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# taz.de -- Bosnien und Herzegowina: Die Schule für alle
> Dem Nationalismus ein Bein gestellt: Als Azra Keljalić erfährt, dass in
> ihrer Schule künftig getrennt unterrichtet werden soll, stellt sie sich
> quer.
Bild: Azra Keljalić vor ihrer Schule: „Gemeinsam erschaffen wir etwas“ ste…
Jajce taz | Die 18-jährige Azra Keljalić steht vor ihrer alten
Berufsschule. An der Wand ein Graffito, auf dem in bunten Lettern prangt:
„Gemeinsam erschaffen wir etwas!“ Es ist das Motto einer Schule, deren
Schüler sich gegen die ethnische Trennung in Bosnien und Herzegowina
aufgelehnt haben.
Es ist eine Trennung, die seit dem Krieg von ethnonationalistischen
Parteien vorangetrieben wird. Sie haben durchgesetzt, dass schon
Erstklässler nach Religion und Ethnie separiert werden, also nach
Bosniaken, Kroaten und Serben. Die Aufteilung wird damit begründet, dass
die Kinder in ihrer Muttersprache unterrichtet werden sollen – obwohl sich
bosnische, kroatische und serbische Sprache kaum voneinander unterscheiden.
Drei Jahre ist es nun her, dass Azra Keljalić die Nachricht erhielt, dass
sie und ihre Mitschüler zukünftig nach Religion und Nationalität getrennt
werden sollten: „Wir waren schockiert und wussten sofort, dass wir das
nicht zulassen dürfen.“
Diese Segregation hatte Azra Keljalić schon acht Jahre in ihrer Grundschule
erlebt, sie wollte nicht hinnehmen, dass es so weitergeht, schon gar nicht
an ihrer weiterführenden Schule. Die nämlich orientierte sich an
kroatischen Lehrplänen, was sie als Bosniakin nicht weiter störte. Am Ende
seien die Konzepte sowieso Makulatur: „Ich war auf einer getrennten
Grundschule, nach bosnischem Plan. Dann war ich auf der weiterführenden
Schule nach kroatischem Plan. Und jetzt bin ich auf der Universität nach
serbischem Plan. Die Lehrpläne sind alle gleich.“
## Getrennte Schulen in einem getrennten Land
Trotzdem wollte der zuständige Kanton in Jajce eine Schule eröffnen, in der
nach bosnischem Lehrplan unterrichtet wird. Der Kanton Zentralbosnien
gehört zu den Teilen Bosnien und Herzegowinas, die auch nach dem Krieg
multiethnisch geprägt sind. Immer wieder schüren die ethnonationalistischen
Parteien aller Volksgruppen Ängste, eine Gruppe könne die andere
dominieren. Die alten Ressentiments, die in Kriegszeiten eingeübt wurden,
brechen sich auch im Schulsystem Bahn. Das Ergebnis: getrennte Schulen in
einem getrennten Land.
„Äpfel und Birnen soll man nicht mischen. Äpfel zu den Äpfeln und Birnen zu
den Birnen.“ So erklärte einst die zuständige Bildungsministerin Greta
Kuna, warum kroatische und bosniakische Kinder getrennt unterrichtet werden
sollten. In Bosnien und Herzegowina trägt dieses Konzept den
euphemistischen Namen „Zwei Schulen unter einem Dach“. Die Realität: Die
Schüler werden zeitlich und räumlich getrennt voneinander unterrichtet,
einzige Gemeinsamkeit: das Gebäude.
Die Schüler der Kleinstadt Jajce, auf dem Gebiet der Föderation Bosnien
und Herzegowina gelegen, wollten den Krieg, der lange vor ihrer Geburt
beendet war, nicht weiterführen. Den Protest zu organisieren war schwierig.
Am letzten Tag vor den Sommerferien hatte man die Klassen darüber
informiert, dass der Unterricht künftig getrennt stattfinde. Da waren die
meisten schon in im Urlaub.
## Maskierte Schüler auf der Demo – aus Angst vor Repressionen
Azra Keljalić mobilisierte Freunde aus anderen Schulen, um gemeinsam zu
demonstrieren. Das blieb nicht folgenlos: Ein Direktor dieser
Nachbarschulen, Mitglied der bosnisch-kroatischen Partei HDZ, drohte seinen
Schülern unverhohlen, sie hinauszuwerfen, sollten sie es wagen, sich dem
Protest anzuschließen.
„Manche Schüler mussten maskiert an den Demonstrationen teilnehmen, um
keinen Ärger zu bekommen“, sagt Azra Keljalić. Sie hatten Erfolg –
vorläufig: Als die neue Schule nach den Sommerferien nicht eröffnete,
dachten die Schüler, der Kampf sei gewonnen. Im nächsten Jahr versuchten es
die Behörden erneut.
„Diese Mal waren wir besser vorbereitet“, sagt Azra, „ wir mobilisierten
Menschen aus dem gesamten Kanton, waren landesweit organisiert.“ Und sie
hatten mächtige Unterstützer gefunden: Zuspruch kam von der deutschen und
der US-Botschaft und von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (OSZE). Der Schülerprotest machte Furore.
Zu Beginn der Proteste unterstützte Edin Hozan, Bürgermeister von Jajce,
die ethnische Trennung. Es gebe eine Petition von Eltern betroffener
Schüler, auf die müsse man hören. Doch Azra Keljalić war nicht überzeugt.
„Die Petition wurde uns nie gezeigt, und es gab sie wohl auch nie.
Angeblich kamen alle Unterschriften aus einem Dorf in der Nähe – es gab
mehr Unterschriften als Einwohner“, sagt sie. „Aber als klar wurde, dass
die meisten Medien auf unserer Seite stehen, hat der Bürgermeister seine
Meinung geändert.“
Edin Hozan trägt Sakko über seinem blau-rot-karierten Hemd. Er ist
gelernter Maschinenbauer, an Azra Keljalić’ Schule hat er selbst
unterrichtet. Er ist Mitglied der bosniakischen Partei SDA.
Heute sagt er: „Die Kinder wurden nicht getrennt und das macht uns stolz.“
Warum er die Schüler nicht von Anfang an unterstützt habe? Er wirbt um
Verständnis: Die Schule habe ein kroatisches Hoheitszeichen verwendet, das
rot-weiße Schachbrettmuster, und kein bosnisches Symbol. Viele in Jajce
sind sich sicher: Der Sinneswandel des Stadtoberen habe weniger mit seiner
Überzeugung als vielmehr mit der Angst zu tun, er und seine Partei könnten
am Ende schlecht dastehen.
Ganz überzeugt ist Hozan noch nicht, schließlich gebe es Fächer, „bei denen
es besser ist, wenn wir sie getrennt unterrichten“. Darauf besteht er
weiterhin. Er glaubt, dass sonst die „kulturelle Identität“ der Menschen in
Gefahr sei. Viele seiner Wähler glauben das auch.
## Der Lehrer über seine Schüler
Der 40-jährige Tarik Zjajo trägt Ziegenbart, Sneaker und ein weites Hemd.
Er widerspricht dem Bürgermeister: „Muttersprache und Geschichte sehe ich
ein, aber was die sich bei Geografie, Musik und bildender Kunst gedacht
haben, kapiere ich nicht.“
Tarik Zjajo arbeitet seit 16 Jahren an der Schule in Jajce. Von Anfang an
stand er auf der Seite der Schüler. So wie die meisten anderen Lehrer auch.
Nur zwei, drei seien gegen die Proteste gewesen, meint er.
Der Lehrer erklärt, dass die Kinder nach acht Jahren Trennung an der
Grundschule zusammen in seine Klasse kämen: „Am Anfang der neunten Klasse
setzen sich dann erst die Katholiken zu den Katholiken und die Muslime zu
den Muslimen.“ Doch das ändere sich nach wenigen Wochen: „Dann setzen sich
die Schüler nicht mehr nach der Religion, sondern nach Interessen zusammen.
Die Fußballer zu Fußballern, die HipHopper zu HipHoppern.“
Zjajo hat Deutsch gelernt, als er 1992 als Kriegsflüchtling nach Weinsberg
bei Heilbronn kam. Nach Kriegsende kehrte er in seine Heimat zurück – als
Deutschlehrer. In die Bundesrepublik zurück möchte er nicht: „Jemand muss
ja hierbleiben und den Menschen Deutsch beibringen. Sie gehen sowieso
dorthin. Ich bin dann der Letzte, der das Licht ausmacht.“
Azra Keljalić bestätigt, dass die Hälfte ihrer Mitschüler inzwischen in
Deutschland, Österreich und der Schweiz leben. Ein Studium begännen dort
nur die wenigsten. Viele schlagen sich mit Hilfsjobs auf dem Bau oder in
der Gastronomie durch. Keljalić will bleiben. Zum
Software-Engineering-Studium ist sie ins von bosnischen Serben dominierte
Banja Luka gezogen. Für eine Bosniakin ist das keine
Selbstverständlichkeit.
## Es geht auch anders: das Schulzentrum des heiligen Josef
Nicht alle Lehranstalten sind getrennt. Es gibt Europaschulen, in denen die
Schüler gemeinsam unterrichtet werden. Eine davon ist das Schulzentrum des
heiligen Josef in der Hauptstadt Sarajevo.
Der 68-jährige emeritierte römisch-katholische Weihbischof Pero Sudar
gründete die Schule im November 1994, zu der Zeit, als [1][Sarajevo] von
serbischen Einheiten belagert wurde. Er sagt: „Damals hagelten täglich
Hunderte Granaten auf die Stadt und der Unterricht musste im Keller
stattfinden. Und trotzdem hatten wir katholische, orthodoxe, muslimische
und auch ein paar jüdische Schüler bei uns. Wenn man es will, dann geht es
auch.“
Anfangs sollten nur katholische Kinder unterrichtet werden, um Anreize für
bosnische Kroaten zu schaffen, um zu bleiben. Doch dann entschied Sudar mit
seinen Kollegen, eine gemeinsame Schule aufzubauen: „Wir wollten ein
Zeichen setzen. Für uns war die Eröffnung dieser Schule ein Protest
dagegen, dass sich die Menschen in Sarajevo voneinander entfernen.“
An der Schule gibt es ein gemeinsames Fach Religionsgeschichte. Zusätzlich
haben die Schüler Religionsunterricht oder Ethik. „Bosnisch, Kroatisch oder
Serbisch. Die Schüler können ihre Sprache nennen, wie sie wollen, und sie
sich so ins Zeugnis eintragen lassen. Wir verstehen uns alle und das sollte
wirklich kein Grund sein, die Kinder zu trennen“, sagt Sudar.
In Jajce schaut Azra Keljalić mit Stolz auf das Graffito an ihrer Schule:
„Wir haben zusammen etwas aufgebaut und darauf sind wir stolz.“ Die
Studentin kommt immer wieder nach Jajce und erzählt der jüngeren Generation
von ihrem Kampf gegen Nationalismus und Trennung. Sie glaubt nicht, dass
der Konflikt ausgekämpft ist. Sie ahnt, dass der Kanton wieder versuchen
wird, die Jugendlichen zu trennen. Aber der Erfolg ihres Protests macht ihr
Hoffnung: „Ich bin mir sicher, dass die Generation nach uns dann wieder
dagegen auf die Straße gehen wird.“
7 Dec 2019
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Belagerung_von_Sarajevo
## AUTOREN
Krsto Lazarević
## TAGS
Bosnien und Herzegowina
Schule
Nationalismus
Srebrenica
Kolumne Nachsitzen
Balkanstaaten
Flüchtlinge
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