# taz.de -- Sprache und Integration: Stiller Widerstand auf Deutsch | |
> Als Kind lernte ich, die deutsche Sprache zu lieben – während mein Vater | |
> sie zu hassen anfing. Für mich barg sie Chancen, für ihn nur Schikane. | |
Bild: Eine Lehrerin liest den Kindern ihrer Klasse aus einem Buch vor | |
„Willst du mit mir spielen?“, das war mein erster deutscher Satz. Er muss | |
mich unglaubliche Überwindung gekostet haben, denn zuvor hatte ich lange | |
nicht gesprochen. Ich sprach nicht, weil wir vor dem Krieg in Bosnien und | |
Herzegowina nach Österreich geflüchtet waren und mich das überfordert haben | |
muss – das Kriegstrauma, die neuen Eindrücke in diesem Land, der besorgte | |
Blick meiner Mutter, unbeschwert sollte ich sie nie wieder erleben. Das | |
macht der Krieg mit Menschen. | |
Aber solche Gründe spielen in Österreich kaum eine Rolle. Deutschpflicht, | |
Deutschkurs, Deutschzertifikat, Deutschklassen – nichts wird hierzulande | |
mehr mit Integration in Verbindung gesetzt als [1][der Erwerb der deutschen | |
Sprache]. Niederösterreich macht seit Neuestem sogar die Sozialhilfe vom | |
Deutschniveau abhängig, weitere Bundesländer werden folgen. | |
„Willst du mit mir spielen?“, fragte ich also plötzlich und meine | |
Kindergartenpädagoginnen lächelten mir zu – das Flüchtlingsmädchen konnte | |
sprechen, ihre Geduld hatte sich ausgezahlt. Auch meine Volksschullehrerin | |
war geduldig, sie las uns jeden Morgen vor, wegen ihr verschlang ich | |
mehrere Bücher in der Woche. Ich lernte sogar freiwillig das | |
Findefix-Wörterbuch auswendig. | |
Im Schultheater bekam ich eine männliche Hauptrolle, weil ich so laut und | |
deutlich sprach, wie die Lehrerin extra betonte. Zuhause machte ich nicht | |
nur eifrig meine Deutschhausübungen, sondern auch die meines Vaters, | |
[2][der immer mal wieder einen Deutschkurs besuchen musste], wenn er seinen | |
Job verlor. Seine Hausaufgaben waren meistens Lückentexte von Märchen, die | |
für mich bereits zu kindisch waren. | |
Ich schämte mich für das Deutsch meines Vaters und schämte mich, dass ich | |
mich für ihn schämte. Wenn bei Amtswegen mit ihm wie mit einem Kind | |
gesprochen wurde, machte mich das traurig und ihn immer kleiner, den | |
gebückten Gang hat er bis heute. Mein stiller Widerstand: Ich verfasste in | |
meinem ausgezeichneten Deutsch Amtsschreiben und Beschwerdebriefe im Namen | |
meiner Eltern. | |
Ich wusste, dass die Sprache nichts für ihre Sprecher konnte, ich verliebte | |
mich in das Deutsche, während mein Vater es zeitgleich zu hassen anfing. Er | |
verbot uns Schwestern, daheim Deutsch zu sprechen oder Bücher auf Deutsch | |
zu lesen. Deutsch erinnerte ihn an die Schikanen seiner Arbeitgeber, der | |
Magistratsbeamten, der Verkäufer. Weil ich es daheim nicht sprechen durfte, | |
fing ich an zu schreiben. Wieder stiller Widerstand auf Deutsch. | |
Heute verdiene ich mein Geld als Journalistin mit dem Schreiben in | |
deutscher Sprache. Wenn ich rassistische Hassnachrichten erhalte, stelle | |
ich mir vor, wie sehr es die Verfasser ärgern muss, dass ich für Texte, die | |
ich in „ihrer“ Sprache verfasse, bezahlt werde – so ertrage ich ihren Has… | |
Eines haben weder die Hassposter noch die Magistratsbeamten geschafft: mir | |
die Liebe zu dieser Sprache zu nehmen. | |
24 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Melisa Erkurt | |
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