem: Wie gehen die Schüler*innen damit um, wenn | |
| noch deutlicher wird, was sich ohnehin schon abzeichnet – dass sich weder | |
| in der Politik noch in der Gesellschaft etwas verändert. Die | |
| Bundesregierung baut die Windenergie ab und die Kohle weiter ab. Die | |
| Deutschen buchen Flüge wie bekloppt und kaufen SUVs als Zweitwagen. Was | |
| macht das mit den Schulstreikenden, welche Konsequenzen ziehen sie daraus? | |
| „Viele von uns machen sich Gedanken darüber“, sagt Carla Reemtsma. Aber | |
| aufgrund der Organisationsstruktur sei es schwierig, Entscheidungen zu | |
| treffen. Ein Strategieprozess mit 700 Ortsgruppen sei nicht möglich. Die | |
| Organisationsstruktur zu verändern hält sie aber auch für nicht | |
| praktikabel. „Fridays lebt davon, dass es so niedrigschwellig ist“, sagt | |
| Reemtsma. Einen Verein mit Vorstand zu schaffen, würde FFF lähmen, fürchtet | |
| sie. Die Hemmschwelle, sich einzubringen, wäre dann möglicherweise zu groß. | |
| ## 30 Stunden und mehr pro Woche | |
| Trotzdem kommen Fakten auf die Bewegung zu, die sich nicht aussitzen | |
| lassen: Der Winter steht vor der Tür, die Streiks interessieren immer | |
| weniger Menschen, sie binden Ressourcen und zehren Kräfte. Viele bei FFF | |
| arbeiten 30 Stunden pro Woche oder mehr für die Bewegung – neben Schule | |
| oder Studium. Wie lange will man noch vor den Rathäusern stehen, ohne dass | |
| etwas passiert? | |
| Im Raum steht seit Kurzem der Vorschlag, nicht mehr jede Woche zu streiken, | |
| wie viele größere Ortsgruppen es derzeit noch machen. Der 13. Dezember | |
| könnte ein gutes Datum für den letzten wöchentlichen Freitagsstreik sein, | |
| denn an dem Tag wird die Bewegung ein Jahr alt. Nur: Eine solche | |
| Entscheidung wiegt schwer, man müsste sie intensiver diskutieren als nur in | |
| einer Telefonkonferenz oder per WhatsApp. Dafür aber gibt es kein Forum. | |
| „Ich glaube, wir brauchen jetzt viel Zeit für interne Prozesse“, sagt | |
| Pauline Brünger von FFF Köln. Die Ortsgruppe unterstützt die Idee, mit dem | |
| wöchentlichen Streik aufzuhören. „Wir haben ein Jahr lang von Freitag zu | |
| Freitag durchgepowert“, sagt Brünger. „Dabei sind die Möglichkeiten ja | |
| endlos.“ Man könnte eine NGO werden oder Lobbyarbeit machen, auf die | |
| Flughäfen und Autobahnen gehen, Bildungsarbeit in Schulen machen oder sich | |
| selbst beibringen, wie man Solarpanels verlegt. | |
| Und was ist, wenn trotzdem alles nichts bringt – wenn in Europa in wenigen | |
| Jahrzehnten die Wasserverteilungskämpfe losgehen und die Küstenregionen | |
| absaufen? Bereitet sich FFF auf eine solidarische Gesellschaft im | |
| Post-Klimawandel vor? „Wir versuchen noch, das Worst-Case-Szenario | |
| auszublenden“, sagt Nele Brebeck. „Das macht schlechte Laune und nimmt | |
| Hoffnungen, die uns antreiben.“ Es könne aber gut sein, dass man nächstes | |
| Jahr anfange, sich damit auseinanderzusetzen. Ohnehin müsste 2020 viel | |
| passieren, um die 1,5-Grad-Erwärmung nicht maßlos zu reißen. | |
| Aber: Sich auf neue Ziele und Aktionsformen zu einigen erfordert | |
| ebenfalls tiefgehende Diskussionen. „Am Ende machen alle Ortsgruppen, was | |
| sie wollen“, sagt Carla Reemtsma. Das sei ja auch eine Stärke der Bewegung: | |
| „Oft entstehen die besten Sachen dadurch, dass die Leute einfach etwas | |
| machen.“ | |
| 28 Nov 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
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