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# taz.de -- Flüchtlinge auf dem Balkan: Jetzt droht der Kältetod
> Kein Wasser, kein Strom, keine Heizung, kein Essen: So hausen die
> Flüchtlinge, die es auf der Balkanroute bis nach Bihać geschafft haben.
Bild: Warten auf Kleiderspenden in Vučjak, wo 7.000 Migranten auf einer Müllh…
Sarajevo taz | Der Winter ist da, und die Migranten, die auf der
Balkanroute gestrandet sind, sehen sich einer menschenunwürdigen,
katastrophalen Lage ausgesetzt. Es gibt schon die ersten Kältetoten. So hat
die Flucht eines 20-jährigen Syrers in einem Wald in Slowenien ein
tragisches Ende gefunden. Der völlig entkräftete und unterkühlte junge Mann
starb vor wenigen Tagen, obwohl es ihm noch gelungen war, Verwandte in
Deutschland zu verständigen. Er hatte es geschafft, von Bosnien aus über
die kroatische Grenze nach Slowenien zu gelangen.
7.000 Migranten im bosnischen Bihać wollen dies auch tun, vor allem jene,
die sich noch in dem berüchtigten, [1][auf einer Müllhalde errichteten
Lager Vučjak] befinden. Die rund 800 Männer in dem Zeltlager werden seit
zwei Wochen nicht mehr mit Essen versorgt, die notdürftige medizinische
Versorgung ist zusammengebrochen, nachdem die örtlichen Autoritäten
ausländischen Helfern unter Strafandrohung die Arbeit untersagt hatten.
Die Zelte im Lager sind nicht heizbar. Es gibt keine sanitären Anlagen
mehr, Wasser und Strom wurden von der Gemeinde gekappt. Doch nach wie vor
kommen Migranten in Bihać an, um von hier aus zu versuchen, nach
[2][Kroatien] zu gelangen.
Während die Frauen und Kinder auf andere Lager innerhalb der Stadt verteilt
worden sind, werden die Männer von der Polizei nach Vučjak geleitet.
## „Inakzeptabel“, aber von Dauer
Bürgermeister Šuhred Fazlić steckt in einer Zwickmühle. Einerseits steht er
unter dem Druck der internationalen Öffentlichkeit, endlich das Lager
aufzulösen. So hat der Chef der EU-Delegation in Bosnien und Herzegowina,
Johann Sattler, am Freitag die umgehende Schließung des Lagers gefordert.
„Vučjak muss dringend geschlossen werden“, erklärte Sattler nach einem
Treffen mit Lokalpolitikern. „Dieser Ort ist für die Unterbringung von
Menschen ungeeignet und aus hygienischen Gründen inakzeptabel.“ Doch was
mit den Migranten geschehen soll, konnte er auch nicht sagen.
Auf der anderen Seite will die Bevölkerung der weniger als 40.000 Menschen
zählenden Stadt Bihać – 90 Prozent sind Bosniaken (bosnische Muslime) –
keine männlichen Migranten aus Afghanistan, Pakistan, Syrien und
Nordafrika. Vor allem Frauen fürchten Übergriffe.
Hinzu kommt, dass die Pachtverträge für die „regulären“ Lager Bira, Bori…
und Sedra, betrieben von internationalen Hilfswerken unter Leitung von IOM
(International Organization for Migration) betrieben werden, auslaufen und
ihnen die Schließung droht. Der Bürgermeister kann gar nicht daran denken,
die Migranten aus Vučjak auf die Stadt zu verteilen.
## Serbisches Dorf lehnt Alternativlager ab
Deshalb hat die Stadtverwaltung vorgeschlagen, ein neues, winterfestes
Lager nahe dem 30 Kilometer entfernten Dorf Lipa bei Bosanski Petrovac zu
errichten. Dieses Gebiet liegt auf einer fast menschenleeren Ebene. Doch
dort regt sich Protest. Denn Lipa liegt zwar im Kanton Una-Sana, in der
bosniakisch-kroatischen Föderation, ist aber von der Bevölkerung her ein
serbisches Dorf. Und die Einwohner haben jetzt Unterstützung aus der
serbischen Teilrepublik „Republika Srpska“ erhalten.
Die Serben fürchten die Migranten aus Nahost – obwohl es ironischerweise
gerade die serbischen Behörden sind, in Serbien und der serbischen
Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina, die die Grenzen kontrollieren und
die Migranten überhaupt erst nach Bosnien und Herzegowina reisen lassen.
Damit sind die Migranten in das Gestrüpp der bosnischen Politik geraten.
IOM hatte schon vor Monaten vorgeschlagen, neue winterfeste Lager zu
errichten, doch keine bosnische Gemeinde außer Sarajevo war bereit, die
Leute unterzubringen.
So kampieren mittlerweile Hunderte von Migranten am Busbahnhof der
ostbosnischen Stadt Tuzla. In einem Vorort Sarajevos, Hadžići, kam es zu
Auseinandersetzungen zwischen Einwohnern und Migranten, die Stimmung dort
ist gekippt.
Viele Migranten versuchen nun, andere Wege „nach Europa“ zu finden. So hat
die bosnische Polizei bei einer Verkehrskontrolle in der Nähe der
westherzegowinischen Stadt Ljubuški 17 syrische und irakische Flüchtlinge
in einem Lieferwagen entdeckt. Der Winter und die Zustände in Vučjak
schrecken sie nicht ab.
10 Nov 2019
## LINKS
[1] /Fluechtlingslager-bei-Bihac/!5630745
[2] /Elende-Zustaende-auf-Balkanroute/!5624916
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Flüchtlinge
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