| # taz.de -- Mode aus Recycling-Plastik: Der Fake mit „Ocean-Plastic“ | |
| > Trikots, Badehosen, Sonnenbrillen: Hersteller bieten Produkte aus | |
| > Recycling-Plastik an, die sie als „Ocean-Plastic“ vermarkten – meist zu | |
| > Unrecht. | |
| Bild: Ob daraus mal schicke Sneaker werden? | |
| Berlin taz | Adidas hat Trikots – Kategorie „Ocean Plastic“– für die | |
| Fußballer von Real Madrid entworfen, auch der FC Bayern München hat schon | |
| im Dress aus solchem Stoff gespielt. Sonnenbrillen, Skateboards, Rucksäcke | |
| – zahlreiche Hersteller bieten mittlerweile Produkte aus aufbereitetem | |
| Kunststoff an und werben, so das Müllproblem im Meer angehen zu wollen. Ist | |
| das wirklich die Lösung? | |
| Ein Anruf bei Andrea Stolte, die den Zustand von Nord- und Ostsee für den | |
| Umweltverband WWF seit Jahren beobachtet. Sie erzählt von Basstölpeln, den | |
| eleganten großen Seevögeln, das Gefieder bis auf die schwarzen Flügel- und | |
| Schwanzspitzen fast reinweiß, die in ihren Nestern auf Helgoland | |
| mittlerweile bunte Plastikschnüre verbauen. Dabei handelt es sich um | |
| Polyesterfasern, wie sie auch in Fischernetzen verwendet werden. | |
| Die Tiere verheddern sich, können sich nicht selbst befreien, strangulieren | |
| sich oder verhungern im eigenen Nest. Stolte weiß von Eissturmvögeln, die | |
| tot an der Nordseeküste gefunden wurden, mit Kunststoff im Magen. Nord- und | |
| Ostsee sind beispielhaft. | |
| Jedes Jahr landen weltweit zwischen knapp 5 und 13 Millionen Tonnen | |
| Plastikmüll in den Ozeanen. Internationale Wissenschaftler gehen nach | |
| zahlreichen Forschungsfahrten und -flügen davon aus, dass fast 80.000 | |
| Tonnen Plastik in einem Gebiet von 1,6 Millionen Quadratkilometern im | |
| Pazifik treiben. Das entspricht einer Fläche, die etwa viereinhalbmal so | |
| groß ist wie Deutschland. Eine Lösung für dieses Problem ist bislang nicht | |
| in Sicht. | |
| ## Tolle Innovation für das Nylon-Recycling | |
| Denn, sagt Andrea Stolte: „Ozeanplastik ist ein Marketinggag, leider | |
| meistens falsch und fast immer irreführend.“ Was ist mit dem Garn, das | |
| derzeit zum Beispiel unter dem Namen Econyl als bessere Alternative zum | |
| herkömmlichen Nylon angeboten wird, weil darin Fischernetze stecken? „Das | |
| ist eine tolle Innovation für das Recycling von Nylon, hat aber nichts mit | |
| Meeresplastik zu tun.“ | |
| Diese Faser werde von der Firma Aquafil mit Sitz in Italien produziert, es | |
| stecke „nicht einmal ein Prozent Plastikmüll aus dem Ozean“ darin. | |
| Stattdessen findet sich Nylon aus: Resten der Teppichproduktion, alten | |
| Teppichen und Netzen, die Fischer am Ende der Saison aussortieren. Die | |
| seien schön sauber – anders als die Geisternetze im Meer. Das Problem | |
| bleibt. Und es ist geradezu unverwüstlich. | |
| Allein in der Ostsee gehen, so rechnet der WWF in Polen vor, jedes Jahr | |
| 5.000 bis 10.000 Netze oder Netzteile verloren. Im Nordostatlantik kämen – | |
| das hätten unter anderem Unterwasseraufnahmen gezeigt, sagt Stolte – 30 | |
| Prozent des Plastikmülls auf dem Meeresgrund aus der Fischerei. Zwar | |
| verliere niemand freiwillig sein Netz, aber es ausfindig zu machen und zu | |
| bergen sei aufwendig. Dafür sei ein Team von bis zu vier Berufstauchern | |
| notwendig, mit der entsprechenden Ausstattung koste das bis zu 12.000 Euro | |
| pro Tag auf See – und damit etwa das Sechsfache eines neuen Netzes. | |
| Manchmal lägen die Netze jahrzehntelang im Wasser. In ihnen verfängt sich | |
| anderer Müll, Kanister, Schläuche. Schlick setzt sich an, Muscheln wachsen. | |
| Anders gesagt: Die Netze verdrecken. Und das Recycling ist, wenn überhaupt, | |
| nur mit enormem Anstrengungen möglich. | |
| Die herrenlosen Netze aber sind gefährlich für das Leben im Meer. Sie lösen | |
| sich ganz langsam auf, damit gelangen Plastikpartikel in die Nahrungskette | |
| und am Ende belastetes Meeresgetier auf die Teller. Darum, erklärt Stolte, | |
| müsse sich der Staat um die Bergung kümmern – und Mittel aus dem | |
| Europäischen Fischereifonds dafür nutzen. Umwelt- und Agrarminister der | |
| Küstenländer Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein | |
| haben bereits eine Initiative angekündigt. | |
| Ein anderes Konzept: Fishing for Litter | |
| Eine andere Idee verfolgt der Umweltverband Nabu mit seinem Projekt | |
| „Fishing for Litter“: Fischer sollen Flaschen, Tüten, Verschlusskappen, | |
| also den ganzen anderen Plastikschrott, der in den Meeren treibt, | |
| einsammeln, der sich beim Fischen in ihren Netzen verfängt. Im Hafen können | |
| sie ihn, für den sie sonst zahlen müssten, dann umsonst abgeben. Der Müll | |
| wird dann sortiert und, wenn möglich, recycelt. Das Recycling ist derzeit | |
| selbst bei normalem Müll nicht perfekt, beim Meeresmüll wird es nicht | |
| einfacher, verdreckt und salzig wie er ist. | |
| Und nun? Wie gut ist Ocean-Plastic, das nicht aus dem Meer kommt? „Sie | |
| machen nichts falsch, wenn Sie die Recyclingfasern kaufen“, sagt Stolte. | |
| Die Hersteller steckten einen Teil der Einnahmen in Aktionen zur Bergung | |
| von Plastik aus dem Meer. Ernster zu nehmen seien allerdings Angebote wie | |
| jene der kalifornischen Nonprofit-Organisation Bureo oder der Hamburger | |
| Firma Bracenet: Sie würden tatsächlich alte Fischernetze aus dem Meer | |
| bergen, Erstere fertigten daraus dann etwa Skateboards und Sonnenbrillen, | |
| Letztere Armbänder. | |
| Ob in der Müllmode Schadstoffe steckten, sei noch unklar. In PET-Flaschen, | |
| aus denen auch Fasern für die Textilindustrie gewonnen werden, können | |
| Rückstände des Halbmetalls Antimon auftauchen. Das steht im Ruf, | |
| gesundheitsschädlich zu sein. Grundsätzlich sei auch nicht der Verbraucher, | |
| sondern die Politik gefragt, das Müllproblem zu lösen, sagt Stolte. | |
| 24 Nov 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Hanna Gersmann | |
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