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# taz.de -- Rot-Schwarz-Grün in Brandenburg: Die Kenia-Kommune
> Problem erkennen, Lösung finden. In den Städten ist eine solche Politik
> längst Usus. Nun soll sie auch der Landesregierung zum Erfolg verhelfen.
Bild: Helene Beach Festival in Frankfurt (Oder)
So etwas ist in Berlin kaum denkbar. Eine Frage aus dem Publikum. Wer
will antworten, fragt der Moderator? André Schaller (CDU), Ludwig Scheetz
(SPD) und Sahra Damus (Grüne) schauen sich an. Keiner drängelt sich vor.
Dann reicht Schaller Damus das Mikro. „Wir müssen die Festivals in
Brandenburg stärken“, sagt die grüne Kulturpolitikerin aus Frankfurt
(Oder), die im September frisch in den Potsdamer Landtag gewählt wurde.
„Dafür müssen wir auf Landesebene das Baurecht, das Immissionsrecht und das
Waldrecht überprüfen.“
André Schaller nickt. Auch der Bürgermeister von Rüdersdorf ist neu im
Landtag. Seine Partei hat Wert darauf gelegt, dass im Koalitionsvertrag
Brandenburg als Land der Festivals genannt wird. Zustimmung kommt
schließlich auch von Ludwig Scheetz. In Königs Wusterhausen hat der
ebenfalls neue Landtagsabgeordnete der SPD das Festival auf dem Funkerberg
ins Leben gerufen – und seiner Stadt ein buntes Image verpasst. Außerdem
hat er das Direktmandat gegen den AfD-Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz
geholt.
Nimmt man die Runde, die am Freitag vergangener Woche beim Festival Music
Base in Cottbus auf der Bühne saß, als Beispiel für den Umgang von SPD, CDU
und Grünen miteinander, muss man festhalten: Kenia könnte harmonischer
verlaufen als so manche Konstellation in anderen Bundesländern, die nicht
als Zweckbündnis, sondern als Liebesheirat begann.
## Keine Räterepublik
Seitdem SPD, CDU und zuletzt auch die Grünen dem Koalitionsvertrag
zugestimmt hatten, war der Weg frei für das erste Kenia-Bündnis in
Brandenburg. Am Mittwoch wurde Dietmar Woidke vom neuen Landtag mit 47
Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt. Dass ihm drei Stimmen, vermutlich
aus der CDU, fehlten, nahm der SPD-Politiker eher locker. Es gab auch schon
Wahlen, bei denen zwei oder drei Wahlgänge nötig waren. In
Schleswig-Holstein hat der „Heidemörder“ durch sein Votum 2005 sogar die
designierte Ministerpräsidentin Heide Simonis gestürzt.
Sind die drei mutmaßlichen Enthaltungen der CDU nun eine Art Probezeit für
Kenia? Oder sind sie eine Bürde für die neue Koalition, deren Ministerinnen
und Minister schon in den Startlöchern stehen: fünf für die SPD, drei für
die CDU, darunter Inneres und Infrastruktur, und zwei für die Grünen,
Umweltschutz und Landwirtschaft sowie Soziales.
Zwei Tage vor der Diskussion in Cottbus fand in Potsdam auf dem Pfingstberg
ein Parlamentarischer Abend statt. Organisiert hatte ihn das Städteforum
Brandenburg, ein Kommunalverband mit 45 Mitgliedern. Dessen Vorsitzender,
der Eberswalder Bürgermeister Friedhelm Boginski, trug den Vertreterinnen
und Vertretern der Kenia-Parteien das Anliegen der Städte vor.
So habe der ländliche Raum nur dann eine Chance, wenn die Städte in seiner
Mitte zukunftsfähig seien. Dafür wiederum seien die Erreichbarkeit, die
Digitalisierung und die Bildungsinfrastruktur entscheidend. Noch wichtiger
aber sei es, schnell zu handeln. Gerade die Bürgermeister wissen, dass die
Leute Ergebnisse sehen wollen. Kenia muss also liefern.
Aufmerksam lauschten Katrin Lange (SPD), Rainer Genilke (CDU) und Heiner
Klemp den Ausführung des Städtevertreters. Als der Grüne Klemp, auch er ein
Neuling im Potsdamer Landtag, die Notwendigkeit von Bürgerbeteiligung
anmahnte, schließlich müssten die Menschen vor Ort bei den Entscheidungen
mitgenommen werden, konterte Genilke süffisant: „Wir wollen hier aber keine
Räterepublik gründen.“
Eine Spitze? Eine Warnung? Oder nur eine kleine Überheblichkeit eines
erfahrenen Landespolitikers, der nun Staatssekretär im Ministerium für
Infrastruktur und Landesplanung wird? Katrin Lange, die neue
Finanzministerin, ging gar nicht erst auf das Thema ein, sprach lieber von
den Hürden, die es gerade bei den großen Verkehrsprojekten gebe. Aber auch
der Grüne Klemp ließ sich nicht provozieren und warb für sein Vorhaben, den
ländlichen Raum und den Speckgürtel nicht gegeneinander auszuspielen: „Wenn
wir die Städte in der zweiten und dritten Reihe vergessen, erleben die im
Speckgürtel nicht nur von Berlin, sondern auch von dort Zuwanderung.“ In
Oranienburg, wo Klemp seit zwanzig Jahren Kommunalpolitik macht, gebe es
bereits massive „Wachstumsschmerzen“.
## Fremdeln an der Basis
Dass Kenia kein Selbstläufer ist, zeigten nicht nur die drei Enthaltungen
bei der Woidke-Wahl. Schon vorher war die Stimmung an der CDU-Basis
angespannt. Anfang November warben der damals noch kommissarische
CDU-Landesvorsitzende Michael Stübgen und CDU-Fraktionschef Jan Redmann bei
einer Regionalkonferenz in Oranienburg um Zustimmung für das
rot-schwarz-grüne Bündnis. Laut Märkischer Oderzeitung (MOZ) versuchte
Stübgen dabei deutlich zu machen, dass es schwer gewesen sei, sich gegen
die Grünen durchzusetzen. „In einer Dreierkonstellation sich
zusammenzuraufen sei schon etwas Besonderes“, zitierte die Zeitung den
CDU-Mann. „Aber mit den Grünen sei das ‚besonders besonders‘.“
In den CDU-Orts- und Kreisverbänden, so war zuletzt immer wieder zu hören,
sei der Wunsch groß, dass Stübgen als Innenminister immer wieder mal „klare
Kante“ zeige. Dem trug auch Fraktionschef Redmann Rechnung, der laut MOZ
versprochen habe, dass die Minister der Koalition viel Beinfreiheit hätten,
um sich zu profilieren – auch und gerade in der Innenpolitik.
Was aber, wenn Stübgen gar nicht so kann, wie von ihm erwartet wird? Ist
die Innenpolitik, anders als das Wohlfühlthema Festivals, eine
Sollbruchstelle der Kenia-Koalition? Nicht unbedingt, meint ein
CDU-Vertreter, der bei den Koalitionsverhandlungen zum Thema Sicherheit
dabei war. „Die Grünen waren extrem gut vorbereitet“, berichtet er. „Und
wenn es mal eine kleine Provokation von unserer Seite gegeben hat, haben
sie sich nicht aus der Ruhe bringen lassen.“ Am Ende, sagt er, „hatte ich
sogar den Eindruck, dass wir als CDU noch etwas von der grünen
Diskussionskultur lernen können.“
Auch das wieder ein Hinweis darauf, dass neben all den Konflikten, die es
bei Kenia gibt, doch auch der Wille da ist, voneinander zu lernen und die
Koalition zum Erfolg zu bringen. Ganz so, wie es ein Bürgermeister beim
Parlamentarischen Abend in Potsdam gefordert hatte: „Halten Sie durch, und
fangen Sie nicht nach zwei Jahren schon wieder an, Wahlkampf zu machen.“
## Kommunale Familie
Völlig geräuschlos, das war auch den Beteiligten in Cottbus bewusst, wird
ein Zweckbündnis wie Kenia nicht verlaufen, allen Appelle an
Geschlossenheit und eine lösungsorientierte Politik zum Trotz. Auch nicht
beim Wunsch, dass Brandenburg als Land der Festivals sein buntes und
lässiges Gesicht zeigt und künftig nicht nur als Land der Seen, Wälder,
Windräder und AfD-Wähler wahrgenommen wird. So fürchtet etwa Franziska
Pollin, die Projektleiterin Popularmusikszene im Land Brandenburg, dass ein
grüner Umweltminister im Zweifel die Interessen des Naturschutzes über die
der Festivalmacher stellen könnte.
Aber auch innerhalb der CDU gab es zuletzt immer wieder Konflikte. Bis zu
sechs Mitglieder der 15-köpfigen Fraktion, hieß es, könnten der
konservativen Vertreterin der Werte-Union, Saskia Ludwig, folgen. Dabei hat
Rot-Schwarz-Grün nur fünf Stimmen Mehrheit im Potsdamer Landtag.
Zumindest Letzteres will CDU-Mann André Schaller nicht gelten lassen. Auch
er gehörte zu den sechs Abgeordneten, die bei der ersten Fraktionssitzung
eine Neuwahl des Fraktionsvorstands gefordert hatten. Zwar stimmten neun
der 15-CDU-Abgeordneten gegen die damit beabsichtige sofortige Abwahl von
Fraktionschef Ingo Senftleben. Doch die Botschaft war klar: Nach dem
miserablen Wahlergebnis will die Fraktion nicht einfach zum Business as
usual übergehen. Kurz darauf legte Senftleben alle Ämter nieder.
Bei dieser Abstimmung ging es nicht um Lagerbildung, versichert Schaller.
Auch gehöre nicht jeder der sechs zu den Gegnern der Koalition. Er selbst
spüre den Wunsch, dass vor allem die neuen Abgeordneten endlich anfangen
wollen, Politik zu machen. „Ich habe keine Sorge, dass die Koalition nicht
hält“, sagt Schaller. In Brandenburg sind neben den neuen AfD-Abgeordneten
auch in den Kenia-Fraktionen fast die Hälfte Neulinge.
Vielleicht ist das der Unterschied zwischen Brandenburg und Berlin. In
Berlin geht es oft mehr um Ideologie und um die eigene bella figura als um
das Gemeinsame und gönnen können. In Brandenburg dagegen könnte der Wille,
das Land voranzubringen, stärker sein als die jeweiligen Parteiegoismen.
Brandenburg als eine große Kommune, in der das Parteibuch ohnehin eine
untergeordnete Rolle spielt? In Potsdam jedenfalls war beim Treffen von
Kenia mit den Bürgermeistern des Landes erstaunlich oft ein Begriff zu
hören: „wir als kommunale Familie“.
24 Nov 2019
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Dietmar Woidke
Brandenburg
Die Grünen Brandenburg
Landtag Brandenburg
Landtag Brandenburg
Holger Stahlknecht
Dietmar Woidke
Brandenburg
Kenia-Koalition
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